Basiswissen Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Thomas Müller J.J.

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Basiswissen Pädagogik bei Verhaltensstörungen - Thomas Müller J.J.

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anderer Terminologie („kriegsgeschädigt“), wurden dort vermutlich „traumatisierte“ Kinder und Jugendliche beschult, die nach einer Phase intensiver pädagogischer Begleitung in einem pädagogischen Schonraum wieder dem Regelschulunterricht folgen sollten. Die Idee des Durchgangs ist von Anfang an ein Prinzip der Schule für Erziehungshilfe. Alsbald entwickelten sich diese Klassen zum „Sammelbecken“ für alle möglichen Kinder und Jugendlichen, die durch ihr Verhalten aus dem Rahmen fielen und an den Regelschulen als unbeschulbar galten.

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      Thematische Skizze 3: Separation und Institutionen

      Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Bremen, Hamburg und Berlin Kleinklassen für kriegsgeschädigte Kinder gegründet (Klink 1962, 92). Bald wurden sie zu Institutionen für leicht erregbare, leistungsverweigernde und anderweitig schwierige Schülerinnen und Schüler. Mitte der 1950er Jahre wurden bundesweit Sonderschulen für Erziehungshilfe gegründet, die unter uneinheitlichen Bezeichnungen bestanden. Zudem wurden aus einigen Heim- bzw. Heimvolksschulen Schulen für Erziehungshilfe (Mau 1981). Dem Gutachten des Deutschen Bildungsrates, stärker integrativ statt weiter separierend zu beschulen, folgte die Kultusministerkonferenz nicht – stattdessen wurde 1972 die Bezeichnung „Schule für Verhaltensgestörte“ eingeführt und zudem entstanden sonderpädagogische Ambulanzen.

      Trotz Diskussion um die Schule für Erziehungshilfe (Myschker / Stein 2018, 356 f.) kam es nach der Wiedervereinigung zu einem Ausbau in Ostdeutschland. Sowohl in den „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland“ (KMK 1994) als auch in den „Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung“ (KMK 2000, 24 f.) wird dies dargelegt. Ging es der Schule für Erziehungshilfe vormals eher darum, Fehlentwicklungen zu verhindern, stehen aktuell der emotional-soziale Förderbedarf und besondere Erziehungsbedürfnisse im Mittelpunkt: Kinder und Jugendliche sollen die Möglichkeit erhalten, sich mit ihren Verhaltens- und Erlebensweisen auseinanderzusetzen, lernen und sich bilden zu können. Mit Blick auf die Schulqualitätsforschung halten Opp / Wenzel (2003) fest:

      „Die Begegnung mit gefühls- und verhaltensgestörten Kindern erfordert neben erweitertem theoretischen Wissen und methodischem Repertoire auch die kontinuierliche Reflexion der eigenen Arbeit. […] Es geht darum, dass sich die Professionellen selbst und in kollegialen Zusammenhängen mit den Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen, Zielen und Problemstellungen der eigenen Arbeit konfrontieren“ (Opp / Wenzel 2003, 34).

      Da die Schule für Erziehungshilfe von Beginn an als Durchgangsschule verstanden wird, werden Kinder und Jugendliche in einigen Bundesländern nur bis zur 6. Klasse oder aber erst ab einer bestimmten Jahrgangsstufe beschult, was aber bisweilen zu Anschlussschwierigkeiten führt.

      Schulen für Erziehungshilfe sollen Regelschulen von als störend empfundenem und auffällig erlebtem Verhalten entlasten. Damit geraten sie jedoch in die Gefahr der Negativfunktion einer Bedarfserfüllung, welcher an anderer Stelle nicht abgedeckt wird. Umgekehrt entlastet sie Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten mit großen Klassenverbänden und dem Leistungsanspruch der Regelschulen haben – also solche, die aufgrund ihrer biographischen Erfahrungen bereits ein oder zwei andere Kinder oder Jugendliche neben sich nicht aushalten. Aber auch der nicht auffällige Teil der Schülerschaft kann durch die Schule für Erziehungshilfe indirekt entlastet werden, wenn die Schülerinnen und Schüler ungestörter lernen können. Meist wird nach Regelschullehrplänen oder Adaptionen unterrichtet, um die Anschlussfähigkeit zu wahren. Darüber hinaus soll die Beschulungsfähigkeit bei Leistungs- und Schulverweigerung angebahnt bzw. wiederhergestellt werden. Emotional-soziale Ziele sind die Entwicklung von Ich-Stärke, Selbstwirksamkeitserleben, die angemessene Selbsteinschätzung eigener Potentiale, die Bewältigung subjektiv schwieriger Situationen, die Stärkung des Empathieempfindens, der Motivation und der Leistungsbereitschaft. Der Großteil der Schulen für Erziehungshilfe existiert als Halbtagsschule mit Klassen um die zwölf Schülerinnen und Schüler. Manche Bundesländer führen Spezial- oder Kleinklassen an Regelschulen. Zudem existieren noch einige wenige Heimschulen. Die Schulen haben ihre mobilen und beraterischen Hilfen ausgebaut. Formen integrativer und kooperativer Beschulung werden bisweilen erprobt. Zudem gibt es Schulen für Erziehungshilfe ohne Schülerschaft, deren Lehrkräfte „nur“ ambulant an Regelschulen arbeiten. Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche werden nicht nur in diesen speziellen Schulen beschult, sondern auch in Regelschulen, in anderen Förderschularten, an (einigen wenigen) Berufsschulen speziell für verhaltensauffällige junge Erwachsene, in Schulen an Kinder- und Jugendpsychiatrien (Schulen für Kranke) und in Einrichtungen des Strafvollzugs.

      Seit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) im Jahr 1990 spielen die in diesem Rahmen eingerichteten Hilfen zur Erziehung auch für sonderpädagogische sowie für schulische Kontexte eine bedeutsame Rolle. Nahezu alle Kinder und Jugendlichen, die eine Schule für Erziehungshilfe besuchen, erhalten zusätzlich Hilfen zur Erziehung, um eine ganztägige und nachhaltige Versorgung zu gewährleisten. Neben der Stärkung des Elternwillens ist es Ziel des Gesetzes, ein gestaffeltes System von Maßnahmeangeboten zur außerschulischen Erziehungshilfe mit stark präventiven Anteilen vorzuhalten. Die Hilfen zur Erziehung sind in Form familienunterstützender, -ergänzender sowie -ersetzender Maßnahmen gestaffelt. Im Rahmen dieser drei Gruppen sind spezifische Maßnahmen vorgesehen, wobei sich Art und Umfang der Hilfe konkret am Einzelfall orientieren. Die Ausrichtung dieser Maßnahmen ist familien-, gruppen- oder auch einzelorientiert: Erziehungsberatung, Soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehung in einer Tagesgruppe, Vollzeitpflege, Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen sowie intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung.

      Neben diesen Hilfen zur Erziehung bietet der §35a Möglichkeiten der Eingliederungshilfe für von seelischer Behinderung bedrohte oder betroffene Kinder und Jugendliche. Diese Hilfen können ambulant, in teilstationären Einrichtungen, durch geeignete Pflegepersonen oder in stationär therapeutischen Einrichtungen realisiert werden. Ergänzend kommt auch der §42, die Inobhutnahme, zum Zuge. Im Falle von Delinquenz bestehen darüber hinaus Möglichkeiten, Hilfen zur Erziehung mit den Sanktionen des Jugendgerichtsgesetzes (Jordan 2005, 227 f.) zu verbinden.

      Empirische Untersuchungen (BMFSFJ 2002; Macsenaere / Klein / Scheiwe 2003) zeigen, dass gerade die Effekte der niedrigschwelligen, präventiven Maßnahmen teilweise problematisch sind, während stark interventive Maßnahmen wie etwa stationäre Unterbringung im Vergleich recht gut abschneiden. Die zentrale rechtliche Stellung der Sorgeberechtigten ist zwar stark, aber nicht immer „günstig“, denn das Recht und damit unter Umständen auch das Wohlergehen der betroffenen Kinder und Jugendlichen können dahinter zurückbleiben. Besonders deutlich wird dieses Problem bei massiven Erziehungsschwierigkeiten in der Familie, bei Gewalt, Misshandlung und Missbrauch. Zwar bestehen hier Eingriffsmöglichkeiten seitens des Jugendamtes; diese sind jedoch recht hochschwellig, was mitunter auch an Erfahrungen im Umgang mit Familiengerichten und deren Entscheidungspraxis liegt. Bis hier Maßnahmen greifen, kann viel geschehen sein, wenn es an Einsicht und Kooperationsbereitschaft seitens der Sorgeberechtigten mangelt.

      Die Wirksamkeit erzieherischer Hilfen ist in verschiedenen Studien und Metaanalysen untersucht und belegt worden: Wolf (2007) verweist hinsichtlich der Wirkung erzieherischer Hilfen insbesondere auf die Passung des Hilfearrangements, die Partizipation von Jugendlichen und Eltern an den für sie wichtigen Entscheidungen, auf die Qualität der Beziehung, auf klare, Orientierung gebende Strukturen und Regeln, auf Respekt vor den bisherigen Lebenserfahrungen und den in diesem Rahmen entstandenen Strategien und Deutungsmustern. Macsenaere / Esser (2012) bestätigen diese Ergebnisse im Wesentlichen und weisen nach, welche Aspekte erzieherischer Hilfen in welchen Formen besonders wirksam sind.

      Fragen zum Verständnis:

      Wie veränderte sich der Auftrag der Schule für Erziehungshilfe von ihrer

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