Einführung in die Publizistikwissenschaft. Группа авторов
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Medien regeln private und öffentliche Kommunikation
Eine Einschränkung der Mediengeschichte auf die Massenmedien ist jedoch zu eng. Mehr Erkenntnisgewinn ermöglicht die nachfolgende Definition von Medienkommunikation, die den soziologischen Aspekt der Rollenteilung zwischen Kommunikator und Rezipient in den Vordergrund rückt: Medienvermittelte Kommunikation unterscheidet sich von anderen Kommunikationsformen insbesondere darin, dass keine direkte oder lediglich eine stark geregelte Interaktion zwischen Kommunikator und Rezipient vorgesehen ist. Bei Medien mit Präsenzpublikum –szenischen Medien wie öffentliche Reden oder Theateraufführungen beispielsweise–erfolgt die Regelung bzw. Beschränkung der Interaktion über gesellschaftliche Konventionen, die für eine stabile Rollenteilung zwischen Kommunikator und Publikum sorgen.
2 Systematisierung des Forschungsgegenstandes: Strukturen und Analyseebenen
Kommunikations- und Mediengeschichtsforschung ist eine vergleichende Wissenschaft: Kontinuitäten und Wandel lassen sich nur
Zeitlicher Vergleich von Strukturen
im zeitlichen Vergleich mehrerer Momentaufnahmen bestimmter „Zustände“–beispielsweise der Wettbewerbssituation in der Medienbranche –empirisch erschliessen. Verglichen werden meist Strukturen, wobei ganz unterschiedliche Strukturbegriffe verwendet werden. Der
Vielfältiger Strukturbegriff
Beschreibung materieller Objekte wie technischer Einrichtungen liegt häufig ein Strukturbegriff zugrunde, der die Plan- und Regelmässigkeit in Aufbau, Gefüge oder Bauart eines bestimmten Gebildes bzw. seiner Teile erfassen möchte (vgl. Schäfers/Titscher 2002: 577f.). In ähnlicher Weise werden weitere für die Kommunikations- und Mediengeschichte bedeutsame Strukturen beschrieben: so die geologischen und topografischen Beschaffenheiten von Kommunikationsräumen (beispielsweise|81◄ ►82| hinsichtlich der Ausbreitung von Radiowellen), alle Arten von „Infrastrukturen“ (beispielsweise hinsichtlich der Transportmöglichkeiten von Zeitungen) oder auch Bevölkerungsstrukturen (beispielsweise Alphabetisierungsrate) usw. In soziologischer Perspektive dient der Strukturbegriff nicht nur der Beschreibung bestehender–historisch gewordener–sozialer „Gebilde“, sondern auch der Analyse von Handlungs- bzw. Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich zukünftiger Prozesse. In diesem Sinne lassen sich historische Kommunikationsstrukturen als Erwartungs- bzw. Entscheidungsstrukturen verstehen (vgl. Abbildung 1).
Unterschiedlich abstrakte Analyseebenen
Kommunikationsstrukturen können auf unterschiedlich abstrakten Analyseebenen untersucht werden: Sie sind analytisch fassbar auf der Ebene gesellschaftlicher Funktionssysteme, als Strukturen von Organisationen oder bei einzelnen Menschen, die vielfach Träger formalisierter Rollen sind, aber auch ganz persönliche Eigenschaften (Präferenzen, Erwartungen usw.) aufweisen (vgl. Abbildung 1).
Wie sich gesellschaftliche Funktionssysteme begreifen lassen, wird nachfolgend am Beispiel des Einflusses der Wirtschaft auf die Massenmedien kurz illustriert: Das Wirtschaftssystem funktioniert als wichtiges Teilsystem der Gesellschaft nach ganz bestimmten Regeln und Normen (Systemlogik), die in einem Spannungsverhältnis zu jenen anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme (Politik, Massenmedien, Recht, Wissenschaft, Religion, Erziehung, Kunst u. a.) stehen können (vgl. die Ausführungen zur Systemtheorie im Beitrag Theorien und theoretische Perspektiven, i. d. B.). Auf der Ebene einzelner Organisationen werden solche Spannungen zwischen unterschiedlichen Systemlogiken konkret beobachtbar. Für einen Grossteil der Medienorganisationen stellt sich beispielsweise laufend die Frage, ob sie in die journalistische Qualität investieren oder die Gewinnausschüttung an die Shareholder erhöhen sollen. So bildet das Spannungsverhältnis zwischen den Funktionslogiken des Medien- und Wirtschaftssystems einen Kernaspekt der Kommunikatorgeschichte (vgl. Requate 1995: 19ff.; McManus 2009).
Schliesslich bilden einzelne Rollenträger innerhalb von Organisationen eine weitere Analyseebene. Bei Journalisten oder Moderatorinnen beispielsweise kann es zu Konflikten zwischen den von der Organisation vorgeschriebenen professionellen Rollen und dem (persönlichen oder berufsständischen) Rollenselbstverständnis kommen.
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Die Rezipientengeschichte beschäftigt sich im Kern mit den Erwartungen der Rezipienten gegenüber den Massenmedien bzw. mit den Präferenzen beim Medienkonsum. Die Geschichte der Medienrezeption verweist–wie die Kommunikatorgeschichte–auf die Aussagengeschichte und die historische Entwicklung der Kommunikations- und Medientechniken.
Abbildung 1: Analyseebenen von Kommunikations- und Medienstrukturen
Quelle: eigene Darstellung
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3 Interdependenz des medialen und gesellschaftlichen Wandels: Prozesse
Gestaltende Prozesse
Medien sind in den sozialen Kontext der Gesellschaft eingebettet und prägen die Gesellschaft zugleich mit. Diese Interdependenz kann analysiert werden, indem einzelne Momentaufnahmen von Kommunikations- und Medienstrukturen zu historischen Entwicklungslinien verdichtet und jene Prozesse aufgezeigt werden, welche den Strukturwandel der Medien und der Gesellschaft prägen. Die Suche nach der Interdependenz zwischen medialem und gesellschaftlichem Strukturwandel konkretisiert sich in folgenden zwei Kernfragen:
1. Welche gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse (in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Recht, Technik usw.) beeinflussen (wie) die Ausgestaltung gesellschaftlicher Kommunikations- und Medienstrukturen?
2. Inwiefern beeinflussen Kommunikations- und Medienstrukturen die gesellschaftliche Entwicklung?
Nachfolgend werden drei für die Kommunikations- und Mediengeschichte als besonders zentral erachtete Strukturwandlungsprozesse kurz ausgeführt: 1. die funktionale Differenzierung der Gesellschaft, 2. die Technisierung öffentlicher Kommunikation und schliesslich 3. das Konzept der Medialisierung der Gesellschaft. Trotz dieser Fokussierung darf nicht vergessen werden, dass zur Beschreibung der historischen Entwicklung „moderner“ Gesellschaften weitere Metaprozesse wie beispielsweise Individualisierung, Mobilisierung oder Beschleunigung hinzugezogen werden müssen (guter Überblick in Schmidt/Spiess 1997: 53–104; Meier/Bonfadelli 2004).
3.1 Wandel gesellschaftlicher Differenzierung
Drei Strukturphasen gesellschaftlicher Differenzierung
Die Menschheitsgeschichte kann als Abfolge verschiedener Gesellschaftsformen mit unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen beschrieben werden (vgl. Abbildung 2). Ausgehend von der Theorie gesellschaftlicher Differenzierung (guter Überblick in Schimank 2000: 150–161), lässt sich die Kommunikations- und Mediengeschichte in drei Hauptphasen einteilen.
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Abbildung 2: Typen gesellschaftlicher Differenzierung
Quelle: Luhmann 1997: 613; Schimank