Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов
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Kern des Fachkonzepts sind die hinlänglich bekannten fünf Prinzipien, die auf den ersten Blick in ihrer Schlichtheit ungemein selbstverständlich wirken, deren Qualität und „Sprengkraft“ sich indes erst bei genauerem Hinsehen erschließen.1
–So scheint auf den ersten Blick der Hinweis auf den „Ansatz am Willen“ trivial. Doch wenn klar ist, dass es einen Unterschied zwischen Wunsch und Wille gibt, dass ein Wille eine andere Kategorie ist als ein Bedürfnis oder der Bedarf, dass die aus einem Willen abgeleiteten Ziele sich wie „rote Fäden“ durch ein Arbeitsbündnis ziehen – dann wird z. B. klar, dass ein versäultes Hilfesystem, durch das der Wille eines Menschen immer wieder schon durch das System verformt und zurechtgeruckelt wird, einem solchen Ansatz zuwiderläuft. In klassischen Systemen werden Wille und Ziele der leistungsberechtigten Menschen den jeweils vorhandenen, historisch entwickelten und auf der Grundlage von Leistungs- und Entgeltvereinbarungen finanzierten Hilfen angepasst – in einem konsequent dem Fachkonzept folgenden System müsste sich ein Hilfesystem jeweils passgenau den speziellen individuellen Willen und Zielen der Menschen anschmiegen und sich – nur leicht übertrieben gesagt – bei jedem „Fall“ neu justieren.
–Wenn die eigene Aktivität des betroffenen Menschen Kern eines professionellen Arbeitsbündnisses ist, dann hat das Konsequenzen für die Aufstellung solcher Institutionen, in denen Betreuung und Kundenzufriedenheit entscheidende Parameter für „Erfolg“ sind. Denn dort werden oft die Rechte und die Eigenaktivität des Menschen gleichsam erschlagen (Pestalozzi soll gesagt haben: „Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade.“) von der Wohltätigkeitsbereitschaft des Systems und insbesondere der Professionellen. Wer Kund/innen bedient, fördert eine passive Grundhaltung und bietet sich geradezu an als jemand, an den man Verantwortung abgibt und der in perfekter Weise alles herrichtet. Dagegen fördert die Konzentration auf die eigene Aktivität des Menschen alltägliche Normalität, und dazu gehören Unfertigkeit sowie Dinge, die schiefgehen, dazu zählen Selbstorganisation bis hin zu Systemveränderung durch Widerstand.
–Wenn persönliche Ressourcen zentral sind für gelungene Unterstützungsprozesse, dann hat das Konsequenzen für leistungsbegründende Vermerke: Defizitdiagnosen und gut gemeintes „Kaputtschreiben“ von Menschen zum Zwecke der Leistungsbegründung müssen mehr und mehr abgelöst (zumindest aber ergänzt) werden durch die Beschreibung von Eigenschaften, die in wichtigen Lebenskontexten Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten sind. Zahlreiche Gutachten, die bei genauem Hinsehen eher „Schlechtachten“ sind, müssten sich verstärkt auf die erfolgreichen Bewältigungsstrategien von Menschen auch in prekären Lebenslagen richten, die bislang dazu beigetragen haben, dass Menschen (wenn auch mehr schlecht als recht) durchs Leben gekommen sind.
–Wenn zielgruppenübergreifende Arbeit ein fachlicher Standard ist, dann dürfen sich die Akteure/innen in den unterschiedlichen Gesetzeskreisen nicht ausschließlich auf die korrekte Feststellung und Erbringung der in einem bestimmten Gesetzbuch verbrieften Leistungen konzentrieren. Dazu reicht es nicht, dass man grundsätzlich „vorrangige Leistungen“ aus jeweils anderen Gesetzbüchern prüft. Vielmehr geht es darum, dass zum einen Leistungen aus jeweils anderen Leistungsgesetzen klug miteinander kombiniert werden, zum anderen aber, dass der eine Leistung beantragende Mensch nicht vorrangig oder gar ausschließlich gesehen wird als „anspruchsberechtigt nach …“, sondern in seinen gesamten Lebenszusammenhängen betrachtet und auf dieser Grundlage eine (leistungsgesetzlich begründete) Unterstützung gemeinsam mit dem leistungsberechtigten Menschen entwickelt und beschrieben wird, die dann in Kooperation von mehreren Leistungsträgern, auch aus unterschiedlichen Gesetzeskreisen, erbracht wird. Konsequent weitergedacht würde das z. B. auch heißen, dass Aktivitäten im Bereich „fallunspezifische Arbeit“ (s. dazu Hinte 1999) nicht gesetzbuchspezifisch erbracht werden, sondern von eigens dazu eingerichteten Instanzen (in manchen Städten heißen sie „Netzwerker/innen“), die mit breitem Blick und ohne zielgruppenspezifische Einschränkung ihre Kenntnisse über Ressourcen im Sozialraum bei der Kreation passgenauer Leistungen einbringen.
–Kooperation beschreibt eine basale Grundhaltung für sozialräumliches Arbeiten. Angesichts einer derzeit immer noch zahlreiche Quartiere prägenden destruktiven Konkurrenzsituation – insbesondere unter den dortigen Trägern und Verbänden, zum Teil gar angefacht von den Leistungsträgern mit der Absicht, Dumping-Preise zu befördern – ist es hilfreich, die Währung „Geld und Macht“ durch die Währung „Vertrauen“ zu ersetzen und lokale Kooperationsmodelle aufzubauen, bei denen nicht die jeweils eigenen Interessen der Trägerinstitutionen im Vordergrund stehen, sondern das Bewusstsein für die Arbeit an einer gemeinsamen Sache, nämlich der Arbeit für gute Lebensbedingungen im Quartier und der Gestaltung passgenauer Unterstützungs-Settings für (leistungsberechtigte) Menschen. Dazu braucht es Finanzierungsvarianten, die nicht diejenigen unterstützen, die die meisten „Fälle“ in ihren Einrichtungen beherbergen, sondern diejenigen, die bereits im Vorfeld sozialer Auffälligkeit dazu beitragen, diese zu lindern oder zu verhindern, also im guten Sinne Prävention betreiben und nicht erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Konkurrenz und ungesteuerte Märkte führen zu Abschottung, kriegerischen Handlungen und Kämpfen untereinander. Bei der Gestaltung regionaler Landschaften im Sinne sozialräumlichen Arbeitens geht es nicht um Kampf und egoistisches Streben nach Erfolg, nicht ausschließlich um den Bestandserhalt der eigenen Einrichtung oder gar die Expansion des eigenen Trägers, sondern um Zusammenhalt, Abstimmung und Kooperation. Vertrauenspartnerschaften sind tragfähiger als nur von Berechnung getragene Geschäftsbeziehungen.
Somit ist klar, dass diese Prinzipien, deren Ausgangspunkt der Versuch war, wesentliche Qualitätselemente sozialarbeiterischen Handelns auf den Punkt zu bringen, bei durchdachter Nutzung und radikaler Anwendung enorme Konsequenzen für Aufbau von Organisationen, Strukturen Sozialer Arbeit und insbesondere Finanzierungsformen von sozialstaatlichen Leistungen haben.
Das Fachkonzept: Verkürzungen, Missverständnisse und Klärungen
Mittlerweile gehört es fast schon zum guten Ton, „Sozialraumorientierung“ irgendwie gut zu finden. Bei der Debatte um die Reform des deutschen Kinder- und Jugendhilferechts wurde und wird wie selbstverständlich von „sozialräumlichen“ Ansätzen gesprochen, im deutschen Bundesteilhabegesetz (BTHG) taucht fast schon verdächtig häufig „Sozialraumorientierung“ auf, Publikationen mit sozialraumaffinen Titeln häufen sich, und irgendwie ist man sich in einheitlicher Diffusität einig: „Sozialraumorientierung“ ist gut. Die einen meinen damit, dass Soziale Arbeit nicht nur den Fall, sondern auch den Raum betrachten sollte (trivial und selbstverständlich, seit hundert Jahren unumstritten), andere betrachten den Sozialraum als Ressourcen-Steinbruch für Soziale Arbeit und nutzen das als Begründung für den Abbau sozialstaatlicher Leistungen (auch diese Hinterlist gab es immer schon), wieder andere wollen sozialräumliche Netze aufbauen und stärken und damit Lebenswelten vor zu starken professionellen Eingriffen schützen (gar nicht mal schlecht), und wieder andere nutzen die Sozialraum-Chiffre, um etwa stationäre Einrichtungen aus ihrer Fixierung auf die jeweils eigene Immobilie zu befreien und sie anzuregen, sich dem sozialen Umfeld zu öffnen. Mal wird der Sozialraum als Territorium gesehen, mal als virtueller Raum, mal wird der Raum kritisiert als Container, der wahlweise ein- oder ausschließt, und wieder andere würden am liebsten alle gesetzlichen Leistungsfelder in einem sozialräumlichen Konzept aufgehen sehen, bei dem Einzelfall-Leistungsansprüche durch konstruktive Sozialraumstrukturen aufgefangen werden, und all das wiederum ruft Kritiker/innen auf den Plan, die bemängeln, dass künftig der Sozialraum als Fall gesehen werden könnte.
Hilfreich ist deshalb gelegentlich eine Vergewisserung darüber, was mit dem hier in Rede stehenden „Fachkonzept Sozialraumorientierung“ gemeint ist. Aufschlussreich (und vielleicht auch ganz unterhaltsam) ist es, dazu zunächst den Blick auf einige Publikationen zu werfen, die sich zwar verbal mit „Sozialraumorientierung“ beschäftigen, dabei jedoch zumindest den in dieser Publikation gemeinten