Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel

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dass sie für einen anderen nachvollziehbar werden. Jede Kommunikation ist also auch eine Handlung, ein Versuch, auf andere Einfluss zu nehmen (vgl. Lenke u. a. 1995: 68–90).

      Das Ausdrucksprinzip besagt nun, dass in der Kommunikation das, was ein Sprecher ausdrücken möchte, das dominante Element darstellt. Sprechen wird als ein Sich-Ausdrücken verstanden und Zuhören als ein passives Verstehen der ausgedrückten Mitteilung. Der Sprecher ist der aktive, der Zuhörer der passive Partner, das Sprechen ist alleinige Angelegenheit des Sprechers, das Zuhören eine passive Reproduktion. Dieses alltägliche wie auch wissenschaftliche Leitbild suggeriert, so Ungeheuer, dass die Kommunikation in zwei Handlungen zerfällt, in die des Sprechens und des Zuhörens, und es suggeriert zweitens, dass sich diese beiden Handlungen wie Ursache und Wirkung verhalten.

      Der sprachliche Ausdruck ist vollkommen Sache des Sprechers; der Hörer hat ihn, wenn er will, aufzugreifen und zu verstehen. Dementsprechend zerfällt die kommunikative Sozialhandlung in zwei partielle Individualhandlungen, und, da der Sprecher den sprachlichen Ausdruck verursacht, rückt er in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, eine Konstellation, die aus wissenschaftlichen Traktaten nicht unbekannt ist (vgl. Ungeheuer 1987b: 294).

      Ungeheuer schlägt eine Alternative vor, welche den Aspekt des Eindrucks stärkt. Nicht der Sprecher, sondern der aktive Zuhörer steht im Mittelpunkt der Kommunikation, und es ist das kommunikative Ziel des Sprechens, Eindrücke bei einem Zuhörer zu erreichen oder, genauer noch, etwas hervorzubringen, welches der Zuhörer selbst zu seinem Eindruck machen kann.

      Es ist jedoch deutlich, dass im Modell der Eindrucks-Kommunikation der Hörer in den Vordergrund rückt, er mindestens aber in seiner kommunikativen Tätigkeit gleichrangig mit dem Sprecher behandelt werden muss. Denn hier handelt der Sprecher kommunikativ, indem er einen ›Eindruck‹ beim oder im oder für den Hörer hervorbringt. Dieser ›Eindruck‹ aber kann nur entstehen, wenn der Hörer das vom Sprecher Hervorgebrachte durch eigene Tätigkeit zu seinem ›Eindruck‹ gemacht hat. So bleibt schon im Ansatz die kommunikative Sozialhandlung erhalten und zerfällt nicht wie von selbst in personenbezogene Partialhandlungen (vgl. Ungeheuer 1987b: 294 f.).

      Das Modell der Eindrucks-Kommunikation stellt den Zuhörer in den Vordergrund. Ungeheuer hinterfragt auch das additive oder das Aggregationsmodell der Kommunikation, wie es sich häufig noch in soziologischen Auffassungen findet. Demnach ist Kommunikation in Einzelhandlungen dekomponierbar, die sich wie Ursache und Wirkung verhalten. Damit nimmt Ungeheuer eine Position vorweg, wie sie durch die Systemtheorie (vgl. Kap. 9) vertreten wird. Aber im Unterschied zur Systemtheorie, die dies an der funktionalen Synthese von Unterscheidungen festmacht, steht für Ungeheuer der Kommunikator als ein Erfahrungswesen im Zentrum.

      Kommunikationen, so definiert Ungeheuer, »sind Veranstaltungen von Sprechern, die beabsichtigen, Hörer bestimmte innere Erfahrungen, Erfahrungen des Verstehens, vollziehen zu lassen« (Ungeheuer 1987b: 316). Kommunikation hat das Ziel, dass der Hörende bestimmte innere Erfahrungen, bestimmte Verstehensakte machen kann. Der Sprecher muss diese Akte antizipieren und er muss die richtigen Zeichen, die adäquaten Mittel benutzen, um diese Verstehensakte evozieren zu können. Sprachliche Zeichen haben in erster Linie eine pragmatische Dimension. Sie stellen Anweisungen dafür dar, wie und welche inneren Erfahrungen ein Hörer vollziehen soll. Sprachliche Zeichen sind Instruktionen, keine Abbildungen. Wenn ein Sprecher die Formulierung »ein alter Mann« wählt, dann stellt dies an den Hörer die Anweisung dar, mit einer Konkretisierung dieser Vorstellung so lange zu warten, bis der Sprecher sie vollzieht. Wenn die Formulierung »der alte Mann« gewählt wird, so ist dies die Instruktion, den Bezug zu einer bestimmten Person herzustellen (vgl. Loenhoff 2002: 168).

      Im Mittelpunkt der Kommunikationstheorie von Ungeheuer steht also die Analyse der Prozesse und Methoden, mithilfe derer ein Hörer zu spezifischen Verstehensakten veranlasst werden kann. Dazu ist es aber nötig, dass ein Hörer in dieser kommunikativen Situation eine asymmetrische Rollenverteilung hinnimmt, denn er lässt es zu, dass die Kommunikation bzw. der Sprecher ihn in diesem Moment steuert. Dieses wichtige Moment einer jeden Kommunikation wird von Ungeheuer als »kommunikative Subjektion« (Ungeheuer 1987b: 317) bezeichnet. Kommunikative Subjektion besteht in der Subjektion, der Unterordnung des Hörers unter den Sprecher, in der »vom Hörer zum Zwecke der Kommunikation zugelassene(n) Steuerung seiner verstehensrelevanten inneren Erfahrungsakte durch die sprachlichen Formulierungen des Sprechers« (ebd.). Jede Kommunikation ist notwendigerweise asymmetrisch, aber die Asymmetrie wechselt mit jedem Sprecherwechsel. Die Subjektion des Hörers korrespondiert mit der Suggestion des Sprechers, der den Hörer in einer spezifischen Weise zu beeindrucken sucht.

      Wilhelm von Humboldt unterscheidet drei Aspekte von Sprache: das individuelle Sprechen, die einzelnen bestimmten Sprachen, wie sie für ihn maßgeblich nationale Sprachen darstellen, und schließlich die anthropologische Bestimmung der Idee der Sprache als dem Allgemeinen aller Sprachen. Jedes Sprechen bedeutet eine Aktualisierung der Mittel und Möglichkeiten einer bestimmten Sprache, Gedanken zu versinnlichen, ihnen im Sprechen einen sinnlichen, für andere und sich selbst wahrnehmbaren Ausdruck zu verleihen. Jedes individuelle Sprechen ist auf ein konkretes Gegenüber, auf einen Mitsprechenden angewiesen, denn nur im Sprechen, im Hören und im Erwidern ist die Sprache als solche erfahrbar. In der heutigen Terminologie formuliert: Nur im kommunikativen Sprechen aktualisiert sich eine Sprache, nur in der konkreten Sprechtätigkeit lassen sich die Sprachen als besondere Sprachen bestimmen. Im konkreten Sprechen gewinnt eine doppelte Individualität ihre Gestalt: Die Individualität der je verwendeten Sprache und die Individualität des Sprechers, das, was dieser in die Sprechhandlung einbringt. Jede philosophische und wissenschaftliche Analyse muss von daher ihren Ausgangspunkt im Sprechen oder, besser noch, im Miteinander-Sprechen nehmen. Die Sprache, so Humboldt, ist kein Werk (ergon), sondern eine Tätigkeit (energeia). Das Sprechen ist ein produktiver Akt, der nicht in der bloßen Übernahme und Replikation von Regeln, nicht im normativen Handeln aufgeht. Weder das Wort noch der Satz, sondern nur die Sprechhandlung in ihrem Vollzug als Rede und Widerrede und als Hervorbringung eines sinnlich wahrnehmbaren wie auch sinnhaften Ganzen eröffnen den Blick auf das Wesen der Sprache. Jedes Sprechen ist zugleich ein Verwenden wie auch ein Erzeugen der Sprache.

      Erst im Individuum erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit. Keiner denkt bei einem Wort genau das, was der andere denkt, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen, alle Übereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen (vgl. v. Humboldt 1835 / 1994: 439).

      Die Sprache als solche ist aber kein Erzeugnis der menschlichen Tätigkeiten. Dies ist nur bei den bestimmten Sprachen der Fall, den National- oder Volkssprachen, den Soziolekten oder Dialekten. Sie sind das Produkt der Kommunikation in menschlichen Gemeinschaften. Die Sprache als solche, also Sprach- und Sprechfähigkeit, ihre organische und intellektuelle Ausstattung, ist eine anthropologische Eigenschaft. Sie ist den Menschen in der gleichen Weise natürlich und vorgegeben wie die Instinkte den Tieren. Die Sprache dient der menschlichen Verständigung, aber Verständigung ist nicht ihr vornehmster Zweck. Dieser besteht darin, dass sie den Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen zu einem sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck verhilft und ihrerseits Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen bewirken und anregen kann. Diese drei Zwecke, die Verständigungsfunktion, die Ausdrucksfunktion wie die Wirkfunktion, sind nur gemeinsam zu verwirklichen. Sprache dient der Weltaneignung wie der Weltorientierung. Sie tritt zwischen die Menschen und die Dinge, sie schafft Distanz und damit die Möglichkeit, dass sich die Menschen von dem direkten Bezug zu den Dingen lösen und Vernunft ausbilden können. Welt ist dem Menschen nur dann verfügbar, wenn sie eine in Sprache verwandelte Welt ist (vgl. v. Humboldt 1829 / 1994: 151). Es gibt keine sprachlose Welt. Sprache vermittelt zwischen der Subjektivität der Menschen und der Objektivität der Welt, sie ist Mittlerin zwischen Mensch und Welt. Von daher ist die menschliche Sprachfähigkeit, die Fähigkeit, Inneres und Äußeres, Gedanken und äußere Gegenstände durch ein sinnliches Medium zu erzeugen, welches zugleich das Werk der Menschen wie auch Ausdruck der Welt ist. Nicht zufällig fällt hier das Wort ›Medium‹,

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