Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt!. Ilona M. Fudali
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04. Dezember 2017/ Montag, um Mitternacht
PROLOG
Sie saß sehr oft und gerne vor ihrem Fenster und schaute nach draußen. Jeden Tag breitete sich die gleiche Gegend vor ihr aus; nicht nur die lange Straße, die sich weit hinzog und kein Ende zu haben schien, sondern auch sonst die vielen alten Häuser, die Bäume, die Fabrik am Horizont. Was sich lediglich veränderte waren die Jahreszeiten und das tägliche Wettergeschehen. Aber auch dieses berührte sie nicht sonderlich, obwohl ihr nie langweilig war, einfach nur so da zu sitzen und zu beobachten. Für denjenigen, der ganz genau hinschaute, offenbarte sich ein gläserner Blick, der verriet, dass sie in eine ganz andere Welt schaute – eine Welt, die hinter dieser vordergründigen Fassade oder noch wo anders steckte? Kein Wunder, dass sie die Katze von dem gegenüberstehenden Baum nie herunterspringen sah, dass sie den gebeugten alten Mann, der mit der Einkaufstasche jeden Tag an ihrem Haus vorbeiging, nicht bemerkt hatte. Auch dass die zwitschernden Vögel in den Ästen aufgeregt auf der Suche nach Grashalmen waren, um ihre Nester auszubessern, gingen an ihr vorbei. Stattdessen beschäftigten die vorüberziehenden Wolken ihren Geist, die immer wieder ihre Form veränderten und sich nach und nach im Nichts auflösten. Wieder einmal, dachte sie, würde es immer wärmer und heller werden. Wieder würden die Blumen aufblühen und etwas Leben in die grauen Straßen bringen. Aber genauso wie die Wolken würden die Blumen einmal wieder vergehen und sich dann im Nichts auflösen. Jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster sah, wurde ihr ihre Vergänglichkeit bewusst, dass nichts ewig währt und im nächstbesten Augenblick sofort verschwindet. Sie seufzte, dass es fast schmerzte.
„Wozu also sich über etwas freuen, wenn man es doch gleich wieder verliert?“ Einmal mehr stellte sie sich diese Frage und dabei entgingen ihr die wärmenden Sonnenstrahlen, die sie angenehm auf ihrer Haut spürte. Wie sollte sie diese auch fühlen, wenn in ihr drin sich eine kalte Leere Platz verschaffte und ihr ihren Mut und ihre Energie nach und nach raubte. So nahm sie auch die Wärme der gelben, kariert gemusterten Decke ihrer geliebten, aber schon vor einem Jahr verstorbenen Oma auf ihren Knien nur zweitrangig wahr. Während draußen der Sommer aufwachte und alles sich zu regen und zu bewegen schien, kam es ihr selbst vor, als wenn sie als einzige auf der Stelle stehen geblieben wäre. Mit einem Seufzer sah sie wieder den Himmel an; sah seine Unendlichkeit und die ungeheure Weite und Tiefe und – Leere. Aber war das kleine Pünktchen, das sich jetzt dort ganz oben von links nach rechts bewegte nicht ein Flugzeug? Jetzt bemerkte sie ihn auch. „Bestimmt“, dachte sie sich, „sitzen da auch Menschen und schauen genau wie ich aus dem Fenster!“
Ihren fernen Gedanken und Grübeln machte plötzlich ein dumpfer Schlag an der Fensterscheibe einen scharfen Schnitt.
Sie stand von ihrem bequemen Stuhl verschreckt auf, öffnete das Fenster und entdeckte auf einmal auf der Fensterbank eine Papierschwalbe aus weißem Seidenpapier, was ihr ein Lächeln entlockte. Ja – sie lächelte! Sie konnte sich das nicht verkneifen, weil es ihr komisch erschien, dass ausgerechnet in dem Moment, wo sie mit den Gedanken bei einem Flugzeug war, ein Flieger aus Papier auf dem Fenstersims landete.
Sie hob die Schwalbe auf und bemerkte, dass darauf etwas Geschriebenes stand: „Wie geht es Dir? Du kennst mich nicht, nehme ich an, aber ich sehe dich oft am Fenster und frage mich, ob Du nicht einmal nach draußen kommen willst? Vielleicht könnten wir etwas unternehmen?“
Wer war das? Wer nahm sich das Recht, sie heimlich zu beobachten? Warum weiß sie nichts von diesem Fremden? Was will dieser Unbekannte eigentlich von ihr?
Während noch Tausend andere Fragen ihr Gehirn durchkreuzten, reckte sie noch einmal hastig den Hals zum Fenster vor, um vielleicht noch den heimlichen Beobachter zu entdecken. Sie guckte sich von rechts nach links, entgegen des Uhrzeigersinns um, und plötzlich durchdrang es sie wie ein Blitz: Ihre Augen trafen sich mit denen eines Jungen. Er stand an der Ecke des gegenüberstehenden Ziegelhauses mit einem Fuß an die Wand angelehnt, trug eine dunkelblaue Jeansjacke, darunter ein weißes T-Shirt und eine ausgewaschene Jeanshose. An den Füßen waren die Sneakers nicht zu übersehen. Sie hatten sogar die gleiche schwarz-weiße Farbe wie ihre! Er versteckte sein Kinn unter dem hochgestellten Kragen der Jacke, als wäre er James Dean, und schaute sie paradoxer Weise selbstbewusst aber gleichzeitig schüchtern aus den Augenwinkeln von unten an und dann lächelte er sie an. Wie konnte er nur? Frechheit. Wie konnte er sie nur so unverschämt anlächeln? Ohne lange zu überlegen machte sie das Fenster zu und zeigte ihm die kalte Schulter. Erst jetzt bemerkte sie, wie heiß es ihr auf einmal war. Der Blick in den Spiegel zeigte ihr, sie hatte glühende Wangen.
„Was war denn bloß los mit mir?“, fragte sie sich. Zuerst muss ich über eine blöde Schwalbe lächeln und dann dieser Typ! War das nicht unglaublich? Noch vor wenigen Tagen und Momenten war für mich fast alles relativ und mehr oder weniger nebensächlich, sogar meine Existenz. Nichts berührte sie sonderlich oder forderte sie heraus – und nun plötzlich dieses
Erdbeben, dieser Vulkanausbruch, dieser Windstoß! In heller Aufregung und Verärgerung zitterte sie am ganzen Leib. Was sollte sie machen? Sie setzte sich wieder auf den Stuhl, doch dieser schien ihr jetzt zu hart und irgendwie war er auf einmal nicht mehr so gemütlich wie vorhin. Sie spürte lauter Ameisen durch ihren Körper laufen, so dass das Stillsitzen nicht mehr so richtig klappte. Sie stand auf und tastete sich noch einmal vorsichtig ans Fenster.
Der Junge war nicht mehr da.
Ihr Puls wurde nun langsamer und endlich konnte sie wieder durchatmen. Sie kühlte ihre Wangen im Badezimmer mit kaltem Wasser ab und sah sich im Wandspiegel ihr eigenes Gesicht genauer an. Fast hätte sie sich nicht wieder erkannt. Waren das ihre glänzenden, blauen Augen, die sie jetzt so lebhaft anfunkelten? Hatte sie schon immer diese Grübchen in den Mundwinkeln? Und ihre Wangenknochen haben sich noch nie so bemerkbar gemacht, jedenfalls sind sie ihr bis jetzt nicht sonderlich aufgefallen. Sie nahm die Haarbürste in die Hand und kämmte langsam ihr schulterlanges Haar durch. Sie trug sehr selten ihre Haare offen, weil sie ihr immer ins Gesicht flogen. Doch nun sah sie, dass sie mit offenen Haaren sehr schön aussah – auf irgendeine Weise reifer. Außerdem schmückten diese ihr zierliches Gesicht, machten es noch sanfter und weiblicher.
Sie suchte sofort aber nach ihrer Spange und konnte nicht glauben, wie blöd sie doch war! Wieso hielt sie sich mit so unwichtigen Dingen wie den Haaren auf? Schnell und verärgert band sie sich diese zu einem Zopf zusammen und ging wieder in ihr Zimmer zurück. Von der Tür aus sah sie wie die Sonne in ihren letzten Zügen unterging. Doch irgendwie löste das bei ihr nicht wie gewöhnlich Melancholie oder Traurigkeit aus. Vielmehr verspürte sie zum ersten Mal die Kraft der Sonne; wie sie die Blätter des Baumes, der hinter dem Zaun gegenüberstand, mit ihren Strahlen zum Leuchten brachte und wie ihr Licht noch zu so einer späten Stunde einhüllende Wärme schenkte. Auch wenn die Sonne unterging, es machte ihr seltsamerweise nicht viel aus. Denn nun leuchtete etwas tief in ihr und das würde bestimmt nicht so schnell untergehen.
Sie ging bedächtig zur Fensterbank hinüber und nahm noch einmal aufgeregt die Papierschwalbe in die Hand. „Was ist bloß mit mir los?“. Und mit dieser Frage