Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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      Hanibu schnupperte. „Ich rieche nur Wiese. Was meinst du?“ Sie sah sich um und rückte dichter an Viviane heran.

      „Es windet wie Wildschwein.“ Viviane steckte den Zeigefinger in den Mund, hielt ihn in die Luft und zeigte zum Waldrand. „Das kommt eindeutig von dort, wo Loranthus verschwunden ist.“

      „Du gibst auch einen prima Hund ab, wenn es mit dem Schaf nichts wird“, gluckste Hanibu.

      „Ich mach keinen Quatsch, es ist sehr ernst, Hanibu. Wildschweine flüchten zwar lieber, wenn man ihnen zu nahe kommt, aber die Sauen haben jetzt gerade Nachwuchs. Da kennen die weder Freund noch Feind und greifen an.“

      „Du meinst, sie könnten Loranthus töten?!“ Hanibu schlug die Hände vor den Mund.

      Viviane sprang auf und befahl: „Du bleibst bei den Pferden. Wenn etwas schiefgeht, steigst du auf Dina und reitest, so schnell du kannst. Sie kennt den Weg, Arion wird ihr folgen.“

      „Was meinst du mit ‚schiefgeht‘? Was hast du vor?!“

      „Erstens: Wenn die Sau in deine Richtung läuft. Zweitens: Ich werde Stachelbeere suchen.“

      Hanibu verstand nicht ganz, doch Viviane rannte schon und so musste sie selbst eins und eins zusammenzählen. Rasch hob sie die Mäntel auf, stellte sich zu den Pferden und schaute Viviane nach, die zwischen ein paar Büschen verschwand.

      Ohne den Blick von dieser Stelle zu lassen, wickelte sich Hanibu in ihren Mantel und versuchte, ihn mit der Fibel zu fixieren. Es gelang ihr erst beim dritten Versuch, die Nadel durch den dicken Filz zu stechen und festzuklemmen, ihre Finger zitterten. Jetzt war sie ganz allein in einer fremden Welt und sie konnte nur eines tun: ihren uralten Gott, Sama, bitten, Viviane und Loranthus wohlbehalten zurückzuschicken.

      Inbrünstig presste Hanibu die Fäuste an ihre Lippen und rief ihn an, denn wenn einer ihre Bitte erhörte, dann ‚der Hörende‘ selbst. Um sich selbst hatte sie keine Angst. Sie konnte mit den Pferden fliehen. Aber was wollte ihre Freundin tun, wenn die Sau auf sie zukam?

      Viviane bewegte sich gegen den Wind, denn Wildschweine konnten bestens riechen, auch wenn sie nicht besonders gut sahen. Sie hingegen tat sich gerade mit beidem schwer; im Wald war es viel komplizierter, dem Geruch zu folgen und gleichzeitig nicht über Loranthus zu stolpern. Mit seinen neuen Kleidern in Braun und Grün-Gelb war er zwischen all den sprießenden Bäumen und Sträuchern und dem alten Laub auf regenfeuchtem Boden bestens getarnt. Obwohl, so weit konnte er eigentlich nicht gegangen sein, schließlich hatte er es eilig und dürfte sich hinter den erstbesten Sichtschutz gehockt haben.

      Argwöhnisch fuhr Viviane herum und musterte den Waldrand, dann ging sie weiter und lugte hinter jeden Busch, jeden dicken Baum, bis sie zu extrem dichtem Unterholz kam. Vor diesem Gestrüpp hätte Loranthus garantiert haltgemacht, doch als Unterschlupf, als Kessel für Frischlinge, war es geradezu ideal.

      Leise postierte sie sich hinter einer alten Eiche, kniff die Augen zusammen und spähte ins Zwielicht.

      Die Sonnenstrahlen schienen mit den spärlichen Blättern zu tanzen, sanft wiegten sich Gräser im Wind, Bienen summten von Blüte zu Blüte, ganze Teppiche von Waldmeister und Buschwindröschen bedeckten den Boden. Die Düfte waren derart intensiv, dass sie sogar den überdeckten, der ihr wichtig war.

      Sorgfältig prüfte sie noch einmal die Windrichtung, bevor sie weiter schlich. Es ging einigermaßen, im Gegenwind zu bleiben und regelmäßig den Geruch zu kontrollieren – zu dumm nur, dass sie vergessen hatte, den Wasserschlauch abzuhängen. Nun musste sie ihn fest an sich pressen, damit es darin nicht gluckerte.

      Abrupt blieb Viviane stehen. Der Geruch nach Wildschwein wurde stärker. Sehen konnte sie noch nichts, aber das war gut für ihren Plan.

      Bedächtig öffnete sie eine ihrer vielen Gürteltäschchen, fischte eine Holzdose heraus, zog sie auseinander und kippte einen grauen Flaum heraus. Diesen knautschte sie ein wenig in der Hand, während sie im Bogen weiterging, sich in den Wind hinein bewegte … sachte, ganz sachte, bis er von hinten kam und der Flaum in ihrer Hand vom Sog ergriffen wurde. Rasch knautschte sie ihn stärker, hielt ihn in den Wind und schaute sich nebenbei um.

      Drei Schritt rechts von ihr ragte eine Hainbuche in die Höhe, zehn Schritt vor ihr ein wild wucherndes Himbeergestrüpp. Falls die Sau wider Erwarten dort herausbrechen sollte, musste sie schnell sein; die Hainbuche war nicht ideal, sah aber recht stabil aus.

      Natürlich hoffte sie, dass dieser Notfall nicht eintreten würde.

      Sanft strich sie über den grauen Flaum, zerpflückte ihn leicht, blies hinein, lauschte, bewegte den Arm auf und ab, blies wieder in den Flaum, lauschte, bewegte den Arm … Es schnaubte hinter dem Gestrüpp.

      Die Sau schnaubte lauter, schnüffelte, grunzte, dann rannte sie quiekend davon. Zum Kessel mit ihren Jungen, da war sich Viviane sicher, aber die Himbeeren vor ihr waren einfach zu dicht, um es zu sehen. Also wartete sie noch eine Weile und horchte.

      War da nicht ein leises Wimmern? Es hörte sich nicht wie Wildschwein an. Zielsicher lief sie los und schlängelte sich mit erhobenen Händen durch die Hecken; es ging leichter als gedacht.

      Kurz darauf stand sie vor einer lang gestreckten Lichtung mit weichem Bärenfellgras, Wiesenblumen und einem Bach, der sich um große Steine wand und voll schillernd bunter Kiesel war. Sein Plätschern hatte etwas Besonderes, fand Viviane, es hörte sich fröhlich an, vergnügt. Auf der anderen Seite wiegte sich ein junger Birkenhain im Wind, seine Blätter raschelten leise und schimmerten grün-golden in der Sonne; sie hatten etwas Beschauliches an sich, etwas Ruhiges, Friedliches.

      Hier war ein Ort, wo Feen lebten, mit Sonnenstrahlen um die Wette flogen, auf Flusssteinen tanzten, in Blütenkelchen ruhten und nachts im Mondlicht badeten. Verträumt steckte sich Viviane eine Handvoll Gänseblümchen in den Mund und sah sie vor sich, die Feen, wie sie durch die Lüfte schwebten auf zarten Flügeln mit seidigem Schimmer in wundervoller Farbenpracht. Fröhlich flatterten sie von Blüte zu Blüte, tranken Nektar und …

      „Ist das wahnsinnige Vieh weg?“, blökte ein Schaf und rupfte an einem azurblauen Vergissmeinnicht, auf dem sich gerade eine Fee mit zitronengelben Flügeln sonnte.

      Viviane zuckte zusammen, hob den Kopf und schüttelte ihn verwirrt. Nun hatte sie so einen schönen Tagtraum gehabt, bis dieses blökende Schaf aufgetaucht war und alles zerpflückt hatte. Vom wundersamen Feen-Volk war nichts mehr zu sehen, aber wenigstens waren die schönen Blumen noch da. Das Schaf seltsamerweise auch.

      „Ich habe gefragt, ob die irre Sau weg ist, Viviane!“, blökte es noch lauter, diesmal vom Birkenhain aus. Das Schaf, genauer, Loranthus, hockte hoch oben auf der dicksten Birke und spähte ängstlich durch die Blätter. Viviane fragte sich tatsächlich für einen Moment, ob sie immer noch träumte. Sie musste sich erst einmal die Hand vor den Mund halten, um ein Kichern zu unterdrücken, bevor sie ihm antwortete. „Du kannst dich runtertrauen, die kommt so schnell nicht wieder.“

      „Na, hoffentlich.“

      Vor sich hin grummelnd hangelte Loranthus von Ast zu Ast und baumelte eine Weile am untersten, bis er endlich losließ. Ächzend landete er im weichen Gras drei Handbreit unter sich.

      Viviane schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte einen Hustenanfall, während Loranthus mittels der Steine über das Bachbett trippelte; sie beobachtete ihn genau durch die Finger hindurch. Er hatte etliche Kratzer an Händen und Gesicht, sonst sah er den Umständen entsprechend gut aus und konnte sich auch recht geschmeidig

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