Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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(vgl. Lüders/Reichertz 1986, Reichertz 2016), gleichgültig, ob sie quantitative oder qualitative Inhaltsanalyse, Dokumentarische Methode der Interpretation oder Grounded Theory, Narrations- oder Diskursanalyse, Objektive Hermeneutik oder hermeneutische Wissenssoziologie heißen (→ Wegener, S. 256 ff., Mayring/Hurst, S. 494 ff., → Lampert, S. 596 ff., → Diaz-Bone, S. 131 ff., → Hagedorn, S. 580 ff., → Reichertz, S. 66 ff.), sind mit dem Dilemma, um die eigene Perspektivengebundenheit zu wissen und gleichzeitig dem Gültigkeitsanspruch nicht abschwören zu wollen bzw. zu können, in unterschiedlicher Weise umgegangen. Betrachtet man die bisherige Geschichte der qualitativen Sozialforschung, so lassen sich drei Großstrategien unterscheiden, mit deren Hilfe man sich eine Absicherung bzw. Heiligung der Ergebnisse versprach:

      • die Begründung durch persönliches Charisma,

      • die Begründung durch Verfahren und

      • die Begründung durch den innerwissenschaftlichen Diskurs.

      Das Vertrauen auf persönliches Charisma

      Die erste Großstrategie steht in der Tradition des Arguments, bestimmten Wissenschaftlern sei eine persönliche und außerordentliche Hellsichtigkeit zu eigen. Die Strategie besteht darin, dass (auch dann, wenn Daten analysiert werden) der entscheidende Erkenntnissprung, die Abduktion (vgl. Reichertz 2013a) beispielsweise, nicht als Ergebnis von Arbeitsprozessen betrachtet wird, sondern als genialischer Akt, der nur der jeweiligen Person möglich war. Hier liefert also ein (reklamiertes und oft auch inszeniertes) Charisma die Fundierung von Gültigkeit. Zugespitzt: Selbst-Charismatiker nenne ich solche Wissenschaftler, die zwar vorgeben, mit Daten zu arbeiten, ihre Forschungsergebnisse jedoch nicht mehr an eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit binden, sondern an eine persönliche, meist exklusive Gabe. Vertreter dieser Strategie findet man in allen Varianten qualitativer Sozialforschung. Allerdings neigen Forscher, die an die Objektivität ihrer Rekonstruktionen glauben, eher dazu, diese Strategie zu wählen.

      Das Vertrauen in Verfahren

      Die zweite Großstrategie versucht ihre Ergebnisse mithilfe von spezifischen Verfahren zu legitimieren. Es ist nicht mehr die Person des Forschers, die aufgrund eines göttlichen Geschenks die Gültigkeit verbürgt, sondern es sind die wissenschaftlich etablierten Methoden, die Gültigkeit hervorbringen und garantieren. Gefragt nach der Basis von Validität, wird als Antwort ein spezifisches Verfahren genannt. Allerdings finden sich innerhalb dieser Großstrategie die drei folgenden Varianten:

      1) Rechtfertigung mithilfe der Methode der phänomenologischen Reduktion,

      2) Rechtfertigung mithilfe des Verfahrens der Methodentriangulation und

      3) Rechtfertigung mithilfe der Methode datengestützter Perspektivendekonstruktion.

      Die Methode der phänomenologischen Reduktion (auch Epoché genannt) möchte zu den Sachen selbst dadurch vordringen, dass man bei der Welterkenntnis die eigenen Vorstellungen von Welt von allen sozialen Einkleidungen befreit und zugleich alle Vorstellungen von Welt ihrer historischen Deutung entledigt. Ziel ist, den sozialen Schleier wegzuziehen, in der Hoffnung, auf diese Weise der Dinge selbst ansichtig zu werden. Dieses Verfahren ist insbesondere von den Vordenkern der Wissenssoziologie sehr stark favorisiert worden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Verfahren hat in den letzten Jahren zu der Erkenntnis geführt, dass man so nicht bei den Sachen selbst, sondern vor allem und einzig in der Sprache landet, dass man also die Perspektivität keineswegs verliert.

      Die zweite Unterstrategie, die ich hier Methodentriangulation nennen möchte, versucht die Erkenntnis von der wissenschaftlichen Perspektivität produktiv zu nutzen, indem sie als Gütegarant eine als positiv deklarierte Multi-Perspektivität anstrebt (vgl. Flick 2004; → Treumann, S. 264 ff.). Qualitative Verfahren werden mit quantitativen ergänzt, die Feldstudie mit Interviews und Fragebogen, die Interaktionsanalyse mit Experiment und Beobachtung. Die Grundidee (bzw. die zugrunde gelegte Metapher) dieser Strategie ist der Geometrie entlehnt: Um einen nicht erreichbaren Punkt (Erkenntnis) zu bestimmen, peile ich diesen Punkt von zwei (oder mehr) bekannten Perspektiven (Methoden) aus an, bestimme das Verhältnis der bekannten Perspektiven zueinander und deren Winkel zum angepeilten Punkt und kann dann mithilfe trigonometrischer Berechnungen den unbekannten Punkt bestimmen. Bei der Methodentriangulation geht es also nicht darum, die Perspektivität zu leugnen, sondern sie zum Programm zu erheben. Dennoch sind auch hier die realistischen Hoffnungen nicht zu überhören: Unzweifelhaft ist nämlich diesen Forschern der Glaube zu eigen, dass auf diese Weise nicht nur andere Ergebnisse erzielt werden, sondern dass diese Art der Welterkundung besser und die so gewonnenen Aussagen valide sind.

      Diese letzten realistischen Hoffnungen sollen vor allem mithilfe der dritten Unterstrategie getilgt werden – der Rechtfertigung der Gültigkeit von Aussagen aufgrund datengestützter Perspektivendekonstruktion. Damit ist nicht nur, aber insbesondere die Sequenzanalyse angesprochen. Allerdings muss hier auf die methodologische Rechtfertigung geachtet werden. Favorisiert man z. B. innerhalb der Objektiven Hermeneutik die Sequenzanalyse vor allem deshalb, weil sie sich vermeintlich den Sachen selbst anschmiegt (vgl. Oevermann u. a. 1979 und 200; Garz/Raven 2015, → Hagedorn, S. 580 ff.), dann zeigt sich darin eine recht beachtliche realistische Sicht von Wissenschaft. Eine reflexive Wissenssoziologie verwendet die Sequenzanalyse jedoch gerade nicht in der Hoffnung, so dem Gegenstand nahe zu kommen, weil die Sequenzanalyse den realen Prozess der Interaktion nachzeichnet. Das wäre ein grobes realistisches Missverständnis. Die Sequenzanalyse wird dagegen von Wissenssoziologen deshalb besonders gerne angewendet, weil sie ein ausgesprochen unpraktisches Verfahren ist. Die strikte Durchführung einer Sequenzanalyse (also der extensiven hermeneutischen Auslegung von Daten in ihrer Sequenzialität) kostet nicht nur immens viel Zeit, sondern sie zerstört im Prozess der systematischen und gesteigerten Sinnauslegung alle Selbstverständlichkeiten der eigenen Perspektivik und der eigenen Sprache. Strikte Sequenzanalysen führen dazu, dass alle geltenden oder für uns gültigen Vorurteile, Urteile, Meinungen und Ansichten in der Regel schnell zusammenbrechen. Die Sequenzanalyse dient also gerade nicht dazu, sich an den Gegenstand anzuschmiegen, sondern Sequenzanalyse ist nur ein Verfahren zur Zerstörung unserer gesamten sozialen Vorurteile – auch wenn dies nicht immer gelingt. Ist die Perspektivik mittels Sequenzanalyse einmal zerstört, entwirft der Forscher abduktiv Aussagen zu dem untersuchten Gegenstandsbereich (vgl. Peirce 1976; Reichertz 2013a).

      Soweit erst einmal die zweite Großstrategie der Begründung von Gültigkeit über Verfahren. Die Betrachtung der drei Unterstrategien hat gezeigt, dass die jeweils zum Einsatz gebrachten Methoden sehr unterschiedliche realistische Einfärbungen aufweisen. Aus meiner Sicht ist vor allem eine richtig verstandene Sequenzanalyse eine besonders gut geeignete Methode datengestützter Perspektivendekonstruktion und damit für Wissenssoziologen interessant.

      Das Vertrauen auf den innerwissenschaftlichen Diskurs

      Die dritte Großstrategie, die Gültigkeit von Aussagen zu fundieren, besteht darin, die Perspektivenvielfalt der Berufsgruppe zu nutzen – also auf den innerwissenschaftlichen Diskurs zu setzen, man vertraut auf ihn. Man rechtfertigt dann das, was man als gültige Erkenntnis vorstellt, nicht mehr damit, dass auf Verfahren oder die eigene Hellsichtigkeit verwiesen wird, sondern man tritt bescheiden zurück und sagt: »Ich habe meine Erkenntnisse in den wissenschaftlichen Diskurs eingespeist. Dort wurden

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