Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel

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Code einer Nationalsprache gibt es verschiedene Sub- oder Sprechercodes, die diesen allgemeinen Code verwenden. Die Differenzen zwischen den verschiedenen Sprechercodes sind darauf zurückzuführen, dass die Individuen bzw. Gruppen vornehmlich in Prozessen der primären Sozialisation unterschiedliche Selektionen aus dem allgemeinen Code treffen. Bernstein stellt in seinen Untersuchungen die Codes der Arbeiter- und der bürgerlichen Mittelschicht gegenüber. Die Mitglieder der Arbeiterschicht verfügen vornehmlich nur über einen restringierten Code, die Mitglieder der Mittelschicht hingegen vornehmlich über einen elaborierten Code. Der restringierte Code wird im Vergleich zu dem elaborierten Code als defizitär aufgefasst. Ein früherer Aufsatz (vgl. Bernstein 1961) stellt folgende Eigenschaften des elaborierten und des restringierten Codes heraus:

      Der elaborierte Code ist z. B. gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften:

       Das, was gesagt wird, wird durch die Syntax und Grammatik genau reguliert.

       Häufiger Gebrauch von Präpositionen.

       Häufiger Gebrauch des Personalpronomems der 1. Person Singular.

       Unterschiedliche Auswahl aus einer Reihe von Adjektiven und Adverbien.

       Grammatisch komplexe Satzkonstruktionen, besonders durch die Verwendung von Konjunktionen und Nebensätzen.

      Der restringierte Code hingegen weist folgende Merkmale auf:

       Kurze, grammatisch einfache Sätze, die häufig unvollendet bleiben.

       Einfacher Gebrauch von Konjunktionen.

       Geringer Gebrauch von untergeordneten Sätzen.

       Starrer und begrenzter Gebrauch von Adjektiven und Adverbien.

       Dominanz impliziter Bedeutungen.

      Untersuchungen in der Tradition der korrelativen Soziolinguistik stellen bestimmte soziale Faktoren mit bestimmten sprachlichen Verhaltensmustern in Beziehung. Für diese Tradition stehen in erster Linie die Arbeiten von William Labov (vgl. Labov 1980a, 1980b u. 1982). Labov stellt statistische Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen den Sprachstilen einerseits, sozialen, askriptiven Merkmalen wie der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Alterskohorten, Geschlechts- und Schichtzugehörigkeiten andererseits an, um anhand von so genannten Variablenregeln die Soziolekte zu identifizieren, mithilfe derer sich Sprecher in spezifischen Situationen miteinander verständigen. Im Unterschied zu Bernstein vertritt Labov nicht die Auffassung, dass die unterschiedlichen Soziolekte auf unterschiedliche kognitive Vermögen schließen lassen. Er stellt der Defizithypothese Bernsteins die Differenzhypothese entgegen. Die korrelative Soziolinguistik ist nicht an der kommunikativen Bedeutung von sprachlichen Elementen interessiert, sondern an den differenten Sprachstilen von Sprechern unterschiedlicher Sprachvarianten.

      Die Sprachsoziologie untersucht, welche sozialen Gruppen welche Sprachvarianten in welchen sozialen Situationen sprechen, wie diese Sprachvarianten in und zwischen den Gruppen bewertet werden und wie der soziale Wandel sich im sprachlichen Wandel reflektiert. Neben der klassischen, strukturfunktionalistisch geprägten Forschungsrichtung, wie sie z. B. von Fishman (vgl. Fishman 1972) repräsentiert wird, sei für die deutschsprachige Soziologie insbesondere auf die interaktionistische Sprachsoziologie von Schütze (vgl. Schütze 1975) verwiesen.

      Eine wichtige Stellung in der Phalanx der verschiedenen Ansätze nimmt die schon erwähnte und dargestellte Ethnografie des Sprechens ein, wie sie von Hymes und Gumperz (vgl. Kap. 5) herausragend repräsentiert wird. Die Ethnografie des Sprechens setzt eine pragmatische Sprachauffassung in der Soziolinguistik durch. Das Sprechen selbst wird als soziales Handeln, als eine soziale Praxis thematisiert, Sprache als ein Interaktionsmedium, in welchem Sprecher auf der Basis von geteilten Normen und kulturellem Wissen ihre sozialen Beziehungen ordnen.

      Und schließlich ist als weiterer Meilenstein die Konversationsanalyse zu nennen, der wir ein eigenes Kapitel widmen. Ihr Interesse gilt den Konstruktionen sozialer und kommunikativer Ordnung im Vollzug von alltäglichen und institutionellen Konversationen, die eine unaufhebbare Indexikalität aufweisen und die Sprecher und Hörer deshalb dazu zwingen, sich durch ein entsprechendes ›accounting‹ verstehbar zu machen.

      Diesen sprachsoziologischen oder soziolinguistischen Ansätzen ist trotz ihrer Heterogenität die Auffassung gemeinsam, dass Sprache eine soziale Entität darstellt, die in ihrem Gebrauch zu studieren ist. Sie wenden sich gegen solch idealisierte Auffassungen von der Sprache, wie sie etwa in der die Linguistik dominierenden Transformationsgrammatik von Chomsky (1992) zu Grunde gelegt wird. Die Sprache besteht der Soziolinguistik zufolge nicht aus eindeutigen und einheitlichen phonetischen, syntaktischen und lexikalischen Strukturen, sondern aus variablen Komponenten, die in ihrer sozialen Bedingtheit zu erfassen sind.

      Ziehen wir zum Abschluss dieses Kapitels ein kurzes Resümee im Hinblick auf eine soziologische Kommunikationstheorie. Diese kann angesichts ihrer umfassenden Ansprüche sich nicht auf eine hermeneutische Position, also eine Position des Verstehens oder der Interpretation beschränken. Sie kann sich auch nicht, wie manche sprachphilosophischen Theorien, vornehmlich auf den Sprecher, den vermeintlichen Produzenten von kommunikativen Akten reduzieren. Und sie kann sich auch nicht allein auf das Medium der Sprache konzentrieren. Eine soziologische Kommunikationstheorie muss alle drei Komponenten aufeinander beziehen. Die Hermeneutik, die Linguistik, Sprachphilosophie und Semiotik stellen in kommunikationssoziologischer Hinsicht gleichsam Prototheorien dar. Sie rücken nur einen Aspekt des kommunikativen Geschehens in den Vordergrund. Entweder befassen sie sich, wie die Hermeneutik, mit dem Verstehen. Oder sie setzen am Pol des Sendens an, fragen also nach den kommunikativen Kompetenzen eines Sprechers. Oder sie untersuchen vornehmlich den Kanal, die Botschaft, den Code oder allgemeiner das Medium der Kommunikation, die Zeichen und die Sprache. Diese einflussreichen theoretischen Strömungen abstrahieren also von dem Kommunikationsprozess als solchem und spezialisieren sich auf gewisse Aspekte. Die Soziologie hingegen strebt eine integrale, alle Komponenten des Kommunikationsprozesses umfassende Theorie an.

      Lektüreempfehlungen:

       Sprachwissenschaftliche und sprachwissenschafilicher Klassiker, die einen großen Einfluss auf die Soziologie haben, sind:

      Bühler, Karl (1934 / 1982): Sprachtheorie. Jena 1934 (zit. nach dem Neudruck: Karl Bühler: Sprachtheorie. Stuttgart, New York 1982).

      Humboldt, Wilhelm von (1835 / 1994): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. In: ders.: Schriften zur Sprachphilosophie (Werke in 5 Bänden, Bd. 3). Darmstadt.

      Hymes, Dell (1981): Die Ethnographie des Sprechens. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. 5. Aufl. Opladen, S. 338-456.

      Saussure, Ferdinand de (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin. (2. Aufl.)

       Theoriegeschichtliche Grundlagen der Soziologie, Sprachphilosophie und Sprachtheorie präsentieren:

      Grewendorf, Günther (1995): Sprache als Organ, Sprache als Lebensform. Frankfurt am Main.

      Krämer, Sybille (2002): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? Frankfurt am Main.

      Schneider, Wolfgang Ludwig (1994): Die Beobachtung von Kommunikation. Zur kommunikativen Konstruktion sozialen Handelns. Opladen.

      Schneider, Wolfgang Ludwig (2002): Grundlagen der soziologischen Theorie. 2 Bände. Wiesbaden.

      

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