Ressentiment. Robert Müller
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(5) Schließlich wird das Ressentiment selbst verdrängt. Im Zuge dieser Entwicklung ins immer Unkonkretere und Objektlosere werden die ressentimentalen Affekte selbst zunehmend an den Rand des Bewusstseins und schließlich darüber hinaus gedrängt. Neben der Diffusion in unkonkrete Objektlosigkeit, führt die nun schon lange währende Gewöhnung an die schon so lange dominanten Affekte dazu, dass sie für den Ressentimentalen selbst immer weniger erfahrbar sind. Die Ressentimentaffekte rücken immer stärker von der Peripherie ins Zentrum des Gefühlshaushaltes – sie wandeln sich von einer eigenständigen, deutlich unterscheidbaren Facette innerhalb desselben zur Matrix des Gefühlshaushaltes, sie gerinnen zur Grundform des Fühlens, die nun wiederum all seine Facetten allmählich durchsättigt. Der Ressentimentmensch merkt irgendwann gar nicht mehr, dass er vor Ressentiment grollt, dass er ressentimentvoll ist. In den am weitesten fortgeschrittenen Stadien der Verdrängung schlägt das Ressentiment schließlich in einen »allgemeine[n] Wertnegativismus« um, »eine ganz unbegründet erscheinende und scheinbar regellos hervorbrechende, plötzliche haßerfüllte Ablehnung selbst gegen Dinge, Situationen, Natur-Objekte, deren losen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Objekt des Hasses nur eine schwierige Analyse finden kann«.24
Dies ist ein eminent kritischer Punkt der Ressentimentbildung. Auf ihrem Drift ins immer Unkonkretere und Objektlosere werden die Ressentimentaffekte zunehmend »entrealisiert«. Wiehl meint mit diesem unrümpfigen aber sehr treffenden Wort: sie »verlieren […] den Sinn für die Realität, für die Wahrheit, und fixieren sich in negativer Einstellung auf Ersatzgegenstände«.25 Die Entrealisierung bewirkt eine erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigung des Wahrnehmungsapparats. Aufgrund der Diffusion der Ressentimentaffekte lösen sie sich von ihrem eigentlichen Entstehungsgrund, von ihren ursächlichen Auslösern, werden fundamentlos. Sie verlieren ihren Bezug zur Realität. Die ›objektive‹ Realität verliert innerhalb des Wahrnehmungs- und Verarbeitungsaktes die Deutungshoheit über das Geschehen. An ihre Stelle als diejenige Größe, die den Geschehnissen und Erlebnissen ihre Färbung, ihre Tendenz und Ausdeutung verleiht, tritt der Erfahrungshorizont des Ressentimentmenschen – und dieser ist maßgeblich durch das Ressentiment überformt: durch die Erfahrung der eigenen Unterlegenheit und Wertlosigkeit, die Erfahrung des Anderen als Überlegenen und Kränkenden, durch den Verdacht, dass ›der Andere‹, jeder Andere eine Bedrohung ist und potenzielle Quelle seines Leidens, durch die seelische Vergiftung, die ihn bitter macht und hoffnungslos.26 »Das Ressentiment statuiert [somit] einen Kreislauf sich selber bestätigender Erwartungen«.27 Olschanski etwa charakterisiert den Ressentimentmenschen als »desituiert« – er reagiere »nicht auf die Eindrücke […], die er unmittelbar empfängt«, sondern auf längst erlittene Wunden und Kränkungen, die im aktuellen Geschehen lediglich neu aufbrechen, dieses zugleich überschatten und eine neue – alte – Deutung aufprägen.28 Schoeck spricht gar von einer »systematische[n] Destruktion […] der einzelnen konkreten Lebenserfahrung«, so dass der Ressentimentale »überhaupt nur mehr das, was seiner Gefühlslage entspricht« sieht und erlebt. Das Ressentiment habe eine »die Struktur und Prozesse des Wahrnehmungsaktes beeinflussende Natur«. – »Der ganze Wahrnehmungsapparat« sei darauf eingestellt, »aus der Wirklichkeit nur das herauszuschneiden«, was das Ressentiment bestätigt und bestärkt.29 Die sich so herausgebildete Struktur prägt den Erlebnishorizont des Ressentimentmenschen in einem weit größeren Umfang, als es seine tatsächlichen Interaktionen mit dem Anderen tun. Der kausale Nexus zwischen dem tatsächlichen Handeln des Anderen und der Empfindung, die dieses im Ressentimentmenschen auslöst, löst sich auf. Er beginnt in dem Geschehen, das ihm widerfährt, das zu sehen, was er braucht, um die psychologischen Abwehrmechanismen – die ihn (scheinbar) vor der Selbstentfremdung retten – plausibilisieren zu können: braucht er äußere Gründe und widrige Umstände für die eigene prekäre Lage und die Machtlosigkeit, daran etwas ändern zu können; braucht er Schuldige, die ihn erst in diese Lage gebracht haben; braucht er Feindbilder, von denen er bekämpft wird – und entscheidender: die er bekämpft, gegen die man sich abgrenzen kann, gegenüber denen man das eigene geschundene, fragwürdig gewordene Selbst profilieren kann; braucht er den Anderen, den man verachten und entwürdigen kann, auf den man herabblicken kann, um sich selbst an diesem Anblick aufzurichten? Hier nun beginnt der Ressentimentale, selbstbildstabilisierende Mechanismen im systematischen Stil hervorzubringen, um die unerträglich werdende Spannung zwischen seinen Affekten und der Unfähigkeit, sie gegen diejenigen Objekte angemessen auszuagieren, die sie ursprünglich in ihm ausgelöst haben, abzubauen, indem er sie auf und gegen Ersatzobjekte richtet. Die Diffusion der Ressentimentaffekte – ihre Entkoppelung von den sie ursprünglich auslösenden Objekten – ist dafür Grundlage und Ermöglichungsbedingung.
Sie gibt allerdings zugleich Raum für die Möglichkeit, dass sie sich nicht bloß relativ willkürlich gegen Ersatzobjekte zu richten beginnen, sondern auch gegen ihr Subjekt selbst. Dann kommt es zur Internalisierung der ressentimentalen Affekte: da ihnen die Entladung nach außen versagt bleibt, bleiben sie nicht nur in ihrem Träger, stauen sich in ihm auf, und prägen sein Fühlen und Empfinden – sie richten sich schließlich auch noch gegen ihn selbst. So verschärfen sie sogar die prekäre Situation des Ressentimentalen, erhöhen noch einmal den Druck auf sein problematisches Selbstbild und sein Selbstverhältnis: »es tritt der Zustand des ›Selbsthasses‹, der ›Selbstqual‹, des ›Rachedurstes gegen sich selbst‹ auf«.30 Insofern kann man die Internalisierung der Ressentimentaffekte als katalytisches Moment deuten, das die selbstbildstabilisierenden Maßnahmen nur umso dringlicher macht – das den Ressentimentalen schließlich über den Rand des Abgrunds treibt.
SELBSTBILDSTABILISIERENDE MASSNAHMEN
Den selbstbildstabilisierenden Maßnahmen, die auf der Diffusion der Ressentimentaffekte aufbauen und sich aus ihr heraus entfalten, eignet als zentrales Element die Instrumentalisierung ›des Anderen‹ – genauer: der Antagonismus zum Anderen. Es kommt zu einer mehrschichtigen Feindbildkonstruktion. »Der Mensch des Ressentiment […] bedarf des gehaßten Feindes«, er bedarf »jener Umwelt von Bösen«.31 Die Hervorbringung dieser Feindschaft, wird nun zur zentralen Funktion des Ressentiments für seinen Träger. Hierauf läuft seine innere Logik hinaus: auf die Entlastung des eigenen Selbstbildes auf Kosten des Anderen – der durch den vom ressentimental vorgeprägten Erlebnishorizont her verzerrten Wahrnehmungsapparat zum Feind umgesehen und umgedeutet wird.
Dann kommt es etwa zur Schuldfrage – und zur Schuldverlagerung. Aus der Schmach der eigenen Unterlegenheit, dem Minderwertigkeitsgefühl und der immer wieder als überwältigend empfundenen Ohnmacht entwächst eine Suchbewegung nach den ›wahren‹ Schuldigen für die eigene Misere. Der Ressentimentmensch benötigt sie, um sich seine prekäre Lage, sein Versagen zu erklären und sich gleichsam vor sich selbst zu rechtfertigen. So projiziert er die Schuld auf andere: nicht die eigenen Unzulänglichkeiten haben ihn in diese Lage gebracht – es waren die Anderen, die ihn niederhalten und unterdrücken; es waren die Anderen, die ihn verraten haben, ihn in seinem Wohlwollen hintergangen haben; immer die Anderen, die sich gegen ihn verschworen haben. Die Externalisierung der Schuld an der eigenen Lage ändert noch nichts an seiner Lage – doch der Ressentimentmensch erfährt zumindest dadurch, dass er nicht auch noch die Schuld an ihr trägt, eine Entlastung seines Selbstbildes. Er kann sich davon frei sprechen. Doch darüber hinaus erwächst ihm auf diese Art ein Schuldiger, dem er wenigstens wieder grollen kann, den er – anders als sich selbst – hassen und verachten, anklagen und verurteilen, gegen den er auf Rache sinnen kann. »[J]eder Leidende nämlich sucht instinktiv zu seinem Leid eine Ursache; genauer noch, einen Thäter, noch bestimmter, einen für Leid empfänglichen schuldigen Thäter, – kurz, irgend etwas Lebendiges, an dem er seine Affekte thätlich oder in effigie auf irgend einen Vorwand hin entladen kann«.32 Die damit in Gang kommende Abfuhr all seiner Ressentimentaffekte allein verschafft ihm in seiner Situation bereits Erleichterung.
In engem Zusammenhang mit der Schuldverlagerung steht ein psychologischer Mechanismus, den Scheler als »Kausaltäuschung« beschreibt. Danach neigt der Ressentimentale dazu, eine kausale Verknüpfung des eigenen