Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Stephanie Geise страница 13
Ein dem Begriff Bildeinsatz verwandter Begriff ist der Bildakt (Bredekamp 2010). Mit seiner Theorie des Bildakts verbindet Bredekamp (2010: 38) eine den Bildern innewohnende Kraft. Bilder werden so nicht als materielle Objekte, sondern als »imagines agentes« – als janusköpfiges Phänomen mit passiven und aktiven Potenzialen (ibid.: 20) – betrachtet. Der Zusammenhang von Bild und Körper sowie Bild und Handeln spielt sowohl in den philosophischen (vgl. Seja 2009) als auch in den kunsthistorisch-bildwissenschaftlichen Diskursen (Belting 2005, 2007; Beyer/Lohoff 2005) seit geraumer Zeit eine Rolle. Dabei rekurriert der Begriff »Bildakt« nach Bredekamp (2010: 52) sowohl auf philosophisch-phänomenologische als auch auf sprachwissenschaftliche Modelle, wie den »Sprechakt«:
»Reziprok zum Sprechakt liegt die Problemstellung des Bildakts darin, welche Kraft das Bild dazu befähigt, bei Betrachtung oder Berührung aus der Latenz in die Außenwirkung des Fühlens, Denkens und Handelns zu springen […]. Im Sinne dieser Frage soll unter dem Bildakt eine Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln verstanden werden, die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und auch hörenden Gegenüber entsteht.«
Die Bildakttheorie verortet die Kraft des Bildes also im Bild selbst. Aus diesem heraus entsteht erst die Außen- und Wechselwirkung, die als aktiv begriffen wird. Damit bleibt in der Bildakttheorie jedoch der analytische Blick bildimmanent. Die Frage nach dem Bildeinsatz geht hingegen davon aus, dass Deutungen und Bedeutungen von Bildern durch Prozesse entstehen, die in den unterschiedlichen Bildkontexten liegen und aktiv durch Bildproduzenten und Bildrezipienten erzeugt und modifiziert werden. Die Analyse von Bilddeutung, Bildbedeutung und Bildeinsatz basiert damit auf sozialwissenschaftlichen Fragen, die auf ein besseres Verständnis der Kommunikationsprozesse abzielen, die mit Bildern oder durch Bilder ausgelöst werden, für deren Erkenntnis jedoch die komplexen Prozesse zwischen Bildgestalt, Bildproduktion und Bildrezeption entschlüsselt werden müssen (vgl. Kapitel 11).
3.2 Digitales Bild und globale Verbreitung
Die Mediatisierung und Digitalisierung der Lebenswelt macht auch vor dem Bild nicht Halt. In gewissem Sinne sind Bilder sogar eine »treibende Kraft« der globalen Digitalisierung. Das Neue am digitalen Bild ist dabei, dass es vormals voneinander getrennte Bildkontexte aufbricht und zu einer Hybridisierung und Konvergenz der Medien und ihrer Kommunikationskontexte führt. Ehemals lokal beschränkte Medien, die aufgrund ihrer Sprachlichkeit nur eingeschränkt in andere kulturelle und sprachliche Kontexte transferiert werden konnten, können nun visuell global verbreitet werden – werden dabei aber auch aus ihren ursprünglichen Kontexten und den damit verbundenen intendierten Bedeutungen gelöst. Das Bild bleibt zwar als Bildgestalt und -motiv erhalten, aber die kommunikativen Deutungs- und Bedeutungsprozesse sind vielfältiger und ihre Analyse ist komplexer geworden. Per Smartphone oder iPad werden unzählige Bilder ausgetauscht. Der private Produktionskontext von Bildern hat damit ungeahnte Dimensionen angenommen. So tat der Marktführer unter den sozialen Netzwerken FACEBOOK anlässlich seines Börsengangs im Februar 2012 kund, dass die 900 Millionen Nutzer weltweit täglich 250 Millionen Fotografien – das entspricht 3.000 Fotos pro Sekunde – auf die Onlineplattform hochladen (Petapixel 2012). Vergleichbare Plattformen wie FLICKR berichten ebenfalls über millionenfache Bildaktivitäten im Netz. Zwar gab es auch in vordigitalen Zeiten Amateurfotografie und private Bildproduktion (vgl. Von Dewitz 1989; Skrein/Von Dewitz 2005; Fotogeschichte 2009; Regener 2009), doch konnten diese analogen Datenmengen nicht per Mausklick global verbreitet werden.
Die globalisierte Bilddigitalisierung suggeriert, dass die verfügbaren Daten über den Bildeinsatz von Millionen Nutzern auch wissenschaftlich untersucht werden können. Das Ausmaß der digitalen Bildflut geht jedoch weit über das menschlich Vorstellbare und das kommunikationswissenschaftlich Analysierbare hinaus, solange die sich in Entwicklung befindenden visuellen Methoden des Datamining und der standardisierten Bild(inhalts)analyse noch nicht in der Forschungspraxis einsetzbar sind. Die global verbreitete visuelle Onlinekommunikation ist somit eine der großen Herausforderungen der Visuellen Kommunikationsforschung.
Immerhin liegen erste Klassifizierungsversuche von FACEBOOK-Bildern vor (vgl. Autenrieth/Neumann-Braun 2011). Innerhalb der sozialen Austauschprozesse auf FACEBOOK sind die sogenannten Profilbilder von zentraler Bedeutung (ibid.: 10). Profilbilder sind eine Form der Selbstrepräsentation und Stellvertretung. Mit Thumbnails – kleinen daumennagelgroßen Ausschnitten der Profilbilder – werden Kommentare auf Facebook versehen, so dass die meist passfotoähnlichen Bilder die Autorin bzw. den Autor der Kommunikation im Netzwerk repräsentieren. Der anonyme Nutzer wird damit zu einem sichtbaren Akteur im globalen Netzwerk (vgl. Astheimer/ Neumann-Braun/Schmidt 2011: 15). Dabei entsteht auch eine neue Kategorie des Bildproduzenten. Im Unterschied zu den asymmetrisch wirkenden traditionellen Massenmedien im 20. Jahrhundert, die durch einen unidirektionalen Kommunikationskanal zu einem weitgehend anonymen Publikum charakterisiert waren, sind die sozialen Netzwerke nicht nur global, sondern auch interaktiv. Eine Selektion von Kommunikationsinhalten findet nicht anhand professioneller journalistischer Aufmerksamkeitsfaktoren statt. So hat potenziell jeder Internetnutzer die Chance, mit seinen selbstproduzierten Bildern ein globales Publikum zu erreichen. Diese Demokratisierung der öffentlichen Bildproduktion wurde bereits 1980 von dem amerikanischen Autor Alvin Toffler (1980: 11) als sogenannte Prosumption beschrieben. Der heutige Internetnutzer ist damit ein neuer Typus des Bildproduzenten – ein Prosumer, d. h. zugleich Produzent und Konsument von Bildern. Nutzergenerierte Bilder sind dem privaten Produktionskontext zuzuordnen und können dementsprechend wie analoge Bilder auf ihre Form hin analysiert werden (vgl. Abb. 1, S. 25). Lediglich hinsichtlich des privaten Produktions- und Rezeptionskontextes fügt das digitale Bild aufgrund seiner in Pixel standardisierten, leicht kopierbaren und schnell zu verbreitenden Struktur zusätzliche Elemente zur Kontextanalyse hinzu. Im Prinzip sind jedoch digitale Bilder beschreib-, analysier- und interpretierbar wie andere Bilder auch – Gemälde, Printfotografien oder Karikaturen.
An dieser Stelle und im Rahmen dieses Buches kann und soll keine umfassende Erörterung der Auswirkungen von Mediatisierung, Digitalisierung und Globalisierung auf die Visuelle Kommunikation stehen (zur Mediatisierung vgl. ausführlich: Lobinger/Geise 2015). Vielmehr wird an einem konkreten Beispiel die digitale Dimension des visuellen Kommunikationsprozesses verdeutlicht:
Das Porträt (vgl. Abb. 11, S. 48) stellt einen jungen Mann dar, dessen Gesicht in Nahaufnahme gezeigt wird. Der Bildausschnitt bis zum Schulteransatz sowie der monochrome dunkle Hintergrund deuten auf eine Art offizielles Passfoto hin. Der junge Mann hat blonde, kurze Haare, die an den Schläfen bis zur Hälfte der Ohren reichen. Seine helle Haut und seine linke Gesichtshälfte werden durch eine Lichtquelle von rechts beleuchtet, während seine rechte Gesichtshälfte vergleichsweise im Schatten liegt. Seine hellen Augen sind nicht der Kamera bzw. dem Betrachter zugewandt, sondern links außerhalb des Bildes in die Ferne gerichtet. Der Porträtierte trägt einen dunklen Pullover mit rundem Ausschnitt sowie ein helles Polohemd, mit aufgestelltem Kragen. Zwischen den Enden des Kragens ist der Adamsapfel des Mannes deutlich sichtbar.
Abb. 11: Ein frühes Fotos des späteren Attentäters Anders Breivik
Der aufgestellte Kragen deutet stilistisch auf einen Aufnahmezeitpunkt des Bildes in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts