Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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weiten Satz auf der Fähre landete, ihr noch einmal winkte und mit seinen noch viel dünneren Armen den Sitz der Halteleinen überprüfte. Unvermittelt begann sie zu strahlen. „Er soll bald die schlimme Zeit verwunden haben“, murmelte sie vor sich hin. „Dafür werde ich sorgen.“ Ihr Blick glitt über die Wiese, wo Angus und Markus den Bewusstlosen mit sich schleppten, als wären sie drei Saufkumpane auf dem Heimweg. Schnaufend und schwankend holten die beiden Schwung und hievten den Mann in ihrer Mitte über den Wagenverschlag, wobei er mit dem Kopf gegen ein Weinfass stieß und blöde grinste. Angus und Markus schauten auf ihn herab, als überlegten sie, noch ein paar Fässer obendrauf zu stellen.

      Viviane konnte nur hoffen, dass sie ihre Fracht ordnungsgemäß abliefern würden.

      „Heute nimmst du die Zügel, Hanibu. Dina freut sich schon, von dir geführt zu werden. Nicht wahr, mein Mädchen?“

      Dina nickte übermütig und Viviane machte mit.

      Wie konnte Hanibu bei derart viel Überzeugungskraft Nein sagen? Zaghaft ergriff sie die Zügel. Viviane war ja bei ihr, es konnte also gar nichts schiefgehen. Sie war jedoch nicht nur aufgeregt, sondern auch sehr glücklich, weil Viviane ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte.

      „Sag mal, du schwarze Perle, wie hast du es eigentlich geschafft, dass die Männer das Anlegen der Fähre verpassen?“, fragte Viviane, nachdem sie ein Stück geritten waren und sie Hanibu nichts mehr erklären musste. Sie konnte das breite Grinsen zwar nicht sehen, aber sie hörte es aus Hanibus Antwort heraus.

      „Das war einfach. Erst habe ich Markus gefragt, ob er ein Weib habe. Er meinte, ja, er wäre seit Kurzem verheiratet. Da habe ich gefragt, ob es bei ihnen in der Hochzeitsnacht auch so zugeht wie bei uns. Prompt wollten alle von mir wissen, was eine Äthiopierin in der Hochzeitsnacht mit ihrem Mann macht. Weil ich nicht alles auf Griechisch ausdrücken konnte, habe ich noch mit Gestik und Mimik dargestellt.“

      „Oh, sehr schlau. Das hat sie bestimmt in deinen Bann gezogen.“

      Hanibu nickte übermütig. „Besonders Markus war ganz fasziniert.“

      „Kann ich mir vorstellen, du scheinst ihm zu gefallen. Aber was macht denn nun eine Äthiopierin in ihrer Hochzeitsnacht?“

      Hanibu kicherte. „Erst tanzt sie und dann lässt sie die Sterne tanzen.“

      „Sehr aufschlussreich.“ Viviane zog die Augenbrauen hoch. „Danke für die gute Ablenkung.“

      „Gern geschehen.“

      „Tut dein Arm heute mehr weh als gestern?“

      „Ein bisschen mehr, ja.“

      „Und deine anderen Blessuren?“

      Statt eine Antwort zu geben, seufzte Hanibu und wiegte den Kopf.

      „Man sollte rechtzeitig vorbeugen.“ Viviane streckte sich zu einem Weidenbaum, an dem sie gerade vorbeiritten, schnitt ein Ästchen ab und reichte es Hanibu. „Salix. Einfach drauf herumkauen, dann wird es mit der Zeit besser.“

      Schweigend ritten sie an vielen Feldern entlang, die rechts und links vom Weg lagen, alle durch dichte Haselnusshecken voneinander abgegrenzt. Auf manchen wuchs Gras und Kühe, Ziegen oder Schafe weideten darauf, andere waren sauber bestellt, und auf einigen wurde noch die Saat ausgebracht. Egal, wo sie vorbeikamen – die Bauern winkten ihnen schon von Weitem zu.

      Fröhlich grüßten sie zurück und Viviane rief ein lautes: „Guten Morgen!“

      „Es ist wahrlich ein guter Morgen – gar nicht kühl wie gestern.“ Loranthus atmete genüsslich ein und hielt sein Gesicht in die aufsteigende Sonne, während er sich in seinen neuen dicken Mantel kuschelte und die Kapuze gegen seine Wangen drückte. „Aber warum sind die Felder so klein und von Hecken umgeben? Ist das ein Sonnenschutz für heiße Tage oder soll das Gestrüpp das Viehzeug abhalten?“

      „Deine Denkweise ist nicht schlecht“, gluckste Viviane. „Vorrangig sind die Hecken wegen Bruder Wind da.“

      „Dein Bruder? Wo?“ Loranthus hielt die Hand über die Augen, um Vivianes Verwandtschaft ausfindig zu machen.

      „Nicht so ein Bruder. Bruder Wind. Der Wind, Loranthus. Verstehst du?“

      „Ach der.“ Loranthus war tatsächlich ein wenig enttäuscht. Rasch verzog er sein Gesicht zu einem nachsichtigen Lächeln und nickte. Beinahe hätte er auch etwas über ‚keltische Denkweisen‘ gesagt, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge beißen.

      „Die Hecken dienen vorrangig als Erosionsschutz“, dozierte Viviane, als hätte sie einen sehr wissbegierigen griechischen Schüler vor sich. Natürlich hatte sie selbst noch nie einen kennengelernt, dieser hier war der Erste. „So kann der Wind den fruchtbaren Mutterboden nicht abtragen. Vielleicht hast du noch nie einen rauen Wind hierzulande erlebt, aber ich versichere dir, Bruder Wind kann eine immense Kraft entwickeln. Mit Leichtigkeit wirbelt er die Erde auf, dann landet die gedüngte Schicht irgendwo, wo sie uns nichts mehr nützt, und unsere Erträge fallen geringer aus.“

      „Ihr düngt eure Felder? Ach so.“ Loranthus nickte eifrig.

      „Natürlich halten die Hecken auch Wildschweine, Rehwild und Rotwild ab“, redete Viviane weiter und gab ihrer Stimme einen lobenden Unterton, weil er artig lauschte.

      „Und wenn viele Haselnüsse an den Hecken hängen, kann man sich schon mal auf einen strengen Winter gefasst machen.“

      „Ganz schön schlau, wie ihr in diesen rauen Landen zurechtkommt.“ Gönnerhaft begutachtete Loranthus noch einmal die Felder, dann widmete er sich den kleinen Dörfern am Fluss. Auch sie waren, genau wie das Gasthausdorf, von Hagebuttenhecken umschlossen und hatten Gehege für die Tiere. „Diese separaten Umfriedungen für das Vieh, warum bestehen die immer aus Hainbuchenhecken? Könnte man da nicht auch Haselnusssträucher pflanzen? Nussöl soll sehr schmackhaft sein.“

      Viviane schmunzelte.

      „In den Gehegen werden vorrangig Schafe und Ziegen untergebracht. Nun musst du wissen, Loranthus, dass Hainbuchen ihr Laub im Winter nicht verlieren. Es wird zwar dürr, aber es bleibt dicht und hängt ganz fest am Zweig, selbst bei heftigen Winden. So schützen die Blätter der Hainbuche unsere Tiere vor der gröbsten Kälte und im Frühling werden die neu sprießenden Blattknospen zur ersten Nahrung.“

      Viviane deutete auf die nächstbeste Hainbuchenhecke, wo selbst auf Entfernung dürre Blätter neben frischen grünen zu sehen waren, und fügte noch an: „Natürlich schützen sie auch sicher vor wilden Tieren. Schau mal, wie dick das Geäst ist.“

      Loranthus nickte bedächtig. Er schürzte die Lippen, tippte den Zeigefinger dagegen und stützte sein Kinn mit dem Daumen ab. Seine obligatorische Denkerpose – das wusste Viviane mittlerweile und freute sich, wie aufmerksam er rundum blickte.

      Auch Hanibu sah interessiert hierhin und dorthin. Plötzlich zeigte sie zu einem Berg, der einen Wachturm auf seiner Kuppe hatte. „Da oben blinkt es seltsam!“

      „Das sind bloß Lichtsignale, die sich die Wachtürme senden. Wahrscheinlich hat Aodhrix von uns erfahren und verteilt die Neuigkeiten jetzt von Warte zu Warte im ganzen Land.“ Loranthus machte ein verständnisloses Gesicht, und Viviane erklärte geduldig: „Die Wirtsleute gehören zu seinem Clan. Der Wirt ist garantiert einer seiner Krieger und muss nicht mal auf die Burg, um ihm über jeden Gast Bericht zu erstatten. Bestimmt hat auch

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