Fröhliches Morden überall. Margit Kruse
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Waltraud beschrieb gerade jeden einzelnen Aufenthalt im Sauerland äußerst ausführlich, was keiner der Anwesenden hören wollte. Eleonore hingegen machte alles nieder, konnte alles besser, war schon an ganz anderen Orten gewesen. An Orten, wo was los war, wo es Tanzlokale gab, wo die Post abging.
Thomas stöhnte erneut auf. Anstatt Margaretas Tipps, die Fahrstrecke betreffend, anzunehmen, glotzte er wie gebannt auf sein Navi, sein Allerheiligstes.
Was für eine Schnapsidee, die alten Damen in den Urlaub mitzunehmen. Da hatte sie wohl der Teufel geritten, als sie der spontanen Idee von Thomas, dem Ersten Hauptkommissar des KK 11 im Polizeipräsidium Buer, zugestimmt hatte. Wieso war sie an dem Abend so rührselig gewesen? Hatte sie zu viel getrunken?
Thomas’ Mutter Eleonore war seit einigen Monaten Witwe, jedoch längst nicht so trauernd und hilflos, wie Thomas es darstellte. Mit ihr war nicht gut Kirschen essen, und Margareta mochte sie nicht, diese bissige Alte. Ihr Pessimismus, den Eleonore täglich mehrfach auslebte, wurde nun auch noch belohnt. Als der Vater noch lebte, hatte Thomas ständig über seine Mutter geschimpft und es irgendwann tatsächlich geschafft, dem Elternhaus zu entfliehen, in dem er während langer Krankheit Unterschlupf gesucht hatte. Er hatte sich eine Wohnung in der Hertener City gemietet. Dort kreuzte die Alte jedoch dreimal die Woche auf, hatte sogar einen eigenen Wohnungsschlüssel erbettelt, putzte die Wohnung, brachte dem Sohnemann etwas zu essen und bügelte seine Hemden. Natürlich steckte sie auch die Nase in seine Post. Bei Bedarf beantwortete sie diese gleich. Seit ein paar Wochen rannte sie dem Pfarrer Ansgar Morgenrot der katholischen St.-Johannes-Gemeinde die Kirche ein, schloss sich dort der Seniorenstube an und machte alle wuschig.
Da war Margaretas Mutter Waltraud anders. Zwar auch eine Nervensäge par excellence, aber sie ließ sich noch gut in die Schranken weisen. Nach einem endgültigen Zerwürfnis mit ihrem Gelegenheitsliebhaber Sepp, dem Bandleader einer Altherrencombo, war sie in Depressionen verfallen. Margareta hatte zugestimmt, Eleonore mit ins Sauerland zu nehmen, wenn auch Waltraud dabei sein dürfe. Die beiden ungleichen Frauen hatten sich erst heute im Auto kennengelernt. Ein Vortreffen hatte Margareta strikt abgelehnt. Sie wusste, warum.
»Ist denn da genug Platz in dem Haus, mein Junge? Du weißt, ich wohne nicht gerne eingepfercht«, kam es von hinten mit schriller Stimme. Selbstverständlich sprach sie nur Thomas an. »Und Schnee liegt auch nicht. Du hast gesagt, im Sauerland liege zu Weihnachten Schnee.«
Die selbstständige Privatermittlerin Margareta war für die dominante Frau ein lästiges Übel, das sie in Kauf nehmen musste, obwohl Thomas ihr in der Hinsicht mehrmals den Kopf gewaschen hatte.
»Ich habe dir das Haus schon 20 Mal beschrieben und dir Fotos gezeigt. Es hat 100 Quadratmeter und zwei Bäder. Du teilst dir mit Waltraud ein Bad, hast aber ein eigenes Schlafzimmer. Und was den Schnee betrifft, der kommt bestimmt noch. Immerhin ist es hier sechs Grad kälter als bei uns im Ruhrgebiet. Die Sonne scheint und die Landschaft ist mit einer Frostschicht überzogen. Das sieht zauberhaft aus. Erfreue dich doch an dem Anblick.«
Auf die wunderschöne Landschaft ging Eleonore nicht ein. »Ein Bad teilen? Ich weiß nicht.« Ein missbilligender Blick traf ihre Sitznachbarin Waltraud.
»Im Krankenhaus hast du dir das Bad auch teilen müssen.« Ab jetzt schwieg Thomas.
Margareta fragte sich, ob auch er die Idee inzwischen für vollkommen idiotisch hielt. Die gute Tat zu Weihnachten? Würde sie sich als Flop entpuppen? Außerdem: Wieso mussten sie schon vor dem Fest anreisen? Am 23.12.? Das war eine Schnapsidee, fand Margareta. So hatten sie zu Hause keine Arbeit, mussten keinen Baum kaufen und weniger Lebensmittel, meinte Thomas. Doch sie war sich sicher, dass er nur dem Ärger entgehen wollte, den die Frage, wo und mit wem man den Heiligabend verbringen wollte, mit sich bringen würde. Ärger wäre da vorprogrammiert gewesen.
Ein kurzer Blick in den Kosmetikspiegel in der Sonnenblende nach hinten ließ Margaretas Kinnlade noch weiter herunterklappen. Eleonore zupfte an ihren frischen schwarzen Strähnen herum, die der Friseur erst einen Tag zuvor in ihr grellgraues Haar gezaubert hatte. Irgendwie erinnerte sie Margareta an einen ausgestopften Tiger. Wenn das modern sein sollte, fand sie die dunkelblonde Einheitsfrisur ihrer Mutter tausend Mal besser. Waltraud saß da wie ein Häufchen Elend, das schon jetzt bereute, mitgefahren zu sein.
Der Passat erreichte die winzige Ortsmitte. Ein Edeka-Laden, ein schmuckes Café, schräg gegenüber das Hotel Albers mit Restaurant. Überall standen beleuchtete Weihnachtsbäume, die eine tolle Stimmung zauberten. Die Hunaustraße ging in die Graf-Gottfried-Straße über, und kurz darauf führte sie das Navi rechts weg in die kleine Straße »Zur Wahr«.
»Geradeaus, immer geradeaus, bis es nicht mehr weitergeht«, hatte die Vermieterin am Telefon den Weg beschrieben. Die befestigte Straße mündete in einen Feldweg, der bis zum Waldrand führte. Rechts der Strecke lag ein großer Bauernhof. Wenige Meter weiter konnte man das Ferienhaus direkt am Wald erblicken. Ein echter Wintertraum. Unwirklich schön lag es da in frostiger Umgebung, von der Sonne angestrahlt.
Margaretas Laune besserte sich. Thomas lächelte versöhnlich zu ihr herüber, nachdem er auf dem Parkplatz neben dem Eingang das Auto abgestellt hatte.
Seine Mutter zog einen schiefen Mund und fing gleich wieder an zu meckern. »Hier soll ich zehn Tage bleiben? In dieser Einsamkeit? Das Haus liegt ja am Arsch der Welt. Bis zum Ort sind es zu Fuß mindestens zwei Kilometer. Da musst du mich fahren, mein Junge.«
»Einen Teufel werde ich tun. Es sind genau 900 Meter bis zum Ort. Die kannst du gut zu Fuß zurücklegen. Das Auto wird nicht angerührt. Ich will mich erholen.«
Margareta musste grinsen. Er hatte ein Machtwort gesprochen, der 42-jährige Sohn, was äußerst selten vorkam. Sicherlich wollte er vor seiner Freundin und deren Mutter den durchsetzungsfähigen Kommissar herauskehren, dachte sie.
Waltraud freute sich und schmunzelte. »Ich finde das Häuschen wunderschön.«
»Tja, wenn man in einer Mietwohnung lebt, ist das sicherlich schön. Für einen Hausbesitzer sieht das völlig anders –«
»Halt den Schnabel, Mutter. Unser Haus stammt aus der Erbmasse der Scheffels. Das hast du nicht erarbeitet«, meinte Thomas mit energischer Stimme.
»Ach, ich hab nichts gearbeitet? Habe ich dich nicht großgezogen? Und Papa den Rücken freigehalten? Zählt das nicht?«
»Das steht doch hier gar nicht zur Debatte.«
Sie wollte es nicht kapieren, die aufgetakelte alte Frau. Fehlte nur noch, dass sie mit der Geschichte kam, in der sein Vater sie durch die Eheschließung aus dem Konsum befreit hatte.
Wütend schloss Thomas das Häuschen mit dem Schlüssel auf, den er unter der Fußmatte gefunden hatte. Thema beendet. Für ihn jedenfalls. Eleonore hingegen wetterte weiter, trennte Eigentum von Mietobjekten laut und unnachgiebig, zählte Vor- und Nachteile auf. Thomas war sonst eher zurückhaltend, aber jetzt waren die harschen Worte, die er an seine Mutter gerichtet hatte, bitter nötig gewesen.
In dem Haus war es nicht gerade warm, doch das würde sich mit einem Dreh an den Heizkörpern schnell ändern. Alles machte einen gemütlichen Eindruck, rustikale Möbel in Kiefernholz, Sauberkeit pur. Eleonore war wütend, dass sie ihre beiden Reisetaschen selbst hineintragen musste. Doch Thomas war der Meinung, wer Wasserkästen für seine Nachbarn in deren Keller schleppen konnte, konnte auch sein Gepäck ins Haus tragen.
Waltraud hatte ihren Koffer, zwei Taschen und fünf Plastikbeutel bereits während Eleonores Gezeter ins Haus gebracht. Wenn Margareta gehofft hatte, Thomas sei ein Kavalier alter Schule und wäre ihr gepäckmäßig behilflich, hatte