Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise
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Mit diesem Ergebnis wäre eine enggefasste Fragestellung sehr gut bewältigt. Eine weiter gefasste Fragestellung würde den Bildkontext des Wahlkampfes und die Motiv- und Darstellungsgeschichte des Politikerporträts einbeziehen und beispielsweise ermitteln, dass das Porträt stilistisch auf die Pop-Art-Ära rekurriert und dabei gleichzeitig auch Bezüge zum gesellschaftskritischen Social Realism aufweist (vgl. Heller 2008). Teil einer weiter gefassten Fragestellung könnte auch die Recherche und nähere Untersuchung des Produktionskontextes sein, über den in diversen Publikationen mittlerweile Details bekannt geworden sind, wie etwa in Publikationen Shepard Faireys, in denen sich der Künstler explizit zum Entstehungsprozess, aber auch zu seinen Intentionen äußert:
»As an artist the things that really struck me about Obama were his sincerity and idealism. […] When I made the HOPE portrait, I wanted to capture his idealism, vision, and his contemplative nature, this last one of the most easily overlooked qualities that a strong leader embodies. […] With my illustration, I wanted to convey that Obama had vision – his eyes sharply focused on the future – and compassion, that he would use his leadership qualities for the greater good of America in a very patriotic way. I used a photo for reference (which is now the subject of a legal dispute), and gave the illustration a patriotic color scheme, dividing the face into the red shadow side and the blue highlight side, to convey the idea of blue and red states, Democrats and Republicans, who are frequently in opposition, converging« (Fairey 2009: 7).
In einer weiter gefassten Fragestellung werden also die intendierten Bedeutungen des Bildproduzenten eruiert, im Fall von Abb. 8, das Ziel des Urhebers, den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zugleich idealistisch und kontemplativ zu charakterisieren und visuell zu vermitteln, dass Obama eine patriotische Vision hat, welche die gesellschaftlichen und parteipolitischen Gräben zu überwinden scheint. Auch die Frage nach der Bedeutung des Motivs für die Wahlkampagne als Ganzes wäre in einem erweiterten Forschungsdesign vielversprechend. Um diese Fragen zu beantworten, wären sich wechselseitig ergänzende qualitative, historische und sozialwissenschaftliche Methoden geeignet. Im vorliegenden Fall würde dies beispielsweise zu der Erkenntnis führen, dass Obamas Wahlkampfkommunikation nicht nur durch einen beispielhaft konsequenten Einsatz neuer Medienkanäle und Medientechnologien geprägt war (vgl. Marez 2009; Stallabrass 2009), sondern sich gerade auch im klassischen HOPE-Plakat ein durchdachtes Visualisierungskonzept mit einer prägnanten Ikonografie ausdrückt, das auch bewusst auf Obamas afro-amerikanischen Hintergrund anspielt sowie auf die einfachen Verhältnisse, aus denen er stammt (vgl. Cartwright/Mandiberg 2009).
Inwiefern sich diese Intention tatsächlich auch in der Wahrnehmung der Wähler widerspiegelt, wie das Motiv also rezipiert, verstanden und interpretiert wird und mit welchen Wirkungen dies verbunden ist, wären hingegen Fragen aus der Perspektive der Rezeptions- und Wirkungsanalyse (vgl. Kapitel 5), für die oft experimentelle bzw. standardisierte Verfahren eingesetzt werden. Um Aussagen über das Verständnis und/ oder die Wirkungspotenziale des Plakates treffen zu können, würden sich beispielsweise Befragungen in einem experimentellen Setting anbieten. Auch eine empirischqualitative Vorgehensweise, bei der etwa fokussierte Gruppendiskussionen eingesetzt werden, wäre denkbar (vgl. Mayring 2010; Schreier 2012).
Ob eine enge oder eine weite Fragestellung für das Forschungsprojekt gewählt wird, ist abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit sowie von dem Anspruch der Studie. Ein typischer Anfängerfehler ist hierbei, die Fragestellung viel zu weit zu ziehen und dann im Verlauf des Schreibens den Überblick zu verlieren, um dann zum Schluss der Arbeit die bereits eingangs formulierte These ohne kritisch-abwägende Erörterung zu bestätigen. Lieber klein anfangen, solide beschreiben, analysieren und die Befunde reflektiert einordnen und interpretieren (vgl. Kapitel 4).
Zu Beginn Ihrer visuellen Forschung sollten Sie sich auch einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Methoden verschaffen. Hierzu ist ein Methodenhandbuch geeignet, herausgegeben von Thomas Petersen und Clemens Schwender, »Die Entschlüsselung der Bilder. Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation«. Köln: Halem, 2011.
Für MA-Arbeiten und Dissertationen empfiehlt sich zudem die Beobachtung der einschlägigen Fachgesellschaften und der Besuch der Jahrestagungen, auf denen aktuelle Forschungsthemen vorgestellt werden. Für den deutschsprachigen Raum ist dies die Fachgruppe Visuelle Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK): www.dgpuk.de/fachgruppenad-hocgruppen/visuelle-kommunikation. International gibt es Fachgruppen Visuelle Kommunikationsforschung in der International Communication Association (ICA), in der Association for Education in Journalism and Mass Communication (AEJMC) sowie der International Visual Sociology Association (IVSA). Zudem ist es lohnenswert, die Publikationen in den drei auf visuelle Forschung spezialisierten internationalen Zeitschriften im Auge zu behalten: Visual Communication Quarterly, Visual Communication und Visual Studies. Für Rezeptionsstudien im Besonderen ist es zudem ratsam, die Betreuerin bzw. den Betreuer Ihrer Arbeit hinsichtlich der Möglichkeit einer Einbettung in ein laufendes Forschungsprojekt anzusprechen. Teamarbeit ist hier die Regel.
3.1 Deutung – Bedeutung – Bildeinsatz
Die vorangegangenen Kapitel haben verdeutlicht, dass Bildbedeutungen von vielen Faktoren beeinflusst werden. Dabei sind die beabsichtigten, intendierten Bedeutungen der Bildproduzenten von den später auch zeitlich desynchronisiert erfolgenden zugewiesenen bzw. attribuierten Bedeutungen zu unterscheiden. Intendierte Bedeutungen können im Rahmen einer visuellen Produktionsanalyse ermittelt werden. Die Aufdeckung attribuierter Bedeutungen ist ein Ziel der visuellen Rezeptions- und Wirkungsanalyse. Idealerweise werden Produktions- und Rezeptionsanalyse in einem Multi-Methoden-Design vereint, so dass ein Vergleich der von den Bildmachern intendierten und vom Publikum attribuierten Bildbedeutungen möglich wird. Praktisch sind jedoch sowohl nicht-standardisierte, qualitative Verfahren wie auch standardisierte, quantitative bzw. experimentelle Verfahren, häufig bereits isoliert eingesetzt, sehr aufwendig und können daher selten im Rahmen eines einzigen Forschungsdesigns realisiert werden.
Auf das Beispiel des Obama-HOPE-Plakates angewandt (vgl. Abb. 8, S. 38) würde der Forscher beispielsweise – ausgehend von den intendierten Bedeutungen des Plakatgestalters Shepard Fairey – diese mit den tatsächlich von Rezipienten attribuierten Bedeutungen vergleichen und/oder auf Basis einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe durch Befragung ermitteln, auf welche Personen- und Wählergruppen das Plakat zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung) wie gewirkt hat. An diesem Beispiel wird auch deutlich, vor welchen Herausforderungen die empirische Visuelle Kommunikationsforschung steht, denn nachträglich sind wahrgenommene und attribuierte Bedeutungen nur schwer zu ermitteln. Hier wäre also eine möglichst zeitnahe Erfassung der Bilddeutungen und ihrer persönlichen Bedeutungen für die Betrachter wichtig gewesen, auch um das möglicherweise gewandelte Bild von Obama in seinem Wiederwahlkampf 2012 mit seiner ersten Präsidentschaftswahlkampagne zu vergleichen.
Der Bedeutungskonstruktion