Einführung in die Publizistikwissenschaft. Группа авторов
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2. Funktionale Differenzierung: Der Übergang von einer stratifizierten hin zu einer funktional differenzierten Gesellschaftsordnung fand seinen publizistischen Niederschlag u. a. im Aufblühen des Zeitschriftenwesens, das sich zunehmend nach Themen und Fachbereichen auffächerte.
3. Neue Lesergruppen: Mit der Alphabetisierung immer grösserer Bevölkerungskreise stieg die potenzielle Leserschaft seit Ende des 18. Jahrhunderts stark an und erreichte in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts rund 90 Prozent (vgl. Kogler 2002: 2 f.).
Der Kampf um die Pressefreiheit
Pressefreiheit als politische Forderung
Pionierrolle Englands
Der politische Kampf um eine liberale Regelung öffentlicher Kommunikation lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen (vgl. Bauer 1930: 132 f.). Die Forderung nach Pressefreiheit entwickelte sich aber erst mit der aufkommenden Kritik am Absolutismus bzw. der ständischen Gesellschaftsordnung zu einer zentralen politischen Idee. Als Pionier bei der Durchsetzung der Pressefreiheit gilt England, wo 1695 eine dauerhafte Liberalisierung erfolgte, als das Parlament zahlreiche kommunikationspolitische Restriktionen aufhob: Ein Ende fanden u. a. die regierungsamtliche Vorzensur, die zahlenmässige Beschränkung der Druckereien und die Inspektion der aus dem Ausland eingeführten Drucksachen (vgl. Wilke 1984: 11 f.). Der Staat nahm jedoch über wirtschaftliche Massnahmen wie die Steuergesetzgebung weiterhin starken Einfluss auf die Ausgestaltung der Presselandschaft.
Siegeszug des Liberalismus
Erst ein Jahrhundert später fand das Prinzip der Pressefreiheit Nachahmung: 1791 setzte sich die Pressefreiheit in Amerika nach der Unabhängigkeit und der Gründung der Vereinigten Staaten verfassungsrechtlich|96◄ ►97| durch. Zur selben Zeit bahnten sich in Kontinentaleuropa ähnliche Liberalisierungsschritte an. Die Pressefreiheit zählte zu den Kernpunkten der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und erfuhr Schutz durch die französische Verfassung von 1791 (vgl. Wilke 1984: 15). Die von Frankreich aufoktroyierte 1. helvetische Verfassung von 1798 brachte der Schweiz u. a. die Pressefreiheit (vgl. Guggenbühl 1996: 91), die seit der Bundesverfassung von 1848 in allen Kantonen das Grundprinzip eines demokratischen Öffentlichkeitsideals bildet. Die Liberalisierung führte hier wie andernorts zum raschen Anstieg der Titelzahl von Zeitungen und Zeitschriften, insbesondere durch die Neugründung politischer Zeitungen (vgl. Markus 1909: 18 f., 70).
Florierendes Zeitschriftenwesen
Vielfalt beim Zeitschriftenwesen
Die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft und die Bildung entsprechender Teilöffentlichkeiten beschleunigten sich im 18. Jahrhundert. Der damit verbundene Wandel von Medienstrukturen zeigt sich besonders beim stark expandierenden Zeitschriftenwesen, wie Jürgen Wilke aufzeigt: „Die Zeitschrift erwies sich als genuines Medium, das der fortschreitenden sozialen Differenzierung und Arbeitsteilung Ausdruck verlieh, sie zugleich aber öffentlich sichtbar machte und weiter vorantrieb“ (Wilke 2000: 95). Können im deutschsprachigen Raum um 1700 rund 70 Zeitschriftentitel nachgewiesen werden, so waren es um 1750 bereits zwischen 300 bis 400 Titel, und in den 1780er-Jahren wurde die 1000er-Marke überschritten (vgl. Wilke 2000: 94 f.). Ein grosser Teil der Zeitschriftentitel verweist auf die Ausdifferenzierung universitärer Fächer, zahlreich waren ebenfalls die Blattgründungen im kulturellen und politischen Bereich, aber viele Periodika bezogen sich auch auf Alltagsfragen wie Mode oder Moral.
Anbrechendes Zeitalter der Massenmedien
- Verdichtung des internationalen Nachrichtenverkehrs
Die Geschichte der modernen Massenpresse ist eng mit der Industrialisierung verbunden. Der weltweite Informationsfluss verdichtete sich, und die Nachrichtenbeschaffung wurde einfacher. Neue elektrische Kommunikationsmittel wie die Telegrafie (ab 1844) halfen, weite Distanzen in kürzester Zeit zu überwinden. Nun entstanden nationale Nachrichtenagenturen, welche die internationalen Nachrichtenflüsse während Jahrzehnten weitgehend steuerten: die französische Havas |97◄ ►98| (1835), die amerikanische Associated Press (AP, 1848), das deutsche Wolffsche Telegraphenbüro (WTB, 1849) und die britische Reuters (1851) (vgl. Blum 1995: 13 f.).
Innovationen im Druckgewerbe
Bahnbrechende Innovationen bei der Druck- und Satztechnik erlaubten einen Quantensprung bei der Mengenproduktion (vgl. Hiebel et al. [1999]: 153–155, 178, 200, 211). Das Druckgewerbe erlebte einen Visualisierungsschub u. a. mit der technischen Ausreifung der Lithografie (Anfang 19. Jh.) und später der Fotografie, deren massenhafter Druck durch neue Reproduktionstechniken (Autotypie) Ende des 19. Jahrhunderts möglich wurde (vgl. Hiebel et al. 1999: 143–148; 213). All dies schuf die Grundlage für einen Attraktivitätsgewinn der aktualitätsbezogenen Presse. Dazu waren jedoch umfangreiche Investitionen nötig, was eine verstärkte Kapitalisierung und Ökonomisierung der Presse erforderlich machte (vgl. Wilke 2000: 267; Hamilton 2004: 70).
Presse als Massenprodukt
Der Wandel der Presse hin zum modernen Massenprodukt war nur möglich, da die allgemeine Lesefähigkeit rasch zunahm, die städtische Bevölkerung stark wuchs und in der Folge Massenmärkte für Presseerzeugnisse entstanden. Neben der Parteipresse bildeten sich im Zuge der Ökonomisierung zwei neue, stark auf das Anzeigengeschäft ausgerichtete Zeitungstypen heraus: der Generalanzeiger mit seiner universellen Berichterstattung und die auf breiteste Leserschaften ausgerichtete Boulevardpresse (vgl. Requate 1995: 19, 358–365; Pürer/Raabe 2002: 414).
Boulevardpresse
In den städtischen Zentren der Frühindustrialisierung–besonders in den Grossstädten der USA, in Frankreich und England–entfaltete sich eine billige Massenpresse, die in einigen Punkten bereits der heutigen Boulevardpresse glich. Die sogenannten „Penny Papers“, die sich zu einem grossen Teil über kommerzielle Anzeigen (Werbung für Industrieprodukte) finanzierten, wandten sich gezielt an ein breites urbanes Publikum und gewichteten Sensationsmeldungen viel stärker als politische Berichte (vgl. Schirmer 2001: 15–17). Die moderne Boulevardpresse entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als gezielte Abgrenzung gegenüber den Elitezeitungen und der parteipolitisch geprägten Tagespresse. Sie funktionierte nach eigenen ökonomischen Konzepten, gewichtete die Nachrichtenwerte nach neuen Kriterien und führte innovative ästhetische und gestalterische Prinzipien ein (vgl. Bruck/ Stocker 1996: 15–32). Der ökonomische Erfolg von Publikationen wie der Kronen Zeitung (1900 in Wien gegründet), der B.Z. am Mittag |98◄ ►99| (1904 in Berlin) oder des Daily Mirror (1904 in London) bewog zahlreiche Verleger traditioneller Tageszeitungen zur Nachahmung (vgl. Hennig 1999).
Kritische Reflexion der Massenpresse
Professionalisierung des Journalismus
Die Expansion des Pressewesens führte seit Mitte des 19. Jahrhunderts vielerorts zum Auf- und Ausbau von Redaktionen, die immer häufiger mit hauptberuflichen Journalisten besetzt waren (vgl. Pürer/Raabe 2002: 412–414). Die gesellschaftliche Bedeutung des Journalisten bzw. dessen Kommunikatorrolle gewann mit dem Aufstieg der Massenpresse weiter an Bedeutung, was von zeitgenössischen Beobachtern vermehrt kritisch reflektiert wurde. Die Bemühungen um eine Verwissenschaftlichung des Pressewesens und Akademisierung der Journalistenausbildung reichen denn auch zurück ins späte 19. Jahrhundert (vgl. Schade 2005).
Medien in der Kritik
Das im 19. Jahrhundert gängige Bild der Presse als Instrument der Aufklärung wurde während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) insbesondere in Europa erschüttert. Die nationalistisch geprägte Pressearbeit der kriegführenden Staaten führte den Zeitgenossen vor Augen, wie sehr sie