Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов

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      3.Zur Gestaltung von Reformprozessen

      Die seit Ende der 1990er Jahre gewonnenen Erfahrungen aus Reformprozessen in kommunalen Gebietskörperschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigen, dass u. a. folgende Bedingungen hilfreich sind für eine erfolgreiche SRO-Implementierung:

      –Grundlage für die Innovation muss ein durchdachtes und überzeugendes Konzept („Vision“) sein, das von glaubwürdigen und engagierten Personen getragen wird, am besten von solchen, die zentrale Entscheidungsträger/innen sind oder die nachhaltigen Einfluss auf solche Entscheidungsträger/innen ausüben können.

      –Durch vielfältige öffentliche Diskussionen muss ein unterstützendes fachliches Umfeld geschaffen werden, das den inhaltlichen Rahmen für die Reform bildet. Wer sich dieser fachlichen Debatte entzieht, muss unter starken öffentlichen Begründungsdruck kommen.

      –Innovationen funktionieren nicht als Solonummer einzelner Personen, sondern über Allianzen – etwa zwischen Führungskräften und Personalvertretungen, Geschäftsführungen von Verbänden und Politiker/innen, engagierten Fachkräften und Verwaltungsspitzen usw. Derlei Koalitionen werden häufig informell geschmiedet, müssen aber ab einem bestimmten Zeitpunkt öffentlich agieren und eindeutig „Flagge zeigen“.

      –Reformprozesse müssen transparent ablaufen. Lenkungsgruppen müssen öffentlich tagen bzw. ihre Beschlüsse zeitnah veröffentlichen, finanzielle Rahmenbedingungen müssen klar benannt und nicht in ein fachliches Mäntelchen gehüllt werden, temporäres Chaos im Prozess (ist kaum vermeidbar!) darf nicht schöngeredet, sondern muss offensiv gemanagt werden, Umwege und evtl. notwendige Kompromisse müssen zeitnah kommuniziert werden.

      –Gestützt werden muss eine regionale Reform von politischen Beschlüssen, die möglichst von allen Parteien getragen werden. Eine Reform darf nicht das Anliegen oder gar das Vorzeigestück einer einzigen Partei sein, sondern muss – angesichts regelmäßig wechselnder politischer Mehrheiten – über Parteigrenzen hinweg gemeinsames Anliegen möglichst aller Politiker/innen sein.

      –Gerade in größeren Systemen benötigen durchgreifende Reformen klare Kontrakte zwischen den beteiligten Instanzen. Vertrauen ist gut, Kontrakte sind besser. Geschäftsordnungen, Controlling-Verfahren, Prozessvereinbarungen und Zeit-Ziel-Planungen müssen ausgehandelt und schriftlich fixiert werden, sodass sie überprüfbar, korrigierbar und orientierend sind.

      –Gezielter externer Einfluss durch Beratungs- und Qualifizierungsinstanzen ist in unterschiedlichem Ausmaß notwendig. Externe Berater/innen, aber insbesondere Qualifizierungsinstanzen sind notwendig für Coaching, Prozessberatung, Vergewisserungsschleifen sowie kritisches Feedback an zentralen Prozesspunkten – dies indes in sehr unterschiedlicher Dichte und Tiefe, je nach in der Institution vorhandenem Know-how. Grundsätzlich gilt: Externe Instanzen dürfen konsequent nur solche Funktionen erfüllen, die innerhalb der Institution noch nicht eigenständig leistbar sind, und dies immer mit dem Ziel, das implementierte Wissen innerhalb der Institution möglichst dauerhaft zu verankern. Externe sollten deshalb sparsam, aber gezielt je nach Bedarf eingesetzt werden.

      Anachronistisch, allenfalls gelegentlich recht niedlich, letztlich indes jegliche Innovation verhindernd sind immer wieder vorfindbare Orientierungen wie etwa:

      –Bei Führungskräften des Leistungsträgers: „Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird: Wir handeln erstmal die Tagessätze/Fachleistungsstunden runter, und dann sehen wir weiter.“

      –Bei Geschäftsführungen von Leistungserbringern: „Wir machen jeden Trend mit, den man uns vorgibt, und bieten das an, was der Markt verlangt und bezahlt wird.“

      –Auf Seiten der Fachkräfte: „Wir sitzen jede Welle aus und haben bisher noch jeden Trend unbeschadet überstanden.“

      Derlei Einstellungen degradieren jedwede Innovation zum Schneeball in der Hölle; da helfen kein Vortrag, kein Kongress und keine Fachpublikation. Um den Kreislauf der wechselseitigen Borniertheitszuweisungen und Innovationsverhinderungen zu durchbrechen, sind nach meinen Erfahrungen u. a. folgende Einstiege für ein Reformvorhaben erfolgversprechend:

      –Der öffentliche Träger geht mit einem Konzept in die Offensive, garantiert den Leistungserbringern Bestandssicherung, fordert aber von ihnen fachliche Innovation im Sinne des Fachkonzepts Sozialraumorientierung.

      –Leistungserbringer gehen mit einem inhaltlichen Konzept in die Offensive und bieten dieses dem örtlichen Leistungsträger an, und zwar mit der Zusage, gemeinsam Fach- und Finanzverantwortung zu tragen und hohe Transparenz bei internen Veränderungsprozessen zu garantieren.

      –Einzelne Akteure/innen auf Seiten des öffentlichen wie auch der freien Träger, die sich gegenseitig in ausreichendem Maß vertrauen, vereinbaren eine gemeinsame Strategie und beginnen gleichzeitig in ihren Institutionen mit dem Veränderungskonzept.

      Wenn man sich in Organisationen dazu entscheidet, die Umsetzung des Fachkonzepts durch eine darauf bezogene Weiterentwicklung der institutionellen Strukturen sowie der das Feld prägenden Finanzierungsströme zu unterstützen und damit eine möglichst nachhaltig wirkende organisationale Rahmung zu schaffen, benötigt man einen langen Atem sowie die Aufsetzung eines gut geplanten und gemanagten Organisations-Entwicklungsprozesses, der alle beteiligten Akteure ziemlich herausfordert und gleichzeitig der Organisation für die Erledigung ihrer Aufgaben einen neuen Qualitätsschub verleiht. Dies hat sich bereits zu Beginn der 2000er Jahre u. a. gezeigt in Berlin (Brünjes 2006), in Zürich (Waldvogel 2007), im Landkreis Nordfriesland (Stephan 2006), sowie später etwa in Rosenheim (Pichlmeier/Rose 2010), Graz (Krammer/Punkenhofer 2019), der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (s. dazu den Beitrag von Stiefvater/Haubenreisser/Oertel i. d. Band) oder in der Eingliederungshilfe in Nordfriesland (Hinte/Pohl 2018) – um nur einige zu nennen, von denen übrigens die meisten gut dokumentiert und ordentlich beforscht wurden (s. dazu Hinte/Noack 2017; Noack 2017; für den Bereich der Frühen Hilfen: Thiesen 2018; für das Thema „freiwilliges Engagement“: Schaden 2019). Oft zeigt sich, dass die Implikationen des Fachkonzepts auf eine langjährig gepflegte Kultur treffen, die geprägt ist durch die einseitige Konzentration auf eng definierte leistungsgesetzliche Ansprüche, hochgradig differenziert entwickelte versäulte Hilfeformen, Betreuungssettings jenseits der jeweiligen Adressat/innen-Milieus sowie einem Betreuungsimpetus, der weder das viel beschworene Empowerment fördert noch die konstruktiv funktionierenden Kräfte der jeweiligen Herkunftsmilieus.

      In den groß angelegten Umbauprozessen insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Eingliederungshilfe wird dieser Paradigmenwechsel mit zum Teil erheblichen Anstrengungen, Umwegen, Lernerfahrungen und Erfolgen ganz konkret vollzogen und bildet sich ab u. a. in neuen Aufbau- und Ablaufstrukturen, einer engen und partnerschaftlich gepflegten Kooperation zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern, zahlreichen innovativen Hilfe-Arrangements unter Beteiligung der betroffenen Menschen und einem beachtlichen Kompetenzzuwachs des in den Prozess einbezogenen Fachpersonals.

      Literatur

      Böllert, Karin (Hg.) (2018): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe, Band 2. Wiesbaden

      Brünjes, Volker (2006): Der sozialräumliche Umbau der Berliner Jugendhilfe. In: Budde u. a. (2006), S. 73-108

      Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank/Hinte, Wolfgang (Hg.) (2006): Sozialraumorientierung. Wege zu einer veränderten Praxis. Wiesbaden

      Feil, Naomi/de Klerk-Rubin, Vicki (2017): Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen, 11. Auflage. München

      Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (Hg.) (2019): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch

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