Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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fliegenden Fingern durch die Luft, als wollte sie sich selbst Aufwind verschaffen – prompt wieherte Arion los und trampelte so wild auf der Stelle, als fände er das zum Verrücktwerden komisch.

      Bei dem irren Lärm, den er veranstaltete, wachte der Mann unter der Weide nun endlich, endlich auf und schielte schlaftrunken durch die Lider. Ehe er sich versah, stolperte Viviane rückwärts über seine Füße und brachte ihn zum Aufjaulen, da sie mit voller Wucht auf seinen Oberschenkeln landete, mit beiden Ellenbogen voran.

      Arion ließ seine lange Silbermähne fliegen und stampfte noch ein letztes Mal auf, weil Viviane mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis formte – das Zeichen für ‚gut gemacht‘. Das gab sie immer, wenn sie mit ihm zufrieden war. Wenn er gekonnt hätte, hätte er das Zeichen gerne zurückgegeben, denn auch sie war recht geschickt im Tollen – fast so gut wie er.

      Tollpatschig drückte sie ihrem ausgewählten, gut gepolsterten Landeplatz die Ellenbogen nun in die Rippen. Ihre Hand rutschte über seinen Hals und würgte ihm die Luft ab, hastig riss sie die Finger weg und packte stattdessen seinen Unterarm … Sie rammte ein Knie in seinen linken Oberschenkel und schrammte mit dem anderen über das rechte Schienbein. Der Mann war währenddessen zu keiner Bewegung fähig, außer mit Händen und Füßen ein klein wenig zu zappeln. Und er konnte noch brüllen: „Run…ter v…on mir, du ver…dammtes W…eib!“

      „Welch missliche Lage“, lallte Viviane und stammelte etliche, allesamt schlecht verständliche Entschuldigungen, weshalb die Lage weiterhin misslich blieb, obwohl sie sich ehrlich beeilte.

      Kein Wort war gelogen. Sie beeilte sich wirklich, schön schmerzhaft auf die verschiedensten Stellen zu drücken, schließlich wollte sie wissen, wie kräftig ihr zukünftiger Gegner war, bevor sie sich ans Werk machte. Endlich ließ sie es gut sein und kam wieder auf die Füße.

      Sofort stellte sie sich neben Arion, tätschelte seinen Hals und schmiegte ihre Wange an seine Mähne. Von dort konnte sie gut sehen, wie dem Mann mit frappierender Geschwindigkeit die Zornesröte ins Gesicht stieg.

      „Das Fass ist voll!“, brüllte er und seine rechte Halsschlagader schwoll gefährlich an.

      „Was soll die traute Zweisamkeit?! Erst wälzt du mich wegen dieser Schindmähre platt und jetzt lobst du das Biest auch noch?! Bist du schwachsinnig, Weib? Oder bist du so irre wie das Vieh hier? Ich mach der alten Mähre den Garaus! Jetzt auf der Stelle!“

      Wild mit den Armen fuchtelnd versuchte er, sich hochzuhieven, und wälzte mit seinem Hinterteil das Gras unter der Weide platt. Das war das Einzige, was er ‚jetzt auf der Stelle‘ hinbekam; Viviane musste ihr Gesicht in Arions Mähne verstecken, bis sie es schaffte, mit dem Grinsen aufzuhören.

      „Was? War? Das?“, fragte sie einen Atemzug später mit drohendem Unterton und drehte sich langsam zu dem Schreihals um. Gut sichtbar ließ sie ihr Mienenspiel von erstaunt zu beleidigt wechseln, blieb bei ‚was für ein Trottel‘ stehen und wählte dazu die passende Stimmlage.

      „Das ist ein Hengst und keine Stute. Bist du betrunken, du da unten, oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall lass dir sagen: Mein Arion ist ein Guter. Ab und an bekommt er gern leichte Allüren. Aber – wie du sehen kannst, falls deine Augen doch was taugen – ich habe alles im Griff.“

      Provokant grinsend hob sie die Hand mit den Zügeln und reckte das Kinn. Wie erwartet, versuchte sich der Mann nun wieder auf die Füße zu stemmen, was diesmal auch gelang. Allerdings dauerte es reichlich lange, weil seine Augen ständig den tödlichen Blick suchten und sich dabei in die Quere kamen. Schließlich hatte er es geschafft, sich in voller Größe vor ihr aufzubauen, und konnte sehr gefährlich geradeaus gucken. Bestens. Er war nur etwas größer als sie, dafür dreimal so breit und von oben bis unten angriffslustig, wie erhofft. Die Finger um seine Schwertgriffe gekrallt, schäumte er regelrecht vor Wut und sein Gesicht war eine einzige Grimasse. Seine wässrig-blauen Augen zuckten wie irre zwischen vielen roten Flecken – seine Nase war der größte davon.

      „Arion?!“, johlte er und spuckte ein bisschen. „Habe ich richtig gehört? Wie kann man so dumm sein und ein graues Pferd Arion nennen! Bist du betrunken oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall …“

      Vivianes Augen wurden schmal. Sehr, sehr schmal.

      „Willst – du – mich – beleidigen?! Du Rotnase, du Trunkenbold!“

      Knurrend stemmte sie die Hände in die Hüften und trat an ihn heran. Jedes Wort betonend, fauchte sie: „Wer beim nächsten Lugnasad nicht mehr in den Maßgürtel passt, sollte keine großen Töne spucken. Ich an deiner statt würde weniger Met saufen und mich mehr bewegen, anstatt zu schlafen. Dann bleibt dir die Demütigung vor versammelter Mannschaft vielleicht erspart, du … du ranzige Speckschwarte!“

      Angeekelt rümpfte sie die Nase und konnte gut erkennen, wie es in ihm brodelte. Sie musste ihm nur noch ein kleines bisschen mehr einheizen. Hochmütig warf sie die Haare zurück, drehte sich um und stolzierte mit Arion Richtung Ufer – gemächlich wohlgemerkt, sie wollte ja nicht im Wasser landen.

      „Bleib stehen, du Furie! Steh, sage ich! Das wirst du mir büßen! Niemand beleidigt mich ungeschoren! Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir rede, du hochnäsiges Weib! Du dürre Kuh! Du hässliche alte Meckerziege!“

      Viviane hätte beinahe gekichert. Grinsend führte sie ihre Hände den Mantel hinauf zu der Stelle, wo die Filzwolle zusammengehalten wurde, nahe der linken Schulter, wie es für Rechtshänder günstig war. Ihre Finger tasteten über die große eiserne Fibel in Form eines Pferdes und sie dachte daran, wie ihr Vater diese Gewandschließe extra geschmiedet hatte, als sie von zu Hause wegging – damals, vor fast sechs Jahren. Mit einem Griff öffnete sie die Nadel und legte beides, Mantel und Fibel, auf den Sattel. Nun war sie bereit.

      „Bleib“, befahl sie Arion und senkte bedeutsam den Zeigefinger. Abrupt drehte sie sich um, nahm ihre Beute ins Visier und ging langsam darauf zu.

      „Du krakeelst wie ein alter Dachs mit Zahnschmerzen. Kein Wunder, wenn du sabberst.

      Ja, guck dich an, wie du aussiehst … so gesund wie ein Fliegenpilz. Wisch endlich den Geifer ab, ist ja eklig.“ Viviane rümpfte die Nase und wedelte sich frische Luft zu. „Und wie du aus dem Maul stinkst … merkst du das nicht oder hast du keinen Putzlappen?

      Bist wohl ein zahnloses Hutzelweib?!“

      „Was bin ich?!“ Brüllend riss er sein Kurzschwert aus der Scheide und stieß nach ihrer Kehle. Bloß, da war nichts mehr zum Aufschlitzen.

      Bevor er begriff, packte Viviane seinen Schwertarm, schlug ihm die Waffe ab und warf den Rest von ihm über ihre Hüfte. Dumpf landete er im Gras, doch zum Stöhnen blieb ihm keine Zeit. Viviane hielt immer noch seinen Arm umklammert und zog ihn übers Knie, ein grässliches Knacken ertönte und ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.

      „Sag ich doch, wie ein alter Dachs, jetzt allerdings mit Armschmerzen.“ Viviane trat zurück und wartete.

      Dass er weiterkämpfen wollte, hatte sie nicht erwartet, aber sein Blick sagte genau das.

      Natürlich war seine überschäumende Wut von Vorteil, sie durfte nur nicht seinen Kampfgeist unterschätzen. Sobald er sich auf die Beine gestemmt hatte und seinen nutzlos herabhängenden Unterarm befühlte, sprühten seine Augen förmlich Todesflüche zu ihr herüber. Wuchtig holte er mit dem rechten Bein aus.

      In ihre Magengrube wollte er treten? Na, da musste er früher aufstehen.

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