Bildethik. Christian Schicha

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Bildethik - Christian Schicha

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JIM-Studie 2020 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020) zufolge steht YouTube mit 57 % auf dem ersten Platz. Den zweiten Platz belegt Whats-App (31 %) vor Netflix (16 %) und Google (14 %).

      Visuelle Wahrnehmungen können Zusammenhänge leichter fassbar machen. Sie bleiben länger im Gedächtnis haften als gesprochene oder geschriebene Worte. Es entsteht der Eindruck, dass Bilder einen authentischen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, obwohl die Auswahl der Bilder, die Perspektive des Betrachters und die Schnittfolge dazu beitragen, Bearbeitungen zu ermöglichen (vgl. Forster 2003, Grittmann 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer 2019).

      Aus einer normativen Perspektive gilt die hohe Glaubwürdigkeit von Bildern bisweilen als problematisch, da bildliche Informationen weit weniger kritisch rezipiert werden als vergleichbare sprachliche Informationen. Es wird bemängelt, dass durch die visuelle Kommunikation keine Argumentationskette herausgebildet wird. So argumentiert Röll (1998, S. 44):

      „Wahrnehmungsformen und Kommunikationsgewohnheiten werden zunehmend von der Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung bestimmt. Da der Eindruck und nicht das Argument zählt, wird logisch kausales Denken in den Hintergrund gedrängt. Bildliche (Schein-)Welten treten an die Stelle der interessegeleiteten Weltbilder des diskursiven Zeitalters.“

      Dieser Auffassung folgt Leif (2001, S. 9) ebenfalls: „(Inszenierte) Bilder, gut gestylte Stimmungen und überlegt eingesetzte Emotionen verdrängen immer mehr die Argumente oder den redlichen intellektuellen Austausch.“ Die Wahrnehmung wird durch die visuellen Sinneseindrücke beherrscht,

      „[…] nicht die Sprache oder das Denken. Geschichte und Zusammenhänge, Erörterungen, Differenzierungen und Begründungen langweilen eher, erscheinen als unbestimmt und problematisch. Sie lenken ab, verscherzen Aufmerksamkeit, vergraulen das Publikum, verderben das Geschäft. Sie passen nicht zum Bildmedium und seinen Möglichkeiten.“ (Meyer 1995, S. 55)

      Insgesamt wird der sprachliche Argumentationsstil durch einen bildlichen ergänzt, und die Bilder besitzen nicht mehr nur die Funktion, Sprache oder Texte zu ergänzen oder zu illustrieren. Faktisch werden zentrale Informationen und Emotionen über Bilder transportiert, die unterschiedliche Wirkungen bei den Betrachtern auslösen können.

      2.10 Bildwirkungen

      Es ist Kroeber-Riel (1993) zufolge davon auszugehen, dass immer mehr Menschen Bildeindrücke zur Grundlage ihrer Überzeugungen machen und die Bildkommunikation einen entscheidenden Beitrag leistet, das Verhalten zu beeinflussen. Einerseits wird Bildern die Eigenschaft zugeschrieben, eine wahrheitsgetreue Abbildung der Wirklichkeit zu bewerkstelligen. Anderseits bestehen Möglichkeiten, Bilder zu inszenieren, zu bearbeiten und zu manipulieren. Dennoch wirkt die bildliche Darstellung in der Regel realistisch. Es gelingt ihr bisweilen stärker, eine emotionale Regung zu erzeugen, als die verbale Codierung von Informationen.

      Eine eindimensionale Wirkungsdimension kann bei der Medienrezeption grundsätzlich nicht vorausgesetzt werden. Hall (1980) hat in seinem encoding/decoding-Modell aufgezeigt, dass die Vermittlung von Informationen im Rahmen der Massenkommunikation keinen transparenten Prozess im Verständnis eines stabilen Senders/Empfänger-Modells darstellt. Hall differenziert zwischen drei unterschiedlichen Lesarten eines medialen Produktes:

       Bei der Vorzugslesart (dominant-hegemonic position) wird der durch den Text und die Bilder strukturierte und begrenzte Interpre­tationsspielraum vom Rezipienten weitestgehend übernommen. Insofern erfolgt hier eine Zustimmung hinsichtlich der vorgelegten Inhalte.

       Bei der ausgehandelten Lesart (negotiated position) werden die in einem Beitrag dominierenden Ereignisse von den Rezipienten zwar akzeptiert, jedoch in den eigenen Wissens- und Er­fahrungshorizont und weitergehende Zusammenhänge eingeordnet. Die kodierte Bedeutung wird nicht einfach übernom­men, sondern mit den subjektiven Hintergründen und Erfahrungshorizonten assoziiert. Es liegt demzufolge eine kritischere Haltung als bei der Vorzugslesart vor.

       Bei der oppositionellen Lesart (oppositional code) werden die dargestellten Informationen rundweg abgelehnt und in einem alternativen Bezugsrahmen interpretiert (vgl. weiterführend Winter 1999, Lobinger 2012, Schicha 2021b).

      Es wird in diesem Verständnis von einem produktiven Zuschauer (vgl. Winter 2010) ausgegangen, der über eigene Wertmaßstäbe bei der Beurteilung von Medieninhalten verfügt. Diese Vorstellung basiert auf der Modellvorstellung eines aktiven Publikums, das die Botschaft für sich selbst autonom interpretiert und bewertet (vgl. Machart 2008). Dies gilt weiterhin bei der Interpretation von Bildinhalten:

      „Die optische Wahrnehmung, das Paradigma des Betrachters auratischer Werke, erfolgt durch thematische Aufmerksamkeit und Kontemplation, Einstellungen, in denen sich der Betrachter sammeln kann und einbringen muss. Seine eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen wie auch seine momentane Befindlichkeit werden mit dem Geschehen abgeglichen. Während der Rezeption bezieht der Betrachter sozusagen permanent und interpretierend Stellung zum Werk.“ (Fischer 2006, S. 201)

      Insofern kann es nicht die Bildwirkung geben, da jeder Betrachter über unterschiedliche Haltungen, Bewertungsmaßstäbe und Präferenzen verfügt:

      „Individuelle Dispositionen wie Erfahrungen, Vorwissen, kulturelle Prägungen, Sozialisation, Normen, Werte und Überzeugungen spielen nicht nur bei der Herstellung von […] Bildern, sondern auch bei der Entschlüsselung eine wichtige Rolle.“ (Bernhardt/Liebhart 2020, S. 19)

      So sind etwa Studien, die die Wirkung von Mediengewalt analysiert haben, zu dem Ergebnis gekommen, dass Gewaltdarstellungen in Abhängigkeit von der dramaturgischen Einbettung sozialverträgliche oder -unverträgliche Effekte erzeugen können. Sie hängen zusätzlich vom sozialen Umfeld, den Einstellungen und Erfahrungen sowie der psychischen Dispositionen des jeweiligen Rezipientenkreises ab (vgl. Grimm 1999). Nach einer weiteren qualitativen Rezeptionsanalyse auf der Basis von Gruppendiskussionen zeigte sich, dass das Spektrum der emotionalen Reaktionen auf Mediengewalt von Angst über Langeweile bis hin zu Vergnügen und Irritation reicht (vgl. Röser 2000). Nach Sichtung der wissenschaftlichen Befunde der Medien-und-Gewalt-Forschung kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass auftretende Aggressionen ein Phänomen darstellen, das von zahlreichen Faktoren abhängt und nicht allein durch die Rezeption von Mediengewalt verursacht wird (vgl. Zipfel 2021).

      3 Normative Zugänge

      Im Gegensatz zur Bildethik, die auf freiwillige Reflexion und Steuerung bei der Beurteilung der angebotenen visuellen Inhalte setzt, hat das Bildrecht auf der Basis verbindlicher Gesetze die Möglichkeit, entsprechende Sanktionen bei Verstößen festzulegen und durchzusetzen. Beide Zugänge orientieren sich an Grundwerten wie dem Schutz der Menschenwürde, der Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, dem Postulat von Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Einhaltung der Menschenrechte. Als Leitbilder gelten die Förderung des Pluralismus, die Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichberechtigung (vgl. Losch 2006).

      3.1 Bildrecht

      Das Bildrecht ist Teil des Medienrechtes, das das Presserecht, Rundfunkrecht und Multimediarecht einschließt. Medien in Demokratien vom Typ der Bundesrepublik Deutschland dienen der pluralistischen Meinungsbildung. Sie fungieren als Wirtschaftsfaktor und Kulturträger. Dabei übernehmen sie im Rahmen der so genannten Grundversorgung eine Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsfunktion. Zu den Mediengrundrechten gehören

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