Medientheorien kompakt. Andreas Ströhl

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Medientheorien kompakt - Andreas Ströhl

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In welcher Sprache sind die Gesetze verfasst? Ist sie Teil des Codes, des Mediums, des kulturellen Wissens oder der Umwelt? Welche Rolle kommt den Kulturtechniken des Schreibens und des Lesens zu? Macht es einen Unterschied, ob Gott den Text selbst schreibt oder Moses ihn nach Diktat anfertigt? Welche Rolle spielen die Wege und Steige, die Moses geht, um den Berg herab zu gelangen? Sind sie Teil des Kanals? Welche Position nimmt der Griffel oder der Meißel ein, mit dem Moses den Text eingraviert? Besteht der Text aus den Buchstaben auf den Tafeln oder gehört zu ihm die gesamte Erzählung von der Entstehungsgeschichte der Gebote und ihrer Übermittlung? Gehören dazu auch die Vorgeschichte, das kulturelle Umfeld und die historische Situation (d. h. der Kampf gegen den Götzendienst und der Pakt zwischen Gott und den Israeliten)? Welchen Unterschied würde es machen, wenn der Text seine Empfänger nie erreicht hätte (weil z. B. auch die zweite Tafel zerbrochen oder Moses beim Abstieg verunglückt wäre)? Wäre das Medium dann trotzdem noch ein Medium? Und für wen?

      Spätestens hier wird deutlich, wie komplex die Angelegenheit wirklich ist. Verschiedene Interpreten würden den Kommunikationsvorgang »zehn Gebote« ganz unterschiedlich analysieren und kategorisieren. Als Sender ließe sich neben Gott auch Moses verstehen, denn schließlich war er es ja, der den Text geschrieben hat. Der Code kann die Schrift sein, die hebräische Sprache, die Textsorte des Gebots etc. Am umfassendsten jedoch ist[22] der Begriff »Medium«: Im Gegensatz zu unserer vereinfachenden Darstellung gibt es ganz unterschiedliche medientheoretische Positionen, die hier jeweils das Folgende zum Medium zählen würden:

      Moses

       die Steintafeln

       den Meißel

       die Schrift

       die hebräische Sprache

       die Gebote

       die Religion

       den Weg, den Moses geht

       Moses’ Füße

      Das heißt, nahezu alle Instanzen des Kommunikationsprozesses lassen sich aus dem einen oder anderen Blickwinkel als Medium verstehen, als dasjenige, was vermittelt.

      [23]»Entsprechend mehrdeutig fällt die Liste dessen aus, was als »Medien« bezeichnet worden ist«, schreibt Dieter Mersch (2006, 10 f.) und listet auf: Körper, Stimme, Schrift, Buchdruck, Holzschnitt, Fotografie, Schallplatte, Radio, Film, Fernsehen, Instrumente, Werkzeuge, Proben, Präparate, Apparate, Waffen, Kleidung, Uhren, Geld, Brillen, Häuser, Belüftungssysteme, Konsumgüter, Straßen, Kutschen, Autos, Flugzeuge, Licht, Luft, Wasser, materielle Kommunikationsträger, Liebe, Kunst, Relais, Transistoren, Computerhardware.

      So erschreckend verwirrend, allumfassend und deshalb auch bedeutungsarm eine solche Auflistung sein mag, so zeigt sie doch dreierlei:

      1) Eine solche Heterogenität lässt sich nur dadurch erklären, dass Medientheorien Bestandteile ganz unterschiedlicher Zugänge zur Deutung der Welt sind. Nur in diesen Kontexten also werden sie sich sinnvoll erklären lassen. In diesem Sinn hat eine übergeordnete kulturwissenschaftliche Theorie von den Medien eine ideologiekritische Funktion: Sie muss die Zusammenhänge jeweiliger Medientheorie mit der umfassenderen Weltanschauung in ihrem Hintergrund aufdecken und erläutern. Die Aufgabe des vorliegenden Buches ist es, die Wirrnis ein wenig zu lichten, die unterschiedlichen Theoriefragmente und Begrifflichkeiten zu sichten und zu sortieren.

      2) Schon an diesem Punkt wird klar, dass es nicht eine Medientheorie geben kann, sondern nur Medientheorien im Plural. Nicht nur verfolgen die unterschiedlichen Medientheorien ganz verschiedene Ansätze und Erklärungs- und Deutungsziele; sie sind auch Theorien sehr unterschiedlicher Reichweite und überlappen einander schon deshalb, weil jede Theorie Bestandteil, Ableitung und praktische Anwendung eines philosophischen Ansatzes – meist sogar mehrerer – ist. Im Grunde muss deshalb von einem Geflecht von Theorien und Einflüssen gesprochen werden. Ein Beispiel: Vilém Flussers Kommunikologie (→ S. 155) ist unter anderem stark geprägt vom Denken Edmund Husserls, Martin Bubers und Marshall McLuhans (→ S. 86). Letzterer wiederum weist ebenfalls deutliche phänomenologische Einflüsse auf, steht aber in einer anderen Tradition.

      3) Es kann nicht verwundern, dass sich bei einer solchen Gemengelage Theorien unterschiedlichster Reichweite und Herkunft bis zur Unkenntlichkeit durchdringen und vermischen. Dies gilt für ganz andere Theorien allerdings nicht weniger, und es bedarf wohl nicht einmal der Erwähnung, dass der folgende Ausschnitt aus der Geschichte der Medientheorien vereinfachend ist und nicht der tatsächlichen Komplexität von Einflussnahmen und Geltungsansprüchen in den Medientheorien gerecht werden kann.

      4) Ein einführendes Lehrwerk wie das vorliegende muss den Versuch unternehmen, so gut es eben geht, sowohl das große Ganze im Auge zu behalten als auch einige ausgewählte Ansätze weitestgehend präzise und verständlich darzustellen. Hier wird die Auswahl zugunsten einiger besonders fruchtbarer und anregender medienphilosophischer Theorien im engeren Sinne getroffen werden.

       [24]

      Abbildung 2: Einige Einflüsse auf Marshall McLuhan und Vilém Flusser

      Wann immer im deutschsprachigen Raum eine internationale Konferenz zu medientheoretischen Fragen stattfindet, muss den ausländischen Teilnehmern erst einmal eine verwirrende deutsche Terminologie erklärt werden, die einer ebenso wirren Geschichte der theoretischen Auseinandersetzung und wissenschaftlichen Beschäftigung mit Medien entspricht.

      Den Beginn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Medien in Deutschland markiert die Gründung des zeitungswissenschaftlichen Instituts an der Universität Leipzig 1916. Dass man sich damals entschloss, sich den Printmedien wissenschaftlich zuzuwenden, dass man sie überhaupt in ihrer Medialität zu erfassen begann, dürfte durchaus mit dem Aufkommen der technischen Bilder (Fotografie seit 1826, Film seit 1888)[25] und den elektrischen Medien (Telegrafie seit 1833, Hörfunk ab 1906) zusammenhängen: Erst der Umstand, dass nun Inhalte, neuerdings sogar das gesprochene Wort, anders als in gedruckter Form verbreitet werden konnten, führte dazu, dass ein Bewusstsein dafür entstand, dass Bücher und Zeitungen ebenfalls Medien sind. Ein Gattungsbegriff wie »Medien« ergibt schließlich erst dann Sinn, wenn er mehr als eine Art enthält.

      Bereits in den 1930er-Jahren begann die Zeitungswissenschaft konsequenterweise, ihre Zuständigkeit zu erweitern und auszudehnen. Der Film und der Hörfunk wurden nun ebenfalls zu ihren Forschungsgegenständen.

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