Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel

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frei gewählt erscheint, so ist sie in Bezug auf die Sprachgemeinschaft unveränderlich. Es ist auf den ersten Blick natürlich erstaunlich, dass Saussure aus der Definition des Zeichens jeglichen Verweis auf den Gegenstand, auf den das Zeichen referiert, tilgt. Sprachliche Zeichen verbinden nicht eine Sache, ein Objekt mit einem Namen, so wie dies traditionell in der Semiotik gedacht wurde, sondern sie verbinden nach Saussure eine Vorstellung mit einem Lautbild. Mit dieser These wird Saussure zum Begründer der strukturalistischen Wissenschaftsauffassung, denn sie besagt, dass Zeichen nur intern, innerhalb des Systems der Zeichen in Differenz zu anderen Zeichen (anderen Signifikaten und Signifikanten) gebildet werden. Die Bezugnahme auf ein Referenzobjekt ist nicht konstitutiv, da erst Zeichen vorliegen müssen, damit wir in der ansonsten amorphen Welt Objekte unterscheiden können. Das Signifikat ist nach Saussure auch nicht Ausdruck einer mentalen Vorstellung, einer Idee, die vor den Zeichen schon vorhanden sein könnte, sondern es erschließt sich nur aus dem Spiel der Differenzen im System der Sprache. Die Bedeutung von Zeichen ist also weder auf mentale noch auf reale Objekte zurückzuführen. Sie verdanken sich ihrer Stellung im System aller anderen Zeichen einer Sprache.

      Die Auffassung der Sprache als ein in sich geschlossenes, auf intern konstituierten Differenzen aufruhendes System von Zeichen führt dazu, dass Saussure der Sprachwissenschaft einen genuinen Gegenstand gibt. Es ist die Sprache, nicht das Sprechen. Es ist die Sprache im Sinne der ›langue‹, die synchron in ihren Strukturen und Formen zu beschreiben ist. Die ›parole‹ im Sinne des Sprechens oder allgemein im Sinne eines jeglichen Gebrauchs der Sprache wird aus dem Focus der Sprachwissenschaft ausgeschlossen. Damit wurde zum ersten Mal ein Prinzip formuliert, welches auch für die Soziologie eine weit über die Sprache hinausgehende Relevanz hat. Die Sprache wird als ein in sich geschlossenes Bedeutungs- und Regelsystem aufgefasst, das Sprechen hingegen als eine pure Anwendung dieses Systems. In der Folge konnten dann auch andere ›Systeme‹, in erster Linie die ›Kultur‹ als Realität sui generis konzipiert werden. Saussures dyadische Semiologie hat in der Soziologie wesentlich stärkeren Einfluss gehabt als die triadische Semiotik von Peirce.

      Karl Bühlers Organonmodell der Sprache ist Ausgangspunkt vieler soziologischer und kommunikationswissenschaftlicher Überlegungen. Das Organonmodell stellt die drei verschiedenen Funktionen dar, die ein sprachliches Zeichen haben kann:

      Abb. 1.6: Das Organonmodell der Sprache nach Karl Bühler

       (modifiziert nach Bühler 1934 / 1982:28)

      Lassen wir zunächst einmal Bühler selbst zur Sprache kommen. Die semantischen Funktionen des Sprachzeichens bestehen in folgenden:

      »[Das Sprachzeichen, R. S.] ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen.« (Bühler 1934 / 1982: 28; Hervorh. weggel.)

      Bühler konzipiert sprachliche Zeichen als ›organon‹, mit dessen Hilfe ein Sender einem Empfänger etwas über etwas mitteilen kann. Sie werden also aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive konzipiert und weisen entsprechend drei Relationen oder Dimensionen auf. Sie sind als Symptom anzusehen, weil ein Sender sich ihrer bedient, um etwas auszudrücken, sie tragen einen Signalcharakter, weil sie einen Empfänger beeinflussen oder gar steuern sollen, und sie sind schließlich Symbol deshalb, weil sie über Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt informieren, sich auf sie beziehen, sie repräsentieren oder wie immer man diese Funktion genauer definieren will. Zeichen oder allgemein kommunikative Ausdrücke dienen also dazu, Intentionen eines Sprechers zum Ausdruck zu bringen, Sachverhalte darzustellen und Beziehungen mit einem Adressaten einzugehen.

      Die Kommunikationstheorie des Linguisten und Semiotikers Roman Jakobson ist seit der Rezeption durch den Strukturfunktionalismus für die Soziologie eine maßgebliche Inspirationsquelle. Linguistik als die Wissenschaft von der Erforschung verbaler Kommunikation und Semiotik als die auf die Linguistik übergreifende Wissenschaft von der Erforschung jeder beliebigen Zeichenbotschaft sind nach Jakobson nur Teilgebiete einer allgemeinen Kommunikationswissenschaft, die er als ›Sozialanthropologie mit Ökonomie‹ bezeichnet. Diese hat jeglichen zwischenmenschlichen Tausch von Informationen und Waren zum Gegenstand (vgl. Jakobson 1973: 36). Als Vertreter der Soziologie ist man natürlich geneigt, diesen übergreifenden, integrativen Status seiner Wissenschaft zuzusprechen.

      Das Kommunikationsmodell von Jakobson stellt einer Erweiterung des Organon-Modells von Bühler dar. Er beschreibt es folgendermaßen:

      »Der SENDER sendet eine BOTSCHAFT an einen EMPFÄNGER. Um wirksam sein zu können, benötigt die Botschaft einen KONTEXT, auf den sie sich bezieht (›Referent‹ in einer anderen, etwas ambigen Terminologie): Dieser Kontext muss dem Empfänger verständlich sein und entweder verbaler oder verbalisierbarer Art sein. Ferner gibt es einen KODE, der vollständig oder zumindest teilweise dem Sender und Empfänger (oder i. a.W. dem Kodierer und dem Dekodierer der Botschaft) gemeinsam sein muss. Schließlich ermöglicht es ein KONTAKT, ein physikalischer Kanal und eine psychologische Verbindung zwischen dem Sender und dem Empfänger, dass beide in Verbindung treten und die Kommunikation aufrechterhalten.« (Jakobson / Halle 1960: 353, zitiert nach Nöth 2000: 105)

      Jakobsons Kommunikationstheorie hat den Vorteil, dass sie die Funktionen, die Kommunikation haben kann, sorgfältig und differenziert zu bestimmen und diese verschiedenen Kommunikationsformen zuzuordnen vermag. Dabei übernimmt er das Dominanzprinzip von Bühler, welches besagt, dass Kommunikationen zwar multifunktional sind, aber nur jeweils eine Funktion in einer spezifischen Kommunikation dominant ist. Eine Funktion ist jeweils dominant, die anderen treten in den Hintergrund, können aber ihrerseits die dominante ablösen. Jakobson benennt folgende Funktionen (nach Nöth 2000: 105 f.):

       Referentielle Funktion: Diese dominiert, wenn die Kommunikationsteilnehmer auf den Kontext, den Referenten gerichtet sind (Beispiel: deskriptive Texte, Nachrichten etc.);

       Expressive oder Emotive Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Einstellung des Senders zum Text oder zur Rede geht und weniger um deren Inhalt (Beispiel: Emphasen etc.);

       Konative Funktion: Diese dominiert, wenn es primär um einen Appell an den Empfänger der Botschaft geht (Beispiel: Aufrufe, Befehle etc.);

       Phatische Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Herstellung von gemeinschaftlichen Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern geht (Beispiel: Grußformeln etc.);

       Metalinguistische Funktion: Diese dominiert, wenn es um eine Kommunikation über die Kommunikation und deren Sprache geht (Beispiel:»Was meinst du?« etc.);

       Poetische Funktion: Diese dominiert, wenn die Einstellung der Kommunikationsteilnehmer in erster Linie auf die Botschaft selbst gerichtet ist.

      Endgültig seit Charles Morris (1938) werden drei Dimensionen von Zeichen oder Symbolen unterschieden. Zeichen oder Symbole beziehen sich auf außersprachliche oder sprachliche Gegenstände, sie referieren oder verweisen auf etwas, sie bedeuten etwas. Dies ist die semantische Dimension. Entsprechend analysiert die Semantik die Bedeutung von Zeichen oder Symbolen. Diese beziehen sich aber nicht nur auf etwas, sondern sie stehen auch in Relation zu anderen Zeichen. So können, wie wir alle wissen, z. B. nur bestimmte Zeichen miteinander kombiniert werden, um grammatisch korrekte und verständliche Aussagen zu produzieren. Eine Aussage wie z. B. ›Peter Doris London reisen und‹ würde von keinem ›native speaker‹ des Deutschen als grammatisch korrekte Aussage bewertet werden. Diese Dimension wird als syntaktische

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