Friedens- und Konfliktforschung. Ines-Jacqueline Werkner

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       Sicherheit als Staatszweck in Thomas Hobbes’ Leviathan (1651):

      „Der alleinige Weg zur Errichtung einer […] allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu verschaffen, daß sie sich durch eigenen Fleiß und von den Früchten der Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können“ (Hobbes 1984 [1651], S.134).

      „Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes. […] Mit ‚Sicherheit’ ist hier aber nicht die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt“ (Hobbes 1984 [1651], S.255).

      Mit den Globalisierungsdebatten der 1970er Jahre und verstärkt mit dem Ende des Kalten Krieges sowie den jüngsten Entwicklungen seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind Diskurse um Erweiterungen eines Sicherheitsbegriffs erkennbar, der sich nicht mehr nur auf die staatliche Sphäre und „die äußere und innere Funktionsfähigkeit von Staaten“ (Gießmann 2011, S.548) beschränkt, sondern zunehmend auch die gesellschaftliche und individuelle Ebene einbezieht. Als ein Meilenstein dieser Entwicklung kann dabei – ausgehend von dem Reaktorunglück in Tschernobyl – der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, der sogenannte Brundtland-Bericht, gelten.

       Aus dem Bericht der Brundtland-Kommission (1987):

      „Konflikte können nicht nur aus politischen und militärischen Bedrohungen der nationalen Souveränität entstehen, sie können ebenso gut ausbrechen infolge von Umweltzerstörungen und des Verspielens von Entwicklungsmöglichkeiten.“ (Kap. 11.37)

      „Eine solche Neubestimmung könnte erreicht werden, wenn man sich generell auf eine umfassendere Definition von Sicherheit verständigen könnte und wenn militärische, politische, umweltbedingte und andere Konfliktquellen einbezogen würden.“ (Kap. 11.44)

      Daase (2010a, b) unterscheidet vier Dimensionen der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs (vgl. Schaubild 4):

       inhaltlich: von der militärischen zur wirtschaftlichen und ökologischen, mittlerweile auch zur humanitären Sicherheit;

       von seinem Referenzrahmen her: von der nationalen zur menschlichen Sicherheit;

       geografisch: von der territorialen zur globalen Sicherheit sowie

       bezüglich der Gefahrendimension: von der Bedrohungsabwehr zur Risikovorsorge.

      Schaubild 4:

      Dimensionen des erweiterten Sicherheitsbegriffs nach Christopher Daase (2010a, S.3)

      Die inhaltliche beziehungsweise Sachdimension definiert die Problembereiche, in denen Sicherheitsgefahren festgestellt werden. Dabei wird Sicherheit traditionell militärisch verstanden. Das traf insbesondere für die ersten Jahrzehnte der bipolaren Konstellation des Kalten Krieges zu, verbunden mit einem riesigen Nuklearwaffenpotenzial sich gegenüberstehender Großmächte. Erst mit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre wurden auch Herausforderungen neuer Art wahrgenommen. Dazu zählten insbesondere die Ölkrisen 1973 und 1979. Seit dieser Zeit gilt Sicherheit nicht mehr nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich als Zugang zu wichtigen strategischen Ressourcen. In den 1980er Jahren, ausgelöst durch das Reaktorunglück in Tschernobyl, erweiterte sich der Sicherheitsbegriff erneut. Bedrohungen werden nunmehr auch ökologisch gefasst. So wird auch der Klimawandel zunehmend unter dem Sicherheitsaspekt verhandelt. Mit den jüngsten Debatten um den Menschenrechtsschutz und die Responsibility to Protect erfährt der Sicherheitsbegriff eine weitere inhaltliche Ausdehnung um den Faktor der humanitären Sicherheit.

      Die zweite Dimension bezieht sich auf das Referenzobjekt und damit auf die Frage, wessen Sicherheit gewährleistet werden soll. Aus der Perspektive des politischen (Neo-)Realismus, wie sie dem Leviathan zugrunde liegt, bedeutet Sicherheit die Sicherheit des Staates vor äußeren Feinden (nationale Sicherheit). Im Fokus steht hier die Aufrechterhaltung der staatlichen Souveränität. Liberale Vertreterinnen und Vertreter betonen zudem die Gesellschaft als Referenzobjekt. So heißt es bei Wilhelm von Humboldt: „Diejenigen, deren Sicherheit erhalten werden muss, sind auf der einen Seite alle Bürger in völliger Gleichheit, auf der anderen Seite der Staat selbst“ (zit. nach Daase 2010a, S.10). Zu einem Perspektivenwechsel kommt es mit dem Konzept der menschlichen Sicherheit (human security). Hier steht nicht mehr der Staat oder die Gesellschaft als Gesamtheit, sondern das Individuum im Fokus der Betrachtung. Dieser Ansatz steht im Kontext kosmopolitischer Einflüsse, die dem Individuum und seinen Rechten Vorrang vor Gruppen- und Staatenrechten einräumen. Dabei verfolgt menschliche Sicherheit das Ziel, die Menschen vor direkten und gravierenden Bedrohungen zu schützen und sie zu befähigen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen (vgl. Commission on Human Security 2003). Das umfasst dann auch „neue Gefahren für die Sicherheit“ wie „Kriminalität, soziale Not, Krankheit, Armut, Arbeitslosigkeit, Migration, illegaler Drogen- und Waffenhandel“ (Daase 2010b, S.10). Der Bericht der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen spricht von sieben Dimensionen menschlicher Sicherheit: von der wirtschaftlichen Sicherheit, der Ernährungssicherheit, der gesundheitlichen Sicherheit, der Umweltsicherheit, der persönlichen Sicherheit, der Sicherheit der Gemeinschaft sowie der politischen Sicherheit (vgl. UNDP 1994, S.24f.).

      Die dritte Dimension beinhaltet die Raumdimension und die Frage, für welches geografische Gebiet Sicherheit angestrebt wird. Im traditionellen Verständnis wird mit Sicherheit die Sicherheit des nationalen Territoriums eines Staates gefasst. Dieser staatszentrierte Zugang steht in einem engen Kontext mit realistischen und neorealistischen Theorieansätzen der Internationalen Beziehungen (vgl. Waltz 1979). Regionale Sicherheitsgemeinschaften wie beispielsweise die NATO beziehen Verbündete in das Sicherheitsstreben mit ein; das Territorialprinzip wird regional, in der Regel auf der Basis eines gemeinsamen Wertefundaments, ausgedehnt – am Beispiel der NATO auf den euro-atlantischen Raum. Eine nochmalige Erweiterung erfolgt mit der internationalen Sicherheit. Dieser sicherheitspolitische Ansatz zielt auf staatliche Koexistenz und zwischenstaatliche Stabilität. Dahinter steht eine institutionalistische Perspektive (vgl. Keohane 1989), verbunden mit der Annahme, dass auch unter Bedingungen der Anarchie des internationalen Staatensystems Kooperationen im gegenseitigen Interesse möglich sind. Ein klassisches Beispiel stellen hier Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen dar. Noch weitreichender greift das Konzept der globalen Sicherheit. Es basiert auf kosmopolitischen Ansätzen und steht in einem engen Kontext mit der menschlichen Sicherheit. Globale Sicherheit geht von einer poststaatlichen Konstellation aus mit der „Menschheit als Ganzes und [der] Aussicht auf eine globale Weltgesellschaft freier Individuen“ (Daase 2010b, S.13).

      Die vierte Dimension schließlich erfasst die Gefahrendimension. Mit ihr verbindet sich die Art und Weise, wie Gefahren verstanden und Unsicherheiten konzeptualisiert werden: Das kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: „als Abwehr von Bedrohungen, als Verringerung von Verwundbarkeit und als Reduzierung von Risiken“ (Daase 2010a, S.15). Traditionell (wie beispielsweise zu Zeiten des Ost-West-Konflikts) steht Sicherheit für die Abwehr von Bedrohungen. Diese beziehen sich auf territorial begrenzte Räume und setzen „die Existenz eines gegnerischen Akteurs, eine feindliche Intention und ein militärisches Potenzial“ (Daase 2010a, S.15) voraus. In Zeiten wachsender ökonomischer und ökologischer Interdependenzen innerhalb der internationalen Staatenwelt lassen sich Gefahren nicht mehr allein durch feindliche Akteure und ihre militärischen

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