Empirische Sozialforschung. Günter Endruweit

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Empirische Sozialforschung - Günter Endruweit

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sind Wenn-dann- und Je-desto-Aussagen. In den Abschnitten über Theorien und Hypothesen wird das noch eingehender behandelt.

      Unterschiede zwischen Wissen und anderen Bewusstseinszuständen können also, sofern sie grundsätzlich sein sollen, nur in ihrer Begründetheit und Begründbarkeit liegen. Die Besonderheiten des Wissens liegen dabei in Folgendem:

      Sachlich begründet ist ein Bewusstseinszustand, wenn die Aussagen über den Gegenstand aus der Sache kommen, also aus dem Gegenstand. Hier besteht die Verbindung zu dem Schlagwort von der wissenschaftlichen Objektivität: Der Gegenstand ist das Objekt, und nur aus diesem, nicht etwa aus dem Forscher, sollen die Aussagen über das Objekt bzw. über den Gegenstand kommen, wenn sie objektiv sein sollen. Wissen kommt nur aus der Erforschung des Gegenstandes, nicht aus dem Reden über den Gegenstand. Das wissenschaftstheoretische Problem besteht darin, welche sachliche Begründung einer entgegenstehenden, ebenfalls sachlichen Begründung die Existenzberechtigung nehmen kann. Denn leider ist es bei der Schwierigkeit wissenschaftlicher Probleme nicht so, dass von zwei Begründungen die eine stets »unsachlich« ist; vielmehr geht es meistens darum, dass über die jeweilige Begründungskraft von Begründungen zu entscheiden ist, denen man ausnahmslos die Herkunft aus der Sache nicht absprechen kann. Diese Entscheidung ist eines der Hauptprobleme wissenschaftstheoretischer Überlegungen. So kann es beispielsweise sein, dass eine Untersuchung die Ursache A für ein Phänomen herausfindet, eine andere die Ursache B. Davon muss nicht eine notwendig falsch sein. Vielmehr könnte es sein, dass A unter bestimmten Randbedingungen die Ursache ist, B unter anderen Randbedingungen.

      Daraus folgt, dass Wissen auch intersubjektiv begründbar sein muss. Wäre es das nicht, gäbe es sachliche Begründetheit bestenfalls im subjektiven Bereich des einzelnen Produzenten von Wissen. Schon bei der Mitteilung von Wissen im Kollegenkreis – und die Kommunikation von Wissen wird immer unumgänglicher, weil Universalgelehrte seit mehreren Jahrhunderten unmöglich sind – wäre man ohne intersubjektive Begründbarkeit doch wieder auf blinde Autoritätsgläubigkeit, Zugrundelegen unüberprüfbarer Annahmen usw. angewiesen. Die Wissenschaft hat sich erst dann so exponential entwickelt, als sachliche Begründetheit und intersubjektive Begründbarkeit ihre Maximen wurden. Insofern sind beide Gesichtspunkte aufeinander bezogen und in der Regel gemeinsam zu sehen.

      Hier ist einer der Berührungspunkte zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik, genauer: zwischen dem wissenschaftstheoretischen Konzept von Wissen und dem wissenschaftsethischen Prinzip von Wahrheit. Wahrheit ist der höchste Wert in der Wertordnung der Wissenschaftler (deshalb ist das Abschreiben in Dissertationen disqualifizierend, nicht wegen der Verletzung irgendwelcher Zitierregeln). Ihre letzte Frage lautet immer: Ist es so, wie es unmittelbar scheint, oder ist es nach methodisch strenger Untersuchung anders? Auch hier sind sachliche Begründetheit und intersubjektive Begründbarkeit gefragt.

      Schon aus diesen wenigen Überlegungen ist zu erkennen, dass die Bereiche von Wissen und anderen Bewusstseinszuständen und damit von Wissenschaft und anderen Tätigkeiten nicht ein für alle Mal reinlich zu scheiden sind. Nicht alle Argumente, die für oder gegen einen Satz über einen Gegenstand gebracht werden können, stehen so eindeutig auf verschiedenen Stufen, dass stets eine unumstrittene Entscheidung über die Richtung des Fortschritts möglich ist. Vielmehr ist die Anerkennung von Wissen und damit eine Scheidung von Nichtwissen im Sinne von Meinen usw. zu einem guten Teil von Geisteshaltungen, von Zeitströmungen, auch von Einsichtsvermögen und Informiertheit der Diskussionspartner, insbesondere aber vom Basiskonsens in der Gemeinschaft der Wissenschaftler (scientific community) und der Gesamtgesellschaft (society at large) abhängig, so dass wir erkennen müssen: Nicht nur die Sozialwissenschaften7, sondern alle Wissenschaften sind von hochsozialer Natur!

Forschung

      Der Forschung hatten wir in unserer Wissenschaftsdefinition die Aufgabe der Wissensproduktion zugewiesen. Was in der Theorie systematisiert werden soll, hat die Forschung vorab zu liefern, nämlich Wissen. Deshalb muss die Forschung nach den Gesichtspunkten arbeiten, die wir im Kapitel 1.1.1 als maßgeblich für das Wissen beschrieben haben. Wir erhalten damit als genaueren Forschungsbegriff:

      Definition »Forschung«

      Forschung ist eine Tätigkeit, die darauf zielt, neues Wissen zu erarbeiten, indem der Forschungsgegenstand mit Methoden untersucht wird, die das Ergebnis sachlich begründet und intersubjektiv begründbar machen.

      Damit soll nicht behauptet werden, dass nur die Forschung neues Wissen produzieren könne. Das ist vielmehr auch durch das möglich, was man im Deutschen einen Einfall, im Italienischen trovato und im Englischen inspiration nennt, und was genau eine zufällige Eingabe von außen bedeutet. Im Französischen heißt es »ça me vient à l’esprit«; dazu passt die Erzählung über den Chemiker August Kekulé, ihm sei die Ringstruktur des Benzols im Traum erschienen. Ebenso kann man »Neues« durch eine Entdeckung (discovery/découverte) hervorbringen, indem man Vorhandenes, aber Verstecktes ans Licht zieht. Nur reichen zufällig Neues und wiedergefundenes Altes nicht aus, um die Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft nach Neuem zu befriedigen. Um das systematisch erledigen zu können, haben wir die Forschung und sonst gar nichts.

      Allerdings sind es nicht Überlegungen zur sozialen Kosten-Nutzen-Rechnung, die uns in erster Linie zur strengen Methodik beim Forschen zwingen. Wären genügend Personal, Zeit, Geld und Material vorhanden, könnte man Bereiche, Themen, Gegenstände, Instrumentarien und Ansätze der Forschung mit rein aleatorischen, d. h. zufälligen Verfahren festlegen. Das würde dem Forscher vielleicht endlich die von mancher Seite stereotyp gebrachten Vorwürfe der Auftraggeberhörigkeit oder des Eigeninteresses ersparen.

      Aber auch in diesem utopischen Forscherparadies müsste der Zufall durch Systematik abgelöst werden, sobald es um die eigentliche Wissensproduktion geht. Denn wenn das Ergebnis aus dem Gegenstand heraus begründet und gegenüber anderen Forschern begründbar sein soll, muss es mit solchen Methoden gewonnen worden sein, die jeder andere Forscher anwenden kann. Nur so lässt sich feststellen, ob die Ergebnisse dann gleich sind. Auf einzelne Aspekte werden wir später eingehen, an dieser Stelle bleibt es bei dem Hinweis, der anregen soll, über einzelne Konsequenzen für die Forschungspraxis nachzudenken, etwa über den Mindestumfang der Mitteilungen über die Untersuchungsanordnung oder über die Zeitgebundenheit von Untersuchungsgegenständen. Diese ist ein Problem für die Sozialwissenschaften, das die Naturwissenschaften nicht im Entferntesten so zu lösen haben.

Theorie

      In unserer Wissenschaftsdefinition in Kapitel 1.1 hatten wir für die Theorie die Funktion vorgesehen, Wissen zu systematisieren. Wissen in seiner einfachsten Form kann in einem Satz gespeichert werden, der nichts anderes enthält als die Grundelemente eines Aussagesatzes. Damit können wir uns aber nicht begnügen. Komplexere Wissenszusammenhänge werden daher in einer Theorie formuliert, unter der verstanden werden soll:

      Definition »Theorie«

      Eine Theorie ist ein System von Sätzen mit Seinsaussagen über Wirklichkeit, das durch die sprachliche Zuordnung sachliche Zusammenhänge wiedergibt.

      Die Zusammenhänge, die in einer Theorie zwischen den Sätzen hergestellt werden, können sehr verschieden sein. Es kann um die Parallelisierung von Ereignissen, die Angabe von Phasen oder Stufen eines Prozesses, um Bedingungen oder Konsequenzen gehen, um nur einiges zu nennen. Das höchste Ziel wohl jeder wissenschaftlichen Theorie ist die Darstellung von Kausalzusammenhängen. Erst die Kenntnis dieser Kausalzusammenhänge macht den Forschungsgegenstand manipulierbar im Sinne einer zielbewussten Veränderung.

      Sozialwissenschaftler wie Naturwissenschaftler setzen sich daher die Erforschung von Kausalverbindungen als höchstes,

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