Bildethik. Christian Schicha

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Bildethik - Christian Schicha

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hat der Deutsche Presserat in einer Pressemitteilung drei Fälle mit einer Rüge sanktioniert, in der der Umgang mit Bildern von Gewalt und Tot eine zentrale Rolle gespielt haben (Deutscher Presserat 2020):

      Redaktion zeigt Gesicht eines in Syrien erfrorenen Mädchens

      Eine Verletzung der Ziffer 1 des Pressekodex sah der Presserat in der Veröffentlichung eines Fotos eines in Syrien erfrorenen 18 Monate alten Mädchens. Unter der Überschrift „Laila (1) erfror auf der Flucht vor dem Krieg“ hatte BILD.DE über den Krieg in Syrien berichtet und da-bei ein Porträtbild des toten Kindes mit offenen Augen gezeigt. Diese Art der Darstellung ist nach Ansicht des Presserats nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt und verletzt die Menschenwürde des toten Mädchens. Der Presserat hielt den Verstoß gegen den Pressekodex für so schwerwiegend, dass er hier eine Rüge aussprach.

       Opferfotos ohne Einwilligung der Angehörigen veröffentlicht

      Eine Rüge erhielt SHZ.DE wegen mehrerer Berichte aus den Jahren 2008 und 2009 u.a. mit der Schlagzeile „Es war blanker Hass“. Es ging darin um einen Prozess gegen einen 19-Jährigen, der 2008 wegen Mordes an seiner Schwester verurteilt worden war. Die Redaktion hatte seinerzeit mehrere Artikel mit Fotos und Informationen veröffentlicht, die das Mordopfer identifizierbar machten. Das Vorhalten dieser Alt-Berichterstattung verstößt insoweit gegen den redaktionellen Datenschutz, als dass nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex die Identität von Opfern besonders geschützt werden muss ‒ auch in Online-Archiven. Dagegen waren Informationen, die Rückschlüsse auf die Identität des Täters und der Familie zuließen durch ein überwiegendes Informationsinteresse gedeckt.

       Zwei Rügen wegen Verstößen gegen den Opferschutz

      Zwei Rügen wegen Verletzungen des Opferschutzes wurden gegen BILD.DE ausgesprochen. Im ersten Fall hatte die Redaktion unter der Überschrift ‚Diese Liebe endete im Blutbad‘ über eine Beziehungstat berichtet, bei der ein junger Mann seine Freundin umgebracht und dann sich selbst das Leben genommen hatte. Im zweiten Fall wurde unter dem Titel ‚Vater erstickte Kinder mit Bauschaum‘ über den Vorwurf gegen einen Mann informiert, seine beiden Kinder getötet zu haben. In beiden Artikeln wurden die Opfer mit Fotos identifizierend dargestellt. Ein öffentliches Interesse daran sah der Presserat nicht und stellte einen schweren Verstoß gegen den Opferschutz nach Ziffer 8 Richtlinie 8.2 fest.“

      Hierbei wird die Ziffer 1 des Pressekodex mit der grundlegenden Wahrung der Menschenwürde herangezogen. Die Ziffer 8.2 bezieht sich auf den Opferschutz. Eine Identifizierung durch ein Foto in der Berichterstattung sollte nur dann stattfinden, wenn das Opfer oder die Angehörigen dem zustimmen oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

      Der Großteil der Presseverlage in Deutschland hat sich verpflichtet, öffentliche Rügen des Presserates publik zu machen. 2020 sind von 53 ausgesprochenen Rügen 19 nicht von den betreffenden Presseorganen abgedruckt worden. Somit sind etwa ein Drittel aller Rügen unveröffentlicht geblieben (vgl. Deutscher Presserat 2021).

      Auf weitere Beurteilungen des Deutschen Presserates hinsichtlich der Angemessenheit von Bildveröffentlichungen wird anhand konkreter Beispiele im Verlauf des Bandes noch eingegangen. Darüber hinaus werden nachfolgend auch Richtlinien und Beurteilungskriterien der Medienselbstkontrollinstanz des Deutschen Werberates skizziert.

II Anwendungen

      4 Dokumentar- und Kunstfotografie

      Seit fast 200 Jahren suchen Fotografen nach neuen Techniken und Ausdrucksmöglichkeiten ihres Schaffens (vgl. Heine 2012). Auf Basis ihrer Ideen und Interessen widmen sie sich unterschiedlichen Stilformen und Themenfeldern. Dazu gehören u.a. die Porträt-, Körper-, Straßen- und Landschaftsfotografie (vgl. Kroth 1977, Roberts 2001, Rocholl 2002, Vorsteher/Quermann 2005, Rankin 2012, Bailey 2014, Haydn Smith 2019).

      In Kooperation mit Kameraherstellern liegen Bücher vor, die Amateuren technische Hinweise zur Erstellung von Aufnahmen u.a. im Bereich der Astro,- Architektur-, Reportage-, Sport-, Reise-, Pflanzen- und Tierfotografie geben (vgl. Kaeppeler 1979).

      Fotografen arbeiten freiberuflich oder fest für Magazine und Tageszeitungen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, für Parteien und neue soziale Bewegungen sowie kommerzielle Wirtschaftsunternehmen. Sie können Handwerker und Künstler sein, gesellschaftliche Missstände im Bild dokumentieren oder Auftragsarbeiten aus der Werbung oder dem Journalismus bearbeiten.

      Geschmacksurteile werden in Büchern vorgenommen, die Fotos so genannter Bausünden zeigen, da sie die Existenz ästhetisch misslungener Bauvorhaben dokumentieren. Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe (2020 und 2021) hat individuell gestaltete Eigenheime mit Steingärten und öffentliche Betonbauten fotografiert, die als besonders hässlich wahrgenommen werden.

      Positive Beispiele für ästhetisch gelungene Aufnahmen von Prominenten finden sich hingegen in Fotobänden, die von Künstlern aus dem Kulturbereich gemacht worden sind, zu denen die Abgelichteten ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben.

       Der Musiker Bryan Adams hat großförmige Porträts von Prominenten aus dem Mode-, Show- und Kunstbereich gemacht. Dazu gehörten u.a. Mick Jagger, Julianne Moore, Amy Winehouse und die englische Königin. Er hat sich aber nicht nur auf Berühmtheiten fokussiert, sondern auch Bilder von Obdachlosen publiziert (vgl. Adams 2012 und 2019).

       Der Jazzmusiker Till Brönner hat u.a. die Künstler Markus Lüpertz, Armin Müller-Stahl, Karoline Herfurth, Lenny Kravitz und Gregory Porter abgelichtet, aber auch eigene Aufnahmen aus dem Ruhrgebiet vorgelegt (vgl. Müller-Remmert u.a. 2019).

       Der Fotograf Jim Rakete war Musikmanager von Bands wie Spliff und hat zahlreiche Schwarz-Weiß-Porträts von prominenten Schauspielern (u.a. Til Schweiger, Meret Becker, Otto Sander, Helen Mirren) und Musikern (u.a. Deep Purple, Reinhard Mey, Nina Hagen) aufgenommen, aber auch Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen fotografiert (vgl. Rakete 2008, 2011 und 2015, Meixner 2020).

       Die Fotografin Linda McCartney hat nicht nur ihren Ehemann Paul von den Beatles und die gemeinsame Familie aufgenommen, sondern auch Rockstars wie Janis Joplin, Jimi Hendrix, Aretha Franklin, Bob Dylan und die Rolling Stones abgelichtet (vgl. Castle u.a. 2015).

      Aus einer normativen Perspektive sind primär die Aufnahmen relevant, die in einem journalistischen oder künstlerischen Zusammenhang entstanden sind und kontroverse Diskurse ausgelöst haben. Darauf wird im weiteren Verlauf des Textes noch eingegangen. Die meisten Bilder verfügen jedoch über einen dokumentarischen Charakter und sind aus einer bildethischen Perspektive nur teilweise relevant.

      In dem Band von Stepan (2008) sind 50 Fotografen, die man kennen sollte, versammelt worden. Sie haben den amerikanischen Bürgerkrieg in Bildern festgehalten (Mathew Brady 1823-1896), menschliches Elend im Gefolge des New Yorker Börsenkrachs dokumentiert (Dorothea Lange 1895-1965), als Modefotografen gearbeitet (Diane Arbus 1923-1971), Prominente ins Bild gerückt (Richard Avedon 1923-2004) und die Industriekultur in verschiedenen Ländern abgelichtet (Hilla Becher 1931-2007, Bernd Becher 1931-2015).

      Ein Sonderdruck der Zeitschrift COLOR FOTO (o.V. 1992) präsentiert ausschließlich die Arbeiten von Fotografinnen wie Lee Miller, Herlinde Koelbl und Bettina Rheims (2000).

      Nachfolgend werden exemplarisch weitere bedeutende Fotografen vorgestellt. Ihre Arbeiten sind teilweise als Provokationen wahrgenommen und kritisiert worden. Sie sind zunächst selbst für das Erstellen und die Verbreitung ihrer Aufnahmen verantwortlich und haben sich bei Regelverletzungen zu rechtfertigen. Sofern die Bilder über

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