Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel

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in unterschiedlichen Sprachen miteinander kombiniert werden können. Die dritte Dimension schließlich betrifft die Beziehung zwischen den Zeichen und den Zeichenbenutzern. Es handelt sich um die pragmatische Dimension. Die Pragmatik untersucht, wie Zeichen von Zeichenbenutzern verwendet werden oder was die Zeichenbenutzer mit bestimmten Verwendungsweisen intendieren.

      Abb. 1.7: Dimensionen sprachlicher Zeichen nach Morris

      Nach der sprachphilosophischen Tradition, wie sie hier durch Wilhelm von Humboldt repräsentiert wird, und der semiotischen bzw. semiologischen Tradition, wie sie durch Peirce und Saussure, Jakobson und Morris vertreten wird, kommen wir nun zur dritten großen Theoriegruppe, der Hermeneutik. Die Hermeneutik als die Kunst des Verstehens oder die Lehre der Interpretation ist eine sehr alte Wissenschaft, die sich im Zusammenhang mit der Exegese vormals religiöser, dann der vertexteten Kommunikation im Allgemeinen ausbildete. In all ihren vielen verschiedenen Spielarten ist die Hermeneutik eine Reaktion auf die Nichteindeutigkeit der Bedeutungsstruktur schriftlich verfasster Texte. Hermes, in der antiken Götterwelt der Überbringer und Künder von Botschaften, war bewandert in der Kunst der Interpretation und Übersetzung von kryptischen Zeichen. Er galt als Erfinder von Sprache und Schrift.

      Die Hermeneutik hat natürlich vielfach Umbrüche erfahren. Auf eine antike und eine jüdische Hermeneutik folgte eine mittelalterliche, christlich geprägte Hermeneutik, deren Lehre von dem vierfachen Schriftsinn als exemplarisch angesehen werden kann. Die Heilige Schrift, so die Überlegung, weist verschiedene Sinnschichten auf. Die erste Stufe befasst sich mit dem ›Cortex‹, der Oberflächenstruktur von Texten. Sie zu erfassen ist Aufgabe der Grammatik (littera) und der Semantik (sensus), die sich mit dem wörtlichen und historischen Sinn der Aussagen beschäftigt. Die Tiefenstruktur von Texten (Nucleus), in welcher sich erst der spirituelle Sinn manifestiert, liegt in drei Arten vor, im tropologischen Sinn, der auf den Sinn der Schrift für das Leben jedes einzelnen Gläubigen zielt, im allegorischen Sinn, der auf Christus und die Kirche gerichtet ist, und im anagogischen Sinn, der sich auf die himmlischen Mysterien und das Leben im Jenseits bezieht.

      Die moderne Hermeneutik beginnt im 19. Jahrhundert mit Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey im Übergang von einer theologischen zu einer philologischen Hermeneutik. Beide befassen sich intensiv mit der Zirkularität des Verstehens. Diese wird als ›hermeneutischer Zirkel‹ bezeichnet und stellt neben anderen Postulaten eines der wesentlichen Argumente der Hermeneutik in der Begründung einer von den Methoden und Erkenntniszielen der Naturwissenschaften deutlich unterschiedenen Geisteswissenschaft dar. Es gibt den Zirkel in zwei Varianten. Die erste Variante macht darauf aufmerksam, dass sich die Bedeutung eines Teils immer nur im Gesamtkontext eines Ganzen erschließt und das Ganze nur aus seinen Teilen verstanden werden kann. Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nur aus dem Zusammenhang des Satzes und die des Satzes nur aus der Kenntnis der einzelnen Worte. Damit sind die logischen Verfahren, mit denen die Naturwissenschaften arbeiten, nämlich der Deduktion als dem logischen Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere und der Induktion als dem logischen Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine, auf dem Gebiete des hermeneutischen Verstehens eben nicht anwendbar. Verstehen ist weder Induktion noch Deduktion.

      Die zweite Variante des hermeneutischen Zirkels hebt darauf ab, dass jedes Verständnis eines Textes von einem Vorverständnis abhängt. Jede Interpretation ordnet einen Text in ein Vorverständnis des Textes ein. Passt es, so müssen weder Vorverständnis noch Textverständnis revidiert werden. Widerspricht die Interpretation hingegen gewissen Erwartungen, so ist der Interpret gehalten, sein Vorverständnis oder sein Textverständnis zu revidieren.

      Die Hermeneutik versteht sich nicht als Kommunikationstheorie. Weshalb haben wir sie als eine der maßgeblichen Referenztheorien einer jeden soziologischen Kommunikationstheorie angeführt? Nun, alle diese Kommunikationstheorien sehen eine Position des Interpreten vor, ob als Empfänger oder Rezipient, als ›Verstehensakt‹ oder ›Schema‹. Kommunikationstheorien müssen also darüber Auskunft geben können, wie ›Verstehen‹ verstanden werden kann, und in all den Positionen, die wir behandeln werden, wird implizit oder explizit der hermeneutische Zirkel in der einen oder anderen Variante eine maßgebliche Rolle spielen. Aber sicherlich gilt auch: Kommunikationstheorien können sich nicht auf hermeneutische Theorien reduzieren, Kommunikation erschöpft sich nicht im Verstehen.

      Zwischen der Sprachsoziologie und der Soziolinguistik lässt sich kaum differenzieren, zu eng sind beide Subdisziplinen miteinander verwoben (vgl. Dittmar 1980, Grimshaw 1987, Hymes 1974 u.1979, Murray 1998). Der zentrale Untersuchungsgegenstand der Linguistik ist die Sprache als ein abstraktes System, ihre grundlegende Untersuchungseinheit ist der Satz, vornehmlich der Aussagesatz. Der Gegenstand der Soziolinguistik geht über diese Ebene hinaus. Ihr Untersuchungsgegenstand sind nicht einfache Sätze, sondern Satzfolgen und Aussagesequenzen in Gesprächen und Konversationen. Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung spielen auch weitere soziale Kontexte des Sprechens eine große Rolle. Das Sprechen wird in seinen Wechselbeziehungen zu bestimmten sozialen Positionen oder sozioökonomischen Kategorien wie Klassen, Geschlecht, Generationen oder Ethnien bestimmt. Wie macht sich zum Beispiel die Zugehörigkeit von Menschen zu unterschiedlichen sozialen Klassen oder ethnischen Gruppen in deren sprachlichen Performanzen und Kompetenzen bemerkbar und, vice versa, wie wirken sich diese unterschiedlichen Performanzen und Kompetenzen auf die Reproduktion gesellschaftlicher Differenzierungen aus? Besonders bekannt sind die Arbeiten von Basil Bernstein (vgl. Bernstein 1972) zu den klassenabhängigen Sprachcodes oder von William Labov (vgl. Labov 1982) zu den Sprachstilen unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Werden solche Variablen wie sprachliches Verhalten einerseits, soziale Kategorien andererseits aufeinander bezogen, so kann man von einem variablensoziologischen Ansatz in der Soziolinguistik sprechen – er stellt soziale Strukturen und sprachliche Performanzen oder Kompetenzen als unabhängige und abhängige Variable (manchmal auch in umgekehrten Rollen) in ein Verhältnis. Davon ist der interpretative Ansatz zu unterscheiden, dem insbesondere Dell Hymes (vgl. Hymes 1979) Untersuchungen zu einer ›Ethnografie der Kommunikation‹ bzw. einer Ethnografie des Sprechens und John J. Gumperz (vgl. Gumperz 1982a) interaktionale Soziolinguistik zuzuordnen sind. Diesen geht es nicht um Relationen und Korrelationen zwischen sozialen Strukturen und sprachlichem Verhalten, sondern sie fassen die soziale Welt selbst als eine kommunikative, sprachliche Welt auf. Die soziale Wirklichkeit ist keine außersprachliche, und die Sprache selbst ist keine asoziale. Sie untersuchen, wie durch kommunikatives Handeln soziale Strukturen produziert und reproduziert werden – und vice versa. Einen entsprechenden Gestaltwechsel vollzieht auch die Sprachsoziologie im engeren Sinne von einem älteren, kulturalistisch geprägten Ansatz (vgl. Weisgerber 1931), der Sprache als kulturelle Objektivation auffasst, über einen von der Soziologie von Talcott Parsons beeinflussten Ansatz (vgl. Fishman 1972), der das Verhältnis von Sprache einerseits, Handeln und Verhalten andererseits zum Forschungsgegenstand hat, zu solchen Ansätzen, die Sprechen als ein soziales Handeln konzipieren. Die verschiedenen soziolinguistischen bzw. sprachsoziologischen Ansätze reichen also von kompetenztheoretisch orientierten Ansätzen wie etwa demjenigen von Labov, die von der kommunikativen Bedeutung sprachlicher Merkmale abstrahieren und Sprachäußerungen mit sozialen Merkmalen der Sprecher korrelieren bis hin zu interaktionistischen Positionen, die in der Sprache ein Mittel zur Herstellung sozialer Ordnung erblicken und das Herstellen dieser Ordnung im Medium der Sprache und des Sprechens aufzeigen wollen (vgl. Schwitalla 1992). Auf den folgenden Seiten stellen wir diese Ansätze kurz im Einzelnen vor:

      Soziosemantische Ansätze werden durch die berühmten Arbeiten von Basil Bernstein repräsentiert. Bernstein unterscheidet zwei Weisen des Sprachverhaltens, ein kontextabhängiges, partikularistisches, in seinen Möglichkeiten restringiertes sprachliches Verhalten, und ein universalistisches, elaboriertes. Diese werden in Beziehung zu einer dualistisch aufgefassten Sozialstruktur gesetzt, die sich in eine Arbeiter- und eine Mittelschicht aufgliedert. Bernstein formuliert kausale Hypothesen über den Zusammenhang beider Faktoren. Dabei greift er auf den Begriff des Codes zurück, der

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