Ressentiment. Robert Müller
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8. Wider das Ressentiment Das Ressentiment im Anderen Das Ressentiment in mir
VORWORT
Eine Philosophie, die nicht bei den Menschen ihrer Zeit beginnt, die nicht ihre drängenden Fragen, ihre Nöte und Ängste bedenkt, ist obsolet. Sie muss mit dem Leben der Menschen, über die und für die sie nachdenkt, intim sein. Nur dann werden spezialisierte Philosophensorgen zu Menschheitsangelegenheiten. Aktualität und Praktikabilität sollten aber nicht der alleinige Fokus der Philosophie sein – ihr Ursprung gleichwie ihr Ziel sind grundsätzlicher, vollumfänglicher. Sie darf sich nicht in den Fragwürdigkeiten ihrer je spezifischen Zeit erschöpfen – gerade in ihrem weit darüber hinaus reichenden Horizont scheinen Perspektiven, ja Antworten auf, für die das ›Tagesgeschäft‹ oft blind ist.
Emblematisch zeigt sich dies am Phänomen des Ressentiments. Das maßgeblich von Nietzsche in den philosophischen und schließlich allgemeinen Sprachgebrauch eingebrachte Theorem gilt nicht nur aus moralphilosophischer, sondern auch aus sozialpsychologischer, religionssoziologischer und politologischer Perspektive als einer der wichtigsten Beiträge zur modernen Kultur- und Geistesgeschichte. Zugleich schillert in diesem Begriff eine Tagesaktualität, die greifbarer kaum sein könnte. Heute erleben wir den politischen Aufstieg des Populismus bis ins Herz der vormals stabilen westlichen Demokratien. Das Ressentiment ist zweifelsfrei ein Aspekt in einer immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Gemengelage, der diesen Aufstieg begünstigt. Gerade darum ist es heute eminent wichtig, sich mit ihm auseinanderzusetzen – aber eben nicht verkürzt auf die Spezifika der aktuellen Inkarnationen der Populisten, sondern grundsätzlich und grundphilosophisch. Denn das Ressentiment ist keine Neuerung und der Populismus nicht seine einzige Folge. Es ist ein unheimlicher Gast, um mit Nietzsche zu reden, der wohl schon, so hartnäckig wie ungebeten, unter Menschen weilt, seit Menschen Gemeinschaften bilden. Erst von hier aus – vom umfassenden Verständnis des Ressentiments – ergibt sich ein umso klarerer Blick auf die gegenwärtige Situation.
Ressentiment und Populismus stehen in einer tiefgreifenden, wechselseitigen Beziehung. Augenscheinlich ist, wie gesellschaftlich bestehendes Ressentiment so hemmungs- wie verantwortungslos von den Populisten als Machttechnik instrumentalisiert und somit potenziert und radikalisiert wird. Bei näherer Betrachtung erweist sich umgekehrt das Ressentiment als eine Denk- und Gefühlsstruktur, die Voraussetzung und Grundbedingung für den Populismus ist und ihn wesentlich hervorbringt. Ressentiment fungiert solcherart als Wiege des Populismus. Es eignet demjenigen, dem die eigene Identität sowie der Wert derselben zutiefst fragwürdig geworden ist – angesichts tatsächlicher oder vermeintlicher Unrechtserfahrungen, Verwundungen, Erniedrigungen, und scheinbar unüberwindbarer Ohnmacht. Es äußert sich in dem verzweifelten wie fehlgeleiteten Versuch, Ohnmacht in Macht und Selbstzweifel in Selbstgewissheit zu verkehren – auf Kosten des Anderen, des Fremden, des noch Schwächeren und erst recht Machtlosen. Die Feindbildkonstruktion ist die zentrale Funktion des Ressentiments, die Freund/Feind-Logik das zentrale Prinzip der ressentimentversehrten Gesellschaft.
Die vorliegende Studie untersucht das Ressentimentphänomen sowie die schrittweise Ausweitung der Kreise, die es zieht: es ist ein primär individualpsychologisches Phänomen. Daher sind zunächst die intrasubjektiven Mechanismen, die Ressentiment hervorrufen, und die Art und Weise, wie sie die Persönlichkeit überformen, Gegenstand der Betrachtung. Es hat darüber hinaus wesentlich ein sozialpsychologisches Potenzial. Folgt man ihm auf die intersubjektive Ebene, kommen seine sich zuerst im mikro- und schließlich im makrosoziologischen Raum entfaltenden Wirkmechanismen in den Blick. Dabei zeigt sich, wie das Ressentiment von politischen Akteuren als Machttechnik instrumentalisiert wird und welche Folgen dies für die Gesellschaft hat. In der eingehenden Auseinandersetzung mit dem Ressentimentbegriff im Kontext von Nietzsches Thesen zur Entstehung von Moral zeigt sich ein noch weiter gefasster Wirkungskreis: auf einer sozusagen ›völkerpsychologischen‹ Ebene deutet Nietzsche das Ressentiment als einen der zentralen Faktoren in der Entstehung der europäischen Kultur insgesamt. Darauf folgt eine umfassende Kritik der bisherigen Befunde sowie der Wirkungsgeschichte des Ressentimentbegriffs. Das Schlusskapitel deutet schließlich in groben Linien Widerstandskräfte gegen die Mechanismen des Ressentiments, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene, an.
Dieser Essay will ein philosophisches (das heißt aus Leidenschaft zur Erkenntnis), ein eminent aufklärerisches Angebot zur Orientierung und reflexiven Vergegenwärtigung sein: er dient nicht zuletzt der Bewusstmachung der eigenen unvermeidlichen Versuchung durch und Verstrickung in das Ressentiment – der permanenten Gefahr, sich für die scheinbar leichtere, nämlich ressentimentale Lösung zu entscheiden, die gerade in dem Bemühen lauert, sich von Ressentiment und Ressentimentmensch zu distanzieren. In dem Streben, sich über die Ursachen des Ressentiments, seine im Unbewussten wirkenden Mechanismen und seine zutiefst verfängliche innere Logik Rechenschaft abzulegen, gründet die Hoffnung, die in uns allen abrufbaren dunklen Kräfte – wie Hass und Verachtung, Neid und Racheverlangen, Furcht und Verbitterung – zu lichten und einzuhegen, ihnen Widerstandskräfte entgegenzusetzen und sie konstruktiv zu wenden. Denn das Ressentiment birgt immer das Risiko, sich ihm anzuverwandeln, wenn man es zu bekämpfen sucht, seinerseits der unseligen Freund/Feind-Logik zu verfallen und so seine realitätsverzerrende und autosuggestive, seine feindselige, ausgrenzende und zersetzende Wirkung noch zu verstärken. Diesem Risiko trotzt, wer dem fehlgeleiteten Selbstbehauptungszwang auf Kosten des Anderen die Gelassenheit innerer Souveränität entgegen setzt.
Res|sen|ti|ment [rɛsãti'mã:, rǝ…], das; -s, -s [frz. Ressentiment = heimlicher Groll, zu: ressentir = lebhaft empfinden] (bildungsspr.): auf Vorurteilen, Unterlegenheitsgefühlen, Neid o.Ä. beruhende gefühlsmäßige, oft unbewusste Abneigung.1
Res|sen|ti|ment […] 2. (Psychol.) das Wiedererleben eines (durch das Wiederbeleben verstärkten) meist schmerzlichen Gefühls.2
Ressentiment (v. lat. resentire, nachfühlen), Bez. für ein unterschwelliges Haß- u. Rachebedürfnis, das aufgrund eines wiederholten Erlebens einer unbewältigten schmerzl. Situation entsteht. Im Ggs. z. Neid resultiert das R. aus einer existentialen Mißgunst, nicht aus dem Begehren eines erwerbbaren Gutes.3
Ressentiment (franz.), Nacherleben eines früheren Gefühls und deshalb Verstärkung dieses Gefühls; bes. […]: Gegengefühl, Vergeltungs-, Rachegefühl, Bedürfnis nach Abwertung der Qualitäten und Leistungen des Anderen, Gefühl des ohnmächtigen Hasses, den der sozial und geistig tiefer Stehende gegen den Vornehmen und Mächtigen empfindet.4
Ressentiment. 1. Französische Wortgeschichte. – Das Wort ‹R.› gehört wie ‹Milieu› zu jenen Begriffen aus der französischen Sprache, für die es in keiner anderen Sprache ein