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Über die Münchner Straße fuhren ein paar Autos, Fußgänger waren nur noch vereinzelt unterwegs und selbst die Dealer im Salingarten gähnten. Aber der Max, bester Laune, grüßte jeden und pfiff vor sich hin.
Man sollte meinen, dass er müde wäre. Aber mit dem ganzen Adrenalin und dem Glücksrausch im Körper war an Schlaf nicht zu denken. Der Rücken brannte ihm, die Beinmuskulatur tat weh, durch den gesamten Unterkörper zog sich ein leichtes Brennen, aber egal.
Also ging er am Sportladen vorbei in die Tiefgarage, wo sein alter 911er stand. So leise wie möglich fuhr er die Rampe hoch und dann links in Richtung Brückenberg.
Nach der Bahnüberführung links rein in die Enzenspergerstraße und weiter zum »Wild Wild West«.
Für die Neuen unter uns: Das »Wild Wild West« ist der Nachtclub vom Chili. Der Chili wiederum ist ein Schulfreund vom Max. Seit der Grundschulzeit in der Königsstraße kennen sich die beiden. Der Max ist zur Polizei gegangen, erst Streife, dann Prüfung zum gehobenen Dienst, Kripo, Sitte.
Der Chili ist auf der anderen Seite des Zauns tätig geworden, aber immer in Rosenheim. Bis auf die paar Ausflüge in die JVA Bernau. Dort hat er den Rest seiner Ausbildung zum Diplom-Ganoven bekommen. Er war ein gesuchter Safeknacker und Auftragsdieb. Aber sein Traum, das war ein Nightclub. Mit Separees, Pokertischen, zwei oder drei Stangen auf der Theke, an denen schicke Mädels tanzen, du weißt schon.
Gut, das »Wild Wild West« ähnelt mehr einer niedrigen, langen Baracke. Aber es liegt abgeschieden, hat einen großen, mit Kies bestreuten Parkplatz, auf dem ein paar uralte Laubbäume stehen, und die nächsten Wohnblöcke sind ein paar Hundert Meter weit weg.
Der Neon-Schriftzug über der schwarzen, sehr stabilen Eingangstür flackert unruhig, weil ein paar der Buchstaben nicht mehr richtig aufleuchteten. Und die Tür selber, die wie eine alte, stählerne Zellentür aus einem Film-Knast aussieht, ist mit einem überlebensgroßen Porträt von Will Smith bepinselt.
Will trägt die Klamotten aus dem »Wild Wild West«-Film, hat in jeder Hand einen Colt, aber irgendwie fehlt ihm ein Teil des linken Beins. Das ist im Lauf der Zeit abgeblättert.
Max ließ den alten Porsche ausrollen, massierte sich kurz die Schultern und stieg ächzend aus. Dann hämmerte er dem alten Will an die Brust, und gleich darauf ging eine kleine eiserne Luke auf und ein mächtiger Kopf, von dem man nur die obere Hälfte sah, kam zum Vorschein.
Den Kopf musst du dir jetzt vorstellen wie den vom Eisenbeißer aus den alten James-Bond-Filmen. Jaws hieß der, glaube ich. Der war zwei Meter und 13 groß, breit wie ein Irschenberger Bauernschrank und übermenschlich stark. Ein Bär mit stählernen Zähnen, erinnerst du dich?
So sah das Ungeheuer aus, das durch die Luke glotzte und sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse verzog, die er selber allerdings für ein freudiges Lächeln hielt. Der Hüne knurrte Unverständliches, riss die Tür auf und zog den Auer Max mit einer blitzschnellen Bewegung an seine Brust.
Jetzt tat dem Max eh schon so ziemlich alles weh, wie du weißt. Und der Riese schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich, dass dem Max die Luft in einer Geschwindigkeit aus dem Körper strömte, wie wenn du eine prall aufgeblasene Luftmatratze mit einem Teppichmesser der Länge nach aufschlitzt.
Dem Auer wurde rot vor den Augen, er sah noch, wie hinter dem Monster eine kleine, rundliche Gestalt in einem glänzenden, pflaumenfarbenen Polyester-Anzug heranrannte.
Der Kleine schrie: »Der Max, ja so was. Das ist eine Freude. Schau nur, wie sich der Arnie freut.«
Der Riese drückte dem halb bewusstlosen Auer einen nassen Schmatz auf die Stirn und setzte ihn vorsichtig ab.
Du erinnerst dich doch noch an die beiden? Danny und Arnie, die Zwillinge? Natürlich waren sie keine echten Zwillinge, aber der kleine dicke Danny und der 2,13-Meter-Mann Arnie waren so verschieden, wie Menschen nur sein können.
Auch deswegen nannte sie der Chili nur »seine Zwillinge«. Arnie, der Finne, sprach nie. Er grunzte meist nur, und der Einzige, der ihn verstand und bei Bedarf übersetzte, das war der kleine Danny, der wirklich ein bisschen wie Danny DeVito aussah. Arnie hatte ein Holzbein. Links, gleich unter dem Knie. Die Prothese konnte er, wenn es die Situation erforderte, sehr schnell abnehmen und die darin befindliche abgesägte Schrotflinte rausziehen.
Der Auer holte tief Luft, klopfte den beiden auf die Schultern und betrat den Laden. Über der runden Tanzfläche drehte sich die silberne Discokugel und warf Millionen von tanzenden Diamanten durch das Halbdunkel.
An der langen Bar-Theke saßen fünf oder sechs Kerle, einer versuchte, die Blonde hinter dem Tresen anzubaggern, und die anderen schauten der Schwarzen im weißen String-Tanga zu, die sich lässig an einer der Stangen vor ihnen bewegte. Aus den Lausprechern dröhnte »Knock on Wood«, in der Fassung von Amii Stewart.
Diese Fassung gefällt mir persönlich ziemlich gut, die von Otis Redding ist aber besser, obwohl es Eddie Floyd, der es zusammen mit Steve Cropper geschrieben hat, auch saucool singt.
Ich hab Steve Cropper 1968, glaube ich, in Saigon in einer Bar in der »Bring Cash Alley« getroffen. Er hat mir erzählt, er und Eddie haben das Lied während eines mächtigen Sturms geschrieben. Da ist ihnen diese einzigartige Zeile eingefallen: »It’s like thunder, lightning …«
Egal, der Auer ging um Arnie herum: »Ist der Chef da?«
Danny zeigte mit dem Daumen über die Schulter: »Im Büro. Du siehst schlecht aus, Max. Wer hat dich so fertiggemacht?«
»Längere Geschichte. Aber du solltest mal sehen, wie der andere aussieht.«
Max ging schnell über die Tanzfläche, warf der Blonden hinter der Bar eine Kusshand zu und verdrehte die Augen zu einem Schielen, als er an der schwarzen Tänzerin vorbeikam. Die streckte ihren erstaunlichen Hintern in seine Richtung und ließ ihn kurz und heftig zittern. »Twerken« nennt man das, glaube ich.
Der Chili saß hinter seinem Schreibtisch, trug ein aufgeknöpftes blaues Jeanshemd, und seine Beine, die in gelben Western-Boots steckten, lagen auf der verschrammten Schreibtischplatte. Vorne rechts, am anderen Ende der Platte, konnte man immer noch den Fleck sehen. Du weißt schon, wo ihm einer den blonden Pferdeschwanz mit Sekundenkleber auf die Tischplatte geklatscht hat und der Auer ihm später das geliebte Teil mit einer Schere abschneiden musste.
Wie dem auch sei, die Haare sind nachgewachsen, der Zopf war wieder da und der Chili sah aus wie immer: ein in die Tage gekommener Surfer. Rechts hinter ihm, über dem Safe, hing das fast quadratmetergroße Foto seiner einzigen und wahren Liebe: ein 68er-Ford-Mustang Cabrio, V8, innen die rote »Red Crinkle«-Ausführung, außen knallroter Lack und, jetzt kommt’s, das äußerst seltene 4-Speed-Getriebe.
Woher ich das weiß? Weil der Chili jedem, aber auch wirklich jedem, der es hören will oder auch nicht, davon erzählt. In aller Ausführlichkeit. Besonders, wenn er betrunken ist. Was nicht oft der Fall ist, aber oft genug.
Geh in das »Wild Wild West«, setz dich an die Theke und bestell dir einen Jackie D., drei Finger hoch, mit einem einzigen Stück