Friedens- und Konfliktforschung. Ines-Jacqueline Werkner

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Debatten zurückgehende Argumente in Anschlag bringen: die Tyrannei der Werte sowie die Zerstörung der Wissenschaft durch das Werturteil (ausführlich hierzu Jaberg 2009). Die erste Debatte geht wesentlich auf Carl Schmitt (1979 [1959]) zurück.3 Danach existiere eine innere Logik: Mit dem Setzen von Werten grenze sich das Individuum zugleich gegen andere Werte beziehungsweise „Unwerte“ ab. Diese Über- und Unterordnung von Werten führe zu einer potenziellen Aggressivität: So tendiere der „höhere Wert“ dazu, „den niederen Wert sich zu unterwerfen, und der Wert als solcher vernichtet mit Recht den Unwert als solchen“ (Schmitt 1979 [1959], S.36). Eine Alternative zu dieser Tyrannei der Werte sieht Schmitt in der Wertfreiheit. In Anlehnung an diese Argumentation wird in aktuellen Debatten – beispielsweise von Gertrud Brücher oder Christoph Weller – „der Friedensnorm ein unvermeidbares Potenzial zur Legitimierung jener Gewalt unterstellt, die das Friedensideal verwirklichen soll“ (Jaberg 2011, S.62, vgl. auch 2009, S.19f., 23ff.).

      Die zweite, gegen die Normativität der Friedensforschung in Anschlag gebrachte Argumentation weist enge Bezüge zum Werturteilsstreit auf (vgl. Jaberg 2009, S.21f., 25ff.). Dieser wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik geführt. Im Zentrum stand die Frage, ob (objektive) Wissenschaft normative Aussagen für politisches Handeln treffen könne beziehungsweise solle. Während für Protagonisten wie Gustav Schmoller Wissenschaft auch Stellungnahmen zu konkreten politischen und gesellschaftlichen Problemen umfassen sollte, plädierten Vertreter wie Max Weber (1985 [1904], S.149f.) für eine Trennung von Forschung und Werturteil, berge Letzteres die Gefahr, die Wissenschaft als solche zu zerstören. So könne es „niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein […], bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können“. Sie könne nur „die Frage der Geeignetheit der Mittel bei gegebenem Zwecke“ beantworten:

      „Jene Abwägung selbst nun aber zur Entscheidung zu bringen ist freilich nicht mehr eine mögliche Aufgabe der Wissenschaft, sondern des wollenden Menschen“ (Weber 1985 [1904], S.150).

      Parallelitäten zu aktuellen Debatten sind unverkennbar. So argumentiert beispielsweise Christopher Daase (1996, S.482):

      „Mit der politisierten Begrifflichkeit grenzt die Friedensforschung […] nicht nur politische Positionen aus, die ihrem Verständnis von ‚Progressivität’ nicht entsprechen, sondern sie schaltet auch einen wichtigen wissenschaftlichen Regulierungsmechanismus aus: die Selbstkritik. […] Indem die Verfahren zur Selbstkritik, die jeder Wissenschaft eingebaut sind, aufgegeben werden, verändert die Friedensforschung ihren Charakter von einem offenen Vernunftunternehmen zu einem geschlossenen Aussagesystem. […] Friedensforschung ist im Grunde eine situative Wissenschaft geworden, ihre Progressivität beschränkt sich auf das politische Engagement ihrer Mitglieder.“

      Mit dieser „Entnormativierung“ (Jaberg 2009, S.39) und „Entpolitisierung“ (Ruf 2009, S.46) sehen Vertreterinnen und Vertreter der kritischen Friedensforschung die Friedensforschung in ihren Grundfesten erschüttert. Nach Werner Ruf (2009, S.49) zeichne sie sich „durch die freiwillige Einordnung in den herrschenden Wissenschaftsbetrieb [aus], den zu bekämpfen sie einst angetreten war“.

      Für diese Entwicklung lassen sich nach Thorsten Bonacker (2011, S.69f.) verschiedene Gründe anführen: Erstens habe sich das Feld der Friedensforschung mit dem Ende des Kalten Krieges ausdifferenziert. Mit neuen beziehungsweise bis dahin wenig beachteten theoretischen und empirischen Phänomenen sei auch der Friedensbegriff nicht mehr nur „Ausweis für eine normative Selbstverpflichtung der eigenen Forschung“, sondern selbst zum Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung geworden. Zweitens lasse sich angesichts der gestiegenen Komplexität ein verstärktes politisches Interesse an Expertise identifizieren, die die Friedensforschung in eine größere Nähe zur Politik gebracht habe. Drittens sei eine zunehmende Professionalisierung der Friedensforschung erkennbar, womit nicht mehr nur ihr normativer Status, sondern zunehmend auch Theorie- und Methodendebatten in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt seien. Schließlich wirken sich viertens auch der Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften und die Zunahme konstruktivistischer und poststrukturalistischer Zugänge auf das Selbstverständnis der Friedensforschung aus, gewinnen damit Ansätze an Bedeutung, die stärker auf die Beobachtung von Diskursen setzen.

      Letztlich kommen aber auch psychologische Komponenten zum Tragen, die sich mit normativen Debatten inhaltlich überschneiden. In gewisser Weise sei Berufswahl auch Symptomwahl. So könne die Arbeit am Frieden dazu verleiten, entweder „die eigenen destruktiven Impulse anzuregen“, beispielsweise in Form „einer heimlichen Affinität zu Militär und Krieg“, oder aber „von der eigenen Destruktivität abzulenken“, das sich dann „in einer besonders heftigen Distanz zu den Institutionen, die angeblich allein für Krieg und Gewalt verantwortlich sind“, äußert (Krell 2017, S.957).

      3.2 Zur Praxisorientierung der Friedensforschung

      Zu den konstitutiven Merkmalen der Friedensforschung zählt auch ihre Praxisorientierung. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S.43) sprechen von einer handlungs- und lösungsorientierten Wissenschaft. In ähnlicher Weise konstatiert Harald Müller (2012, S.163):

      „Es geht nicht lediglich darum, über den Frieden, seine Störungen und seine Ursachen zu räsonieren, sondern auch darum, den Praktikern und Praktikerinnen Praxeologien zur Verfügung zu stellen, die zum Schutz und Verwirklichung des Friedens nützlich sein könnten.“

      Und auch Michael Brzoska (2012, S.134) betont die Praxisorientierung der Friedensforschung und sieht in ihr „eine wichtige Legitimation für die Förderung von Friedensforschung durch öffentliche Geldgeber, etwa die DSF (Deutsche Stiftung Friedensforschung, Anm. d. Verf.)“.

      Die Realisierung dieses Anspruches erweist sich als durchaus herausfordernd, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse „in handhabbare Praxeologien“ (Müller 2012, 163) umgesetzt werden. Seitens der Friedensforscher und -forscherinnen erfordert dies eine doppelte Transferleistung: zum einen eine Übersetzung von der Theorie in die Praxis, zum anderen eine „Übersetzung aus der Sprache des Wissenschaftssystems in die der Praktiker und Praktikerinnen“ (Müller 2012, S.163; vgl. auch Schwerdtfeger 2001, S.171). Mit dem jährlich herausgegebenen Friedensgutachten versuchen die führenden Friedensforschungsinstitute in Deutschland, genau diesem Anspruch gerecht zu werden.

      Aber auch inhaltlich können sich konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik als schwierig erweisen. Ein Beispiel stellt die Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens 2011 (Johannsen et al. 2011, S.20ff.) dar, in der die Friedensforscher und -forscherinnen zu keiner einheitlichen Einschätzung zur internationalen Schutzverantwortung im Falle Libyens gelangten und stattdessen mehrere Optionen nebeneinander stellten. Dies stellt ein durchaus legitimes wissenschaftliches Vorgehen dar und lässt sich ganz im Sinne des Wissenschaftsverständnisses Max Webers verorten (vgl. obigen Abschnitt 3.1). Angesichts der geforderten Orientierungsleistung bleibt dennoch ein Grundproblem bestehen:

      „Eine Politikberatung mit dem Ziel, all die Maßnahmen und Strategien der Politik näher zu bringen, die den Frieden fördern bzw. ihn zu gefährden scheinen, verliert jedoch ihren scheinbar eindeutigen Fokus angesichts der Vielfalt von Friedensverständnissen. Weder über die Ausgestaltung des Friedens als Zustand noch über die Wege und Mittel, mit deren Hilfe dieser Zustand erreicht werden soll, herrscht Einigkeit“ (Nielebock 2017, S.933).

      Neben der von Praktikern und Praktikerinnen eingeforderten „Bringschuld“ der Friedensforschung verweist Karlheinz Koppe (2006, S.61) auch auf die Defizite im Hinblick auf die „Holschuld der Politik“. Hier lassen sich zwei potenzielle Gefahren ausmachen: Politiker und Politikerinnen können erstens Wissenschaft für ihre Zwecke – zur Legitimationsbeschaffung – instrumentalisieren. Werden dagegen ihre Erwartungen durch abweichende friedenswissenschaftliche Positionen enttäuscht, können sie diese gegebenenfalls auch bewusst ignorieren. Diese Tendenz lässt sich beispielsweise bei

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