Ressentiment. Robert Müller

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Ressentiment - Robert Müller

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wünscht und unter dessen Ermangelung er zutiefst leidet. Neid an sich ist ein wesentlicher Bestandteil des Ressentimentphänomens. Er führt aber gerade und vor allem dann zur Ressentimentbildung, wenn er sich nicht auf erwerbbare ›Güter‹ oder ›Werte‹ bezieht – bei denen immerhin die reale, mindestens theoretische Möglichkeit besteht, sie sich anzueignen –, sondern auf grundsätzlich Unerwerbbares. Je ohnmächtiger der Neid wird, je unerreichbarer das Geneidete, desto unerträglicher ist er. Der Neid, der am stärksten zur Ressentimentbildung neigt, ist der auf »das individuelle Wesen und Sein einer fremden Person« gerichtete – ein Phänomen, für das Scheler den Begriff »Existentialneid« prägt. »Dieser Neid flüstert gleichsam fortwährend: ›Alles kann ich dir verzeihen; nur nicht, daß du bist und das Wesen bist, das du bist; nur nicht, daß nicht ich bin, was du bist; ja daß ›ich‹ nicht ›du‹ bin.‹ Dieser ›Neid‹ entmächtigt die fremde Person von Hause aus schon ihrer bloßen Existenz, die als solche als ›Druck‹, ›Vorwurf‹, furchtbares Maß der eignen Person empfunden wird«.15

      Die ressentimental überformte Selbsterfahrung erweist sich solcherart als Bürde, als Zumutung. Die Erosion des Selbstwertgefühls und die schleichende Verstetigung von Affekten wie Rache oder Neid, Wut oder Bitterkeit zum Ressentiment werden vor allem durch »dauernde, kontinuierlich als ›verletzend‹ empfundene und der Willensmacht des Verletzten entzogene Zustände« begünstigt, die dieser aus eigener Kraft nicht zu ändern oder zu überwinden vermag, und so von ihm schließlich wie »als Schicksal empfunden wird«.16

      Mit der Akkumulation der durchweg negativen Ressentimentaffekte und ihrem Einsinken ins Zentrum der Persönlichkeit beginnen sie, allmählich toxisch zu werden. Das sich herausbildende Ressentiment ist eine schleichende Selbstvergiftung. Nietzsche bezeichnet den ressentimentalen Menschen als »Ohnmächtigen, Gedrückten, an giftigen und feindseligen Gefühlen Schwärenden«.17 An anderer Stelle schreibt er: »Einen Rachegedanken haben und ausführen heisst einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vorübergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Muth, ihn auszuführen, heisst ein chronisches Leiden, eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen«.18 Derjenige, der dazu neigt, diese potenziell giftigen Gefühle situativ auszuagieren, neutralisiert den Vergiftungsherd, bevor er um sich greifen kann. »Ein solcher Mensch schüttelt eben viel Gewürm mit einem Ruck von sich, das sich bei Anderen eingräbt«.19 Doch bei den zum Ressentiment Neigenden bleibt der Giftherd unbehandelt und breitet sich mit der Zeit immer weiter aus. Und mit der Zeit, »wächst bei ihnen der Hass in’s Ungeheure und Unheimliche, in’s Geistigste und Giftigste«.20 Die Vergiftungserscheinungen, unter denen der Ressentimentmensch leidet, sind zunächst nicht akut. Ebenso wie das Ressentiment sich nur in einem langwierigen, schleichenden Prozess formt, baut sich auch nur langsam ein toxischer Spiegel auf. Je länger dieser Prozess andauert, desto tiefer senken sich die Giftstoffe sozusagen ins Gewebe – und desto schwerer lassen sie sich dann auch wieder aus dem System hinaus schwemmen.

      Das Ressentiment befördert eine »peinvolle Spannung« zwischen den Ressentimentaffekten auf der einen Seite und der Ohnmacht auf der anderen Seite herauf. Einerseits sind die genannten Affekte derart stark, dass sie einen zu zerreißen drohen und darum nicht länger einfach unterdrückt bleiben können. Andererseits verhindert das durchdringende Gefühl der Ohnmacht die effektive Abfuhr der Affekte. Es gehört zu den zentralen Aspekten des Ressentiments, dass dieser Widerspruch nicht aufgelöst werden kann, dass der Ressentimentale unaufhebbar zwischen diesen beiden Polen gefangen ist.21 Die daraus resultierende Spannung, die ja zum Grund- und Lebensgefühl des Ressentimentmenschen, zum basso continuo seiner Selbsterfahrung geworden ist, wird mit der Zeit immer unerträglicher – bis es schließlich zu alternativen Formen des Spannungsabbaus kommt. Hier nun beginnt das Ressentiment, psychologische Abwehrmechanismen gegen die von ihm selbst verursachten psychischen Nöte auszubilden.

       2. RESSENTIMENTBILDUNG, SEKUNDÄR

      Die beschriebene Affekthemmung aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus, das daraus resultierende wiederholte Durchleben und Durchleiden der eigenen Niederlagen, der eigenen Unterlegenheit sowie der Demütigung durch den Überlegenen, die allmählich toxisch wirkende Akkumulation der nicht ausagierten und damit nicht befriedigten, nicht befriedeten Affekte, mithin die unweigerliche Beschädigung des eigenen Selbstverhältnisses – all das lässt sich als erste Ebene einer Morphologie des Ressentiments beschreiben. Die zweite Ebene seiner Morphologie ist gekennzeichnet von der Ausbildung psychologischer Abwehrmechanismen gegen die eigenen Folgen. Es gehört allerdings zur inneren Logik des Ressentiments, dass diese gerade nicht auf die ihm eigentlich zugrunde liegenden Ursachen, die tatsächlichen Urkonflikte im Inneren des Ressentimentalen selbst zielen, sondern auf die Konstruktion alternativer, außerhalb seiner selbst verorteter Problemursachen und Konfliktszenarien. Diese Abwehrmechanismen erfüllen damit zwar eine Funktion für den Ressentimentalen: sie stabilisieren das beschädigte Selbstverhältnis, lindern (zumindest zeitweilig) das Leiden an sich selbst und machen das Dasein und das eigene Sosein überhaupt erst wieder erträglich.22 Vor allem aber dienen sie zur Camouflage der eigentlichen im eigenen Selbst grundgelegten – und eben deswegen so hochproblematischen – Urkonflikte. Sie führen gerade deswegen aber auch zur Verstärkung und Verfestigung derselben, befeuern damit das Leiden an sich selbst und verstärken somit letztlich die ressentimentale Umklammerung der Persönlichkeit. Der Ressentimentmechanismus wird dadurch nicht bloß chronifiziert – er reproduziert zugleich unaufhörlich die Bedingungen, unter denen er sich weiter etabliert und als grundlegender Persönlichkeitszug stabilisiert. Erst durch die psychologischen Abwehrmechanismen gegen das Ressentiment gelangt das Ressentiment zu seiner vollen Entfaltung. Sie sind ein wesentlicher und notwendiger Aspekt desselben und können nicht von ihm getrennt werden.

      Die Verbindung des Ohnmachtsgefühls als »ausgeprägte[s] Bewußtsein des ›Nichtkönnens‹« mit einem »starken unlustvollen Depressionsgefühl« sowie »Furcht, Angst, Eingeschüchtertheit« bildet Scheler zufolge mächtige »seelische Verdrängungsmächte« aus. Sie setzen einen mehrstufigen Verdrängungsprozess in Gang. (1) Wenn die Ressentimentaffekte zunächst auf ein konkretes Objekt – etwa eine bestimmte Person – und eine konkrete Situation – ein kränkender Akt dieser Person – gerichtet waren, gehen sie nun auf diese Person selbst über. Die ressentimentale Abneigung zielt dann plötzlich auf »alle möglichen Eigenschaften, Handlungen, Lebensäußerungen, die dieser Mensch hat«, ohne dass diese je in irgendeiner engeren Verbindung mit der erfahrenen Kränkung stehen, sondern nur, weil sie mit diesem Menschen assoziiert werden. (2) Die Abneigung weitet sich mit dem nächsten Verdrängungsschub von diesem konkreten Menschen auf alles aus, »was mit ihm zusammenhängt an Menschen, Beziehungen, ja Sachen und Situationen«. Das Ressentiment springt von einer bestimmten Person etwa auf ganze Personengruppen, denen diese zugeordnet wird, über. (3) Ferner löst es sich schließlich von diesem immer noch mehr oder weniger bestimmten Personenkreis »und wird zu einer negativen Einstellung auf bestimmte Erscheinungswerte – gleichgültig, wer sie hat, wo und wann sie auftreten«. Der ressentimentale Groll löst sich nun ganz von seinem konkreten Objekt und wird zu einer Unterstellung gegen alles, was in irgendeiner Form Assoziationsketten und damit Affektabfolgen in Gang setzt – gegen alles, was auch nur wie ein fernes Echo dieses einstigen Objekts anmutet. (4) Das Ressentiment wird mit der Zeit beinahe vollkommen unkonkret und objektlos, es »›irradiiert‹ in allen möglichen Strahlen« – verliert dabei allerdings nichts an seiner Potenz. Dieser Prozess schreitet unter Umständen soweit fort, dass »der betreffende Mensch selbst nicht angeben kann, ›wovor‹ er sich fürchtet und ängstigt, ›wozu‹ er ohnmächtig ist«. Aus dem sehr begrenzten Gefühl der Furcht – begrenzt in dem Sinn, dass Furcht stets konkrete Personen, Objekte, Szenarien aufweist – formt sich allmählich Angst, die sich durch eine diffuse Bedrohungslage, einem vagen, nicht genau abgrenzbaren Bedrohungsgefühl auszeichnet. Mit dem fortschreitenden Verdrängungsprozess verschwimmt das Ressentiment

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