Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel страница 6
Abb. 1.2: Erweiterteres klassisches Modell
In diesem Modell spielen Sender und Empfänger eine besondere Rolle, denn sie stellen die Schnittstelle zwischen der externen Nachricht und dem internen technischen System dar. Das Problem dieser Schnittstellen besteht darin, dass ein Ausgleich zwischen der Komplexität der Nachricht und der begrenzten Kapazität des Kanals geschaffen werden muss. Die Komplexität der Nachricht muss der Kapazität des Kanals angemessen sein. Hierbei lassen sich zwei mögliche Problemlösungen unterscheiden: analoge und digitale Kommunikation. Eine analoge Kommunikation liegt vor, wenn das vom Sender erzeugte und vom Empfänger rezipierte Signal zu der Nachricht in einem Verhältnis der Proportionalität steht, d. h. das Signal folgt der Nachricht in seinen Veränderungen im Raum und in der Zeit. Typische analoge Kommunikationsformen sind das Radio oder die Fotografie, der Film oder das Grammofon. Um digitale Kommunikation handelt es sich hingegen, wenn die Nachricht vor der Übertragung in spezifische Elemente ein und desselben Typs zerlegt wird, also z. B. in Buchstaben, in ganze Zahlen, in Pixel. Eine solche Form liegt in der Schrift oder in der elektronisch ermöglichten Kommunikation vor.
Eine weitere Konkretisierung hat Badura (vgl. Badura 1971) vorgenommen. Badura berücksichtigte mehrfache Encodierungs- und Decodierungsprozesse, nämlich in Anlehnung an die Semiotik syntaktische, semantische und pragmatische Prozesse. Und er sozialisierte Sender und Empfänger, indem er sie in soziale Kontexte einbettete:
Mit diesem Modell verwandt ist das etwa zur gleichen Zeit entwickelte, vornehmlich für die Untersuchung der Massenmedien wie der Werbung und der politischen Propaganda entworfene Konzept des Soziologen und Politikwissenschaftlers Harold Lasswell, welches sich auch heute noch in der Massenkommunikationsforschung großer Beliebtheit erfreut (Lasswell 1966: 178):
A convenient way to describe an act of communication is to answer the following questions:
Who
Says What
In Which Channel
To Whom
With What Effect?
Abb. 1.3: Baduras Kommunikationsmodell (nach Badura 1971: 20, stark modifziert)
Die Kommunikationsforschung hat es dieser Konzeption zufolge mit den klassischen W-Fragen zu tun. Lasswell legte diesem Entwurf das behavioristische Stimulus-Response-Modell zugrunde: Massenmedien funktionieren so, dass sie bestimmte Stimuli mit bestimmten Reaktionen verknüpfen und dabei möglichst diejenigen Stimuli, die zu unerwünschten Reaktionen führen könnten, vermeiden (vgl. Lasswell 1927: 630).
Das klassische Modell unterscheidet folgende Komponenten:
Kommunikation ist eine Relation zwischen mindestens zwei Kommunikatoren, einem Sender und einem Empfänger;
es liegen zwei kommunikative Handlungen vor, eine Mitteilung seitens eines Senders, eine Rezeption oder ein Empfangen dieser Mitteilung durch einen Empfänger;
Sender und Empfänger müssen über einen hinreichend ähnlichen, in ihrer Bedeutung weitgehend isomorphen Vorrat an Zeichen und Symbolen verfügen.
Ein Kanal stellt den materiellen Träger der Kommunikation dar.
Das klassische Modell von Shannon / Weaver wie auch die in dieser Tradition stehenden Erweiterungen und Modifikationen formalisieren die in der alltagsweltlichen Auffassung von der Kommunikation als einer Übertragung oder einem Transport von Gütern unterstellten Annahmen. Es kann als eine Kodifizierung dieser Auffassung gewertet werden. Das Modell war, wie schon erwähnt, ursprünglich zur Modellierung von technisch übertragener und gestützter Information vorgesehen. Es enthält allein physikalische Größen, keine semantischen oder, wie Soziologen sagen würden, sinnhaften Elemente. Leider wurde und wird es aber häufig entgegen der Absicht ihrer Urheber als ein allgemeines kommunikationstheoretisches Modell betrachtet, als ein Modell, welches ausreichend sei, um auch die menschliche Kommunikation beschreiben zu können. Von daher sah man sich sehr schnell vor die Notwendigkeit gestellt, dieses Modell weiter zu entwickeln. Neben dem Desiderat des ›Sinns‹ musste das Modell vor allem in einer zweiten Hinsicht erweitert werden. Shannon / Weaver konzeptualieren Kommunikation als einen linearen Prozess und vernachlässigen dabei zirkulare, rekursive und reziproke Momente.
In diesem Modell findet ein quantitativer oder syntaktischer Informationsbegriff Verwendung. Der Informationswert von Zeichen wird mit der Wahrscheinlichkeit ihres Vorkommens gleichgesetzt. Der syntaktische Informationsgehalt ist ein Maß für den Neuigkeitswert oder Überraschungsgrad eines Zeichens. Oder kurz: Information ist ein Maß für die Unwahrscheinlichkeit von Zeichen. Im Alltag und im sozialen Leben überhaupt verwenden wir einen qualitativen Informationsbegriff. Während sich der syntaktische Informationsbegriff allein auf die Kombination von Zeichen bezieht, umfasst der qualitative Informationsbegriff, so wie er in der Soziologie Verwendung findet, darüber hinaus aber noch andere Kontexte, wie etwa das Vorwissen der Kommunikatoren, ihr Interesse oder ihre Aufmerksamkeit. Er ist im Unterschied zum syntaktischen nicht formalisierbar. Kennzeichnend ist einerseits die pragmatische These, dass nur das Information ist, was Information erzeugen kann, und die semantische These andererseits, dass nur das Information sein kann, was als Information verstanden wird. Gemeinsam scheint beiden Varianten der Bezug auf die Unterscheidung von Varietät und Redundanz zu sein. Informationen beruhen auf Varietät, also auf codierten Unterscheidungen oder Differenzen. Varietäten, die nicht für ein oder von einem System codiert sind, stellen bloßes ›noise‹ dar. Redundanz heißt, dass mehr Zeichen oder Signale gesendet werden müssen, um Informationen darzustellen, als notwendig ist. Ob Informationen redundant sind, hängt davon ab, ob sie schon in den jeweiligen Kontexten enthalten sind, so dass die Informationen von Zeichen oder Signalen notfalls auch auf dem Umwege über den Gebrauchskontext erschlossen werden könnten. Natürliche Zahlen sind z. B. nicht redundant. Wenn Sie die Zahlenkombination 156?899 haben, dann können sie bei einem Verlust der vierten Ziffer aus dem Kontext nicht erschließen, um welche es sich handelt. Anders ist das z. B. in der Alltagssprache, bei der man eine Redundanz von 50 Prozent annimmt. Ähnlich dürfte es sich im Fall der Schrift verhalten, denn Sie k.nnen. anz g.wiß erschl..ssen, was ich Ihnen gerade sagen will. Auch in sozialen Beziehungen spielt die Redundanz des Mitgeteilten eine erhebliche Rolle. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Leben unserer Eheleute Schmidt, die wir an dieser Stelle zum ersten Mal einführen, ein nunmehr seit 30 Jahren verheiratetes Ehepaar. Heute weiß Herr Schmidt sicherlich ganz genau, was das Naserümpfen seiner Frau zu bedeuten hat. Am Beginn ihrer Beziehung dürfte die Redundanz der Informationen wesentlich geringer gewesen sein – ein Naserümpfen hätte wohl kaum als Mitteilung genügt, um den gerüffelten Sachverhalt zu erschließen.
Welche Veränderungen erfährt dieses klassische Modell? Eine erste Modifikation wird an der Komponente des ›Codes‹ vorgenommen. Man geht davon aus, dass sowohl der Sprecher als auch der Adressat über eigene Zeichenrepertoires verfügen und eine Verständigung nur dann zustande kommt, wenn es eine genügend große Schnittmenge zwischen beiden Zeichenmengen gibt. Zeichen, die nur einem Repertoire angehören, können nicht zur Kommunikation benutzt werden. Dabei wird der Begriff ›Code‹ von den Kommunikationstheoretikern mehrdeutig verwendet. Er lässt sich auf zwei Wurzeln zurückführen, auf die juristische Terminologie, in welcher ein Code einen Gesetzestext bzw. eine Vorschrift darstellt (z. B. ›Code Napoléon‹), und auf die Kryptografie, in welcher ein Code eine Zuordnungsvorschrift für die Übertragung von Zeichenelementen einer natürlichen Sprache in die eine Geheimsprache darstellt. Kommunikationstheoretisch wird dieser Terminus in einer engeren und in einer weiteren Bedeutung verwendet. Er kann in einer zusätzlichen Bedeutung mit Zeichensystemen als solchen synonymisiert werden, und er kann in einer engeren Bedeutung als Zuordnungsregel zwischen Zeichensystemen