Vertrauen. Niklas Luhmann

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Vertrauen - Niklas  Luhmann

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intentionale Struktur gegeben und charakterisiert. Jede Intention erfaßt etwas Gemeintes – und setzt dabei die Welt im übrigen voraus. Die Grenze des jeweils Gemeinten kann, ja muß laufend durchstoßen werden. Es ist nicht möglich, das Erleben stillzuhalten, bei ein und immer demselben Thema stehen zu bleiben. Diese Selbstbeweglichkeit des Erlebens ist elementare Voraussetzung dafür, daß die Komplexität der Welt übernommen und auf sinnvolle Verhaltensdirektiven reduziert werden kann. Das Erleben kann seine jeweilige Grenze aber nur transzendieren, indem es sie verschiebt, indem es andere Grenzen akzeptiert. In solcher Bewegung des Erlebens konstituieren sich gegenständliche Identitäten, die das Erleben vom einen zum anderen überleiten, künftiges Erleben in Aussicht stellend und Vergangenes bewahrend; und so konstituiert sich die Welt als Universalhorizont des Erlebens, der immer in aller Bewegung vorausgesetzt werden muß und nie durchbrochen werden kann.

      Natürlich darf die fraglos-selbstverständliche Welt dieses Stils nicht als faktisch voll konsentierte Welt gewertet werden. Es gibt in ihr Differenzen und Meinungsverschiedenheiten übergenug. Aber sie werden nicht der Welt, sondern dem Menschen als einem Gegenstand in der Welt angelastet, seiner Unvernunft, seiner bösen Absicht, seiner fremden Herkunft oder heute mit Vorliebe seinen „Komplexen“ zugerechnet und damit entschärft. Derart interpretiert, beunruhigen und verunsichern sie das eigene Erleben nicht, sondern werden einem besonderen Faktum in der Welt zugeschrieben, auf das man sich durch bestimmbare Handlungen des Mißtrauens, der Vorsicht, der Kampfbereitschaft oder der psychologisch geschulten Indifferenz einstellen kann.

      Vertrautheit in diesem Sinne ermöglicht relativ sicheres Erwarten und damit auch ein Absorbieren verbleibender Risiken, ist aber selbst weder günstige noch ungünstige Erwartung, sondern Bedingung der Möglichkeit für beides. Vertrautheit ist Voraussetzung [23] für Vertrauen wie für Mißtrauen, das heißt für jede Art des Sichengagierens in eine bestimmte Einstellung zur Zukunft. Nicht nur günstige Aussichten, sondern auch Gefahren bedürfen einer gewissen Vertrautheit, einer sozial konstituierten Typizität, um ein vertrauensvolles oder mißtrauisches Hineinleben in die Zukunft zu ermöglichen. Jene Vorleistung von Ordnung hat noch gar nicht diese Alternativität von günstiger oder ungünstiger Zukunft, die sich erst in bezug auf Handlungsintentionen oder Systeminteressen entfaltet. Sie ist Struktur der Existenz, nicht Struktur der Handlung. Und sie bezieht sich auf die Welt, während Vertrauen und Mißtrauen stets nur ausgewählte Aspekte der Welt, vergleichsweise winzige Ausschnitte möglichen Sinnes erfassen und thematisieren können.

      In vertrauten Welten dominiert die Vergangenheit über Gegenwart und Zukunft. In der Vergangenheit gibt es keine „anderen Möglichkeiten“ mehr, sie ist stets schon reduzierte Komplexität. Die Orientierung am Gewesenen kann daher die Welt vereinfachen und verharmlosen. Man unterstellt, daß das Vertraute bleiben, das Bewährte sich wiederholen, die bekannte Welt sich in die Zukunft hinein fortsetzen wird. Und diese Unterstellung hat im großen und ganzen Erfolg, da alle Menschen auf sie angewiesen sind und niemand in der Lage ist, alles auf einmal anders zu machen. Die Menschheit kann das, was sie durchlebt hat, nicht der Vergangenheit überlassen. Sie muß es in wesentlichen Zügen sich als ihre Geschichte laufend vergegenwärtigen, weil Geschichte ihr wichtigstes Mittel der Reduktion von Komplexität ist. Auf diese Weise löst die Zeitdimension in ihrem Vergangenheitsaspekt ein Problem, das eigentlich in die Sozialdimension gehört: unerwartetes Handeln auszuschließen. Die soziale Kontingenz der Welt wird dadurch unsichtbar gemacht, und deshalb bleibt in der vertrauten Welt die soziale Konstitution allen Sinnes anonym.

      Demgegenüber ist Vertrauen in die Zukunft gerichtet. Zwar ist Vertrauen nur in einer vertrauten Welt möglich; es bedarf der Geschichte als Hintergrundsicherung. Man kann nicht ohne jeden Anhaltspunkt und ohne alle Vorerfahrungen Vertrauen schenken. Aber Vertrauen ist keine Folgerung aus der Vergangenheit, sondern es überzieht die Informationen, die es aus der Vergangenheit[24] besitzt und riskiert eine Bestimmung der Zukunft. Im Akt des Vertrauens wird die Komplexität der zukünftigen Welt reduziert. Der vertrauensvoll Handelnde engagiert sich so, als ob es in der Zukunft nur bestimmte Möglichkeiten gäbe. Er legt seine gegenwärtige Zukunft auf eine künftige Gegenwart fest. Er macht damit den anderen Menschen das Angebot einer bestimmten Zukunft, einer gemeinsamen Zukunft, die sich nicht ohne weiteres aus der gemeinsamen Vergangenheit ergibt, sondern ihr gegenüber etwas Neues enthält.

      Vertrautheit und Vertrauen sind mithin komplementäre Mittel der Absorption von Komplexität und, wie Vergangenheit und Zukunft selbst, aneinandergekettet. Die Einheit der Zeit, die gegenwärtig Vergangenheit und Zukunft trennt, aber doch aufeinander verweist, ermöglicht ein solches Verhältnis komplementärer Leistungen, von denen die eine, Vertrauen, die andere, Vertrautheit, gleichwohl voraussetzt. Es ist aber zu vermuten, daß dieses Bedingungsverhältnis nicht invariant ist, sondern Akzentverschiebungen zuläßt, und daß der Bedarf einer Sozialordnung für Vertrautheit und für Vertrauen wechselt mit der Komplexität der sozialen Systeme selbst und mit ihrem Verhältnis zur Zeit. In dem Maße, als eine Sozialordnung komplexer und variabler wird, verliert sie als Ganzes den Charakter der Selbstverständlichkeit, der bekannten Vertrautheit, weil die tägliche Erfahrung sie nur ausschnitthaft zu Gesicht bringen oder erinnern kann. Andererseits ergibt sich aus der Komplexität der Sozialordnung selbst ein gesteigerter Koordinationsbedarf und damit ein Bedarf für Festlegung der Zukunft, also ein Bedarf für Vertrauen, das nun immer weniger durch Vertrautheit gestützt sein kann. Vertrautheit und Vertrauen müssen unter diesen Umständen

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