Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt!. Ilona M. Fudali
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„Wissen sie was das bedeutet, eine Kerze anzuzünden? Zwar ist nicht zu verkennen, dass damit der Raum erhellt wird und Wärme entsteht, aber das Wesentliche daran ist der Akt selbst: Man zündet ein Licht an.“
Beide schauten nun aufmerksam die brennenden Kerzen an. Nach kurzem Augenblick sprach der alte Mann weiter: „Wenn ein Licht an ist, schwindet die Dunkelheit. Ungewissheit, Angst und Unsicherheit hat keinen Platz mehr. Die Hoffnung wird lebendig, das Leben kann beginnen, verstehen sie?“
„Ja. Ich glaube, schon. Es ist symbolisch gemeint, oder?“
„Ich denke, es ist zwar ein symbolischer Akt, aber in Wirklichkeit vollzieht sich da etwas ganz fassbares: Man bekommt auf einmal nämlich das gleiche Leuchten in den eigenen Augen und fühlt sich nicht mehr so einsam und im Stich gelassen. Man spürt einfach, da erwartet mich etwas, was ich nicht klar sehen kann, was ich nicht genau weiß, aber es ist da. Man spürt es.“
Jule spürte nur, wie gut ihr diese Worte des alten Mannes taten. Er schien all die Dinge in ihr anzusprechen, die sie nie zu denken wagte und die in ihrer Tiefe schlummerten, aber nie an die Oberfläche schwammen. Ob es mit den Worten dieses Mannes zu tun hatte, ist schwer zu sagen. Die kalte Leere in ihr vermischte sich mit der äußeren Kälte in der Kirche. Doch sie war jetzt in ihr nicht allein, sondern kniete neben dem alten Mann. Sie schaute den Mann schweigend an und es fühlte sich gut an. Diese Verbundenheit, die ihr Herz berührte und die Einsamkeit langsam aufbrechen ließ. Sie bemerkte noch keine fassbare Veränderung an sich. Es schien alles in ihrem Leben immer noch schwarz und dunkel zu sein, aber die Kerze, die sie gerade angezündet hatte, beruhigte sie. Der alte Mann sagte, dass mit dem Akt des Anzündens das Leben beginnen würde und sie hoffte, es wäre so.
„Wo warst Du, liebes Kind?“, fragte die Mutter Jule von der Küche aus, als sie die Wohnung betrat. „Ich bin etwas früher von der Arbeit gekommen und machte mir Sorgen wo du bleibst.“ „Ach weißt du, Mama, mir sind heute so viele Dinge passiert, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll“, antwortete Jule während sie sich auf ein Stuhl niedersinken ließ. Ihre Mutter stand am Herd und bereitete etwas leckeres zu Essen vor, keine Ahnung was, jedenfalls roch es lecker. „Ach Jule, was ist nur los mit dir? Du bist in letzter Zeit noch verschlossener geworden als du schon warst. Ich mache mir Sorgen wegen Dir, Liebes.“ Jule hatte nicht großartig Lust über sich zu reden. Wenn sie nur wüsste, was mit ihr los ist. Ihre Gefühle hatten keine Ordnung und sie hatte keinen richtigen Plan. Sie fühlte so vieles auf einmal und wünschte so vieles auf einmal. Aber nichts geschah und nichts tat sich. Sie hatte den Eindruck in einem Labyrinth zu irren. Was nützte es, darüber zu sprechen, wenn sie sich selbst noch nicht einmal verstanden hat. Die Begegnung mit dem alten gebeugten Mann tat ihr heute gut. Sie war traurig, als sie sich voneinander verabschieden mussten, weil jeder seinen Nachhauseweg angetreten ist. Er sagte ihr zum Ende mit einem zwinkernden Auge und einem selbstbewussten Lächeln, dass alles gut wird und sie ihren Weg finden wird, wenn sie nicht vergisst, ihre Gefühle loszulassen. „Mama“, sagte Jule plötzlich in die Stille hinein, „fühlst du dich nicht manchmal etwas verloren? Hast du nicht manchmal das Gefühl in dir gefangen zu sein und spürst einfach nur tiefe Trauer und kalte Leere?“ Ihre Mutter war überrascht, dass Jule anfing über sich zaghaft zu sprechen. Sie unterbrach das Kochen und überlegte, was sie ihr antworten könnte, um ihr aus dem dunklen Tal, den sie gerade offensichtlich durchmachte herauszuhelfen. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Tochter bedrückte, aber sie spürte ihr Herz. Sie setzte sich zu Jule an den Tisch und nahm ihre Hand. „Jule, du bist nun 15 Jahre alt. Du bist schon so erwachsen aber noch so jung und vor dir liegt das ganze Leben, um glücklich zu sein. Jeder Weg steht dir noch offen und du kannst alles erreichen was du willst, verstehst du?“ „Aber“, entgegnete Jule, „ich weiß doch gar nicht welchen Weg ich überhaupt gehen soll. Das ist doch mein Problem, Mama. Ich fühle mich so verloren und so einsam und so traurig, weißt du. Alles fällt mir so schwer und das Glück, von dem du sprichst, liegt ganz woanders. Es kommt nie zu mir. Es ist nicht für mich gedacht.“ Jule ließ den Kopf hängen und sie spürte wieder den Kloß im Hals. „Aber Julchen, du bist nicht einsam und das was dich gerade bedrückt – jeder sehnt sich nach Glück. Aber nicht jeder lässt den Kopf so hängen wie du.“ „Mama, ich weiß einfach nicht was ich machen soll, um meinen traurigen Zustand zu ändern. Für mich ist alles sinnlos. Weißt du, Oma hätte mich verstanden. Aber sie ist nicht mehr da.“ „Oh ja, Oma war eine kluge Frau. Sie hat dich geliebt. Ich weiß, dass du sie auch geliebt hast. Geliebte Menschen zu verlieren tut weh. Sehr weh. Ich habe mir auch damals gewünscht Deinen Vater nicht zu verlieren. Aber er entschied sich fortzugehen. Er verließ mich und auch dich. Weißt du, was weh tut wenn geliebte Menschen aus dem eigenen Leben verschwinden?“ „Sie sind einfach nicht da“, antwortete Jule nachdenklich. „Ja, sie sind nicht da. Aber viel schlimmer ist, dass mit ihrem Fortgang auch ein Teil von dir mitgeht. Die Kunst besteht darin, dass man wieder von neuem anfangen und sich für neue Dinge und Menschen offen machen muss. Man muss sich auf die Suche begeben und das ist schwer. Sehr schwer. Doch es lohnt sich!“ „Aber wonach soll man denn suchen, Mama, wenn das, was man will, nicht mehr da ist!“, fragte Jule etwas aufgebracht. „Klar, Julchen, dass das Alte und Geliebte nicht mehr da ist. Aber darin sieht man unser Schicksal, Kind. Nichts auf dieser Erde ist für die Ewigkeit. Damit müssen wir klarkommen.“ Diese Aussage der Mutter machte Jule noch mehr traurig. Gerade zu spüren, dass alles für nichts ist und einmal wieder vergehen wird machte Jule so unglücklich. Sie hasste ihren Vater, weil er wegging und die Familie kaputt gemacht hat. Sie hasste den Tod, weil er ihr die Oma wegnahm und sie hasste ihre Hilflosigkeit sich selbst gegenüber, weil sie sie so lähmte. „Ich habe Angst, Mama.“ „Komm her“, sagte ihre Mutter warm und umarmte Jule behutsam. Es war nicht einfach für die Mutter alles in Worte zu fassen, weil sie selber oft verzweifelt und melancholisch war. Es stimmte sie jetzt traurig, dass ihre Tochter unglücklich war und sie nicht die Kraft hatte ihr die Geborgenheit und die nötige Liebe zu geben, die sie brauchte. Sie durchlebte auch oft tiefe Phasen, aber sie zwang sich immer wieder aufzustehen und weiterzumachen. Irgendwie geht es schließlich doch weiter. Dabei übersah sie ganz gerne, dass auch sie sich oft nach dem Sinn des Ganzen fragte. Es fehlte ihr ein Mann an der Seite, ganz klar. Sie sehnte sich nach Geborgenheit und Liebe und zarten Umarmungen. Auch sie fühlte sich einsam. Ihre Tochter damit zu belasten wollte sie nicht und so seufzte sie jetzt, während Jule in ihren Ärmel schluchzte. Aber sie hatte plötzlich eine Idee, wie sie ihrer Tochter Hoffnung spenden konnte. Sie erinnerte sich an ihr altes Tagebuch, in dem sie beschlossen hatte, dem Herzen zu folgen. Kurz entschlossen stand sie vom Stuhl auf und ging zu der alten Fotokiste hin, wo sich das alte Manuskript befand. Liebevoll strich sie mit der Hand darüber und sagte zu Jule gewandt: „Mein Liebes, ich habe eine Idee wie ich dir auf deinem Weg weiter helfen kann. Schau, das ist mein altes Tagebuch, in dem mir vieles bewusst wurde und das mir Hoffnung spendete. Da du nun Osterferien hast, findest Du sicherlich genug Zeit, um es zu lesen und dich auf die Spuren deiner Mutter zu begeben. Na? Bist du neugierig?“ Jule beruhigte sich und putzte sich noch einmal ordentlich die Nase, bevor sie das liebevoll gestaltete Tagebuch ihrer Mama in Empfang nahm: „Louise Maria und ihr Weg zum Glück“, las sie laut vor. Sie umarmte ihre Mama und dankte ihr mit einem Kuss für das Vertrauen. „Du bist ein Schatz, Mama“, flüsterte sie ihr ins Ohr und konnte es kaum erwarten in ihr Zimmer zu gehen, um sich in das geheime Werk ihrer Mutter zu vertiefen.
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