Bauchgefühl & Gottvertrauen. Guido Cantz
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Leider fehlt auf Apfelsaftflaschen der Hinweis auf die Risiken und Nebenwirkungen. Ich hatte kaum Appetit und deswegen auch so gut wie nichts im Magen, doch schon nach kurzer Zeit spürte ich, wie die Fruchtsäure alles in Aufruhr versetzte. Ich hatte eine tickende Apfelzeitbombe im Darmtrakt und war angesichts des nicht zu unterschätzenden Vorlaufs, den es für die Reise benötigte, bis ich endlich auf dem Topf saß, auf Hilfe angewiesen wie bei einem Formel-1-Boxenstopp: Ich brauchte Schmerztropfen, damit meine empfindliche Leiste überhaupt bereit war, das Ganze mitzumachen. Der Thermometerfühler musste aus meinem Hintern entfernt und diverse Infusionen von der Halterung über meinem Bett an einen Infusionsständer mit Rollen umgehängt werden. Zudem benötigte ich Hilfe, um mich in den Rollstuhl zu hieven. Danach rollte ich dann sehr langsam in Richtung Toilette, während mir eine Schwester den Infusionsständer hinterherschob. Wenn ich den gekachelten Raum dann endlich erreicht hatte, wartet noch der Kraftakt, mich vom Stuhl aufs Porzellan umzusetzen, diesen Teil erledigte ich dann wirklich allein, auch wenn mich das kräftemäßig fast an die Grenzen brachte. Wenn ich nach solch einem Toiletten-Ausflug endlich wieder im Bett lag, war ich auch so – ohne den Apfelsaft-Kick –jedes Mal fix und fertig wie Andere nach einem Marathonlauf.
Geistlicher Beistand welcome!
Am Wochenende besuchte dann der Krankenhausseelsorger die Intensivstation. Als ich gefragt wurde, ob er bei mir vorbeischauen solle, war ich sofort einverstanden. Zwar war meine Zeit als Messdiener längst vorbei und regelmäßige Besuche der Gottesdienste waren in diesem Alter auch nicht unbedingt Teil meiner Vorstellung von einem gelungenen Wochenende, doch jetzt, in diesem Moment, als dem Leben, wie ich es kannte, plötzlich der Stecker gezogen worden war, fing ich wieder an zu beten. Ich bat Gott um seine Kraft und Hilfe, damit ich wieder auf die Beine käme. Deswegen freute ich mich auch darauf, hier auf der Station die Heilige Kommunion zu empfangen und kurz mit einem Geistlichen zu sprechen. Ich erwartete zwar nicht, dass der Herr persönlich ihm eine Botschaft für mich mitgeben würde, aber man kann ja nie wissen. Allein das Gefühl, dass der Seelsorger sich Zeit nehmen und vielleicht tröstende Worte finden würde, sorgt bei mir für Vorfreude.
Ich war zwar nicht mehr aktiv in der Gemeinde, aber immer noch gläubig und suchte in dieser Situation wieder die Nähe zu Gott. Denn mir wurde plötzlich bewusst, wie zerbrechlich mein Leben ist. Dass ich eben doch nicht alles im Griff habe, auch wenn ich das bis vor Kurzem noch geglaubt hatte. In den letzten Jahren war ich einfach in dem Vertrauen durchs Leben gegangen, dass alles immer so weitergehen und im Zweifelsfall sogar eher besser werden würde. Schließlich verdiente ich gutes Geld und seit einiger Zeit bekam ich mehr Anfragen, als ich annehmen konnte. Doch jetzt, in dieser Krisensituation, verstummte die große Klappe, die ich auf der Bühne an den Tag legte. Ich war mit einem Mal ungewohnt kleinlaut und demütig.
Ich suchte in dieser Situation wieder die Nähe zu Gott.
In den Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie habe ich oft an meinen Krankenhausaufenthalt zurückgedacht, wenn ich mit meiner Familie in einer Messe saß, in der zu dieser Zeit ja nicht gesungen werden durfte, die uns aber trotzdem in den unsicheren Zeiten ein bisschen mehr Halt gegeben haben.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, was der Krankenhausseelsorger damals im Detail gesagt hat, ich weiß nur, dass mir seine Nähe guttat. Seine Verbindung mit Gott, der Urquelle unserer Lebenskraft, hat ein bisschen auf mich abgestrahlt und das war in diesem Augenblick die Hauptsache.
Dem Klinikpersonal bin ich bis heute unendlich dankbar, die Schwestern haben mir sogar Kassetten von zu Hause mitgebracht, denn Walkman hören war so ziemlich der einzige Zeitvertreib, der mir in der ersten Phase meiner Krankheit möglich war.
Und auch mein guter Freund und Fahrer zu allen Karnevalssitzungen Martin hat mir in dieser Zeit beigestanden und mich aufgemuntert. Er war das einzige Nicht-Familienmitglied, das mich auf der Intensivstation besucht hat. Wie er das geschafft hat? – Er gab sich einfach frech als mein zweiter Bruder aus. Und ich werde seine drei Mitbringsel nie vergessen: eine Flasche Cola, ein Snickers und die aktuelle Ausgabe des Playboy. Ich hätte damals nicht sagen können, nach welchem dieser drei Präsente mir der Sinn am allerwenigsten stand.
Um meine Stimmung zu heben, malten wir uns unseren gemeinsamen Tripp nach Las Vegas aus. Martin hatte bei einer Karnevalssitzung zwei Flüge dorthin gewonnen, im September sollte es losgehen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er einen Arzt zu diesem Zeitpunkt schon nach den Aussichten eines USA-Trips mit mir in diesem Herbst gefragt hatte. Dessen Antwort lautete: „Das können Sie sich gepflegt von der Backe schmieren. Aber sagen Sie es ihm vielleicht nicht unbedingt.“ Während ich also in meinem Intensivbett gedanklich den Las Vegas Strip entlangschlenderte, suchte Martin bereits Ersatz.
Als ich die Intensivstation schließlich verlassen durfte, war ich selbst überrascht über meine Reaktion: Obwohl mich nun ein Einzelzimmer erwartete, heulte ich Rotz und Wasser. Ich hatte das Gefühl, dass ich anderswo unmöglich so gut betreut werden könnte wie von diesem Team, das mir so ans Herz gewachsen war. Möglicherweise trugen auch die Medikamente ihren Teil zu meiner sehr emotionalen Reaktion bei.
Insgesamt dauerte mein Krankenhausaufenthalt noch fast weitere drei Wochen. Ich hatte zehn Kilogramm verloren, das meiste davon Muskelmasse, und brachte nur noch 62 Kilogramm auf die Waage. Meine Oberschenkel waren spindeldürr, sodass ich auf der neuen Station mit der Unterstützung einer Physiotherapeutin und einer Art Rollator erst wieder laufen lernen musste. Ich schlich mit meiner rollenden Stütze über den Gang und freute mich, wenn ich fünfzig Meter schaffte, ohne zwischendurch pausieren zu müssen.
Als ich gerade wieder mal mit dem Gehwagen unterwegs war, besuchte mich mein Freund Olli und zog mich auf: „Du kannst ja gar nichts!“, weil er mich ein bisschen provozieren und motivieren wollte. Ich nahm das allerdings nur gleichgültig zur Kenntnis und absolvierte weiter mein Pensum.
Meine Gesundung ging langsamer voran als ich, es mir erhoffte. Inzwischen war ich aber schon ein Profi-Patient: Wenn mir morgens Blut abgenommen wurde, unterbrach ich nicht mal mehr das Frühstück, sondern kaute weiter mein Brötchen, während sich langsam die Ampulle füllte. Ich freute mich einfach über jeden kleinen Fortschritt. Außerdem durfte ich nun endlich Besuch außerhalb des engsten Familienkreises empfangen. Mein Trainer kam vorbei und versicherte mir, dass das Team an mich denken und ich selbstverständlich wieder spielen würde, sobald ich wieder fit sei. Später besuchten mich auch noch ein paar Spieler und einige Mitglieder unseres eigenen Porzer Karnevalsvereins. Ich hatte endlich Kontakt zu meinem Leben da draußen und wollte es so schnell wie irgendwie möglich wieder aufnehmen.
Mein Entschluss, jetzt alles auf die Entertainer-Karriere zu setzen, wurde dadurch noch einmal bestärkt. Ich nahm mir einen Block und einen Stift und begann an meiner Nummer für die Karnevalssession 1997 zu schreiben.
Ich war hochmotiviert und sagte mir: „Jetzt erst recht, jetzt greifst du an! All das hier war ein Zeichen, dass du eine Entscheidung treffen sollst. Und jetzt gib Gas und mach was draus!“
Kurz vor meiner Entlassung wurde ich dann zu einem Nuklearmediziner nach Siegburg zur Knochenmarkszintigraphie gefahren. Als ich ihm meine Bilder in die Hand drückte, reichte ihm ein kurzer Blick und er war sich