Klimatologie. Stefan Brönnimann
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1.3.2 | Flüsse und Bilanzen von Energie, Masse und Impuls
Systemsicht stellt Klimaprozesse als Austausch und Speicherung von Energie, Masse und Impuls dar
Die Komponenten des Klimasystems sind durch physikochemische Prozesse miteinander verbunden. Diese Wechselwirkungen beinhalten Austausch (physikalisch: Flüsse) und Speicherung von drei fundamentalen Eigenschaften:
Energie (in Form von Strahlung, Wärme, Lageenergie etc.)
Masse (beispielsweise Wasser, Gase, Aerosole etc.)
Impuls (in Form von bewegter Luft und bewegtem Wasser)
→ Abb. 1-8 zeigt eine systematische Darstellung der Flüsse dieser drei Eigenschaften im Klimasystem. Die Flüsse spielen sich einerseits zwischen Elementen innerhalb einer Teilsphäre ab, andererseits aber auch zwischen den Teilsphären (beispielsweise zwischen Atmosphäre und Ozean), wodurch diese Sphären gekoppelt werden. Innerhalb der Atmosphäre sehen wir bestimmte Elemente (Wolken, Aerosole, Treibhausgase), welche sowohl im Massen- als auch im Energiehaushalt eine wichtige Rolle spielen. Das Buch orientiert sich an dieser Systemsicht und wird immer wieder auf Flüsse und Bilanzen der drei Eigenschaften eingehen. Treibhausgase, Aerosole und Wolken werden in → Kap. 2 eingeführt. Die Energiebilanz ist das Thema von → Kap. 3. Die Massenflüsse werden am Beispiel Kohlenstoff und Wasser später in diesem Kapitel (→ Kap. 1.3.4 und 1.3.5) vorgestellt, die Impulsflüsse in → Kap. 5.
Energie, Masse und Impuls bleiben erhalten
Die Sichtweise des Klimasystems als Austausch von Energie, Masse und Impuls zwischen Teilsystemen oder Elementen erlaubt das Formulieren von Erhaltungssätzen. Das Klimasystem ist zwar offen für Energie (Einstrahlung, Ausstrahlung), befindet sich jedoch quasi in einem Gleichgewicht mit dem Weltraum, sodass die Energie als erhalten betrachtet werden kann. Das bedeutet, dass gleich viel Energie in den Weltraum abgestrahlt wird, wie von der Sonne eingestrahlt wird. Für Masse ist das System geschlossen, sofern man den geringen Massenverlust an den Weltraum, der für meteorologische Fragestellungen nicht relevant ist, vernachlässigt. Dasselbe gilt für den Impuls. Man kann also davon ausgehen, dass im Klimasystem Energie, Masse und Impuls erhalten bleiben. Diese Eigenschaften macht man sich bei der Formulierung der atmosphärischen Grundgleichungen (vgl. → Kap. 5) zunutze.
Abb. 1-8 |Schematische Darstellung des Klimasystems mit den wichtigsten Flüssen von Energie (oben), Masse (Mitte) und Impuls (unten).
Innerhalb eines Systems kann Masse oder Energie in Elementen oder Teilsystemen gespeichert werden. Manche Stoffe haben zudem Quellen und Senken inner- oder außerhalb der Systemgrenzen. Außerdem kann es zu chemischen Umwandlungen kommen.
Eine zentrale Rolle im Verständnis des Klimas nimmt die Energiebilanz ein. Die Energie kommt im Klimasystem in unterschiedlichen Formen vor. Strahlung, die von der Sonne oder Erde abgegebene elektromagnetische Strahlung verschiedenster Wellenlänge, ist die wichtigste Energieform und wird über die Systemgrenzen ausgetauscht. Zur Energiebilanz an der Erdoberfläche tragen neben der Strahlung, welche als steuernde Größe wirkt, auch drei Wärmeflüsse bei: der Fluss sensibler Wärme (die fühlbare Wärme der Luft), der Fluss latenter Wärme (die Energie, welche in Form von Wasserdampf gespeichert ist und bei der Kondensation wieder frei wird) sowie die Wärmeleitung in den Untergrund. Weitere Energieformen in der Atmosphäre sind kinetische Energie und potentielle Energie, welche ineinander umgewandelt werden. In → Kap. 4.6 werden gängige Diagnostiken des atmosphärischen Energiegehalts vorgestellt.
Energiegefälle ist Antrieb des Klimasystems
Räumliche Unterschiede in der Energiebilanz sind der Antrieb des Klimasystems, welches danach strebt, diese Unterschiede auszugleichen. Außer bei Strahlungsvorgängen geschieht dies vor allem über Massenflüsse (beispielsweise in Form von fühlbarer oder latenter Wärme) sowohl in der Atmosphäre als auch im Ozean, welche wiederum an Impulsflüsse gebunden sind. Dadurch sind Energie-, Massen- und Impulsbilanz miteinander gekoppelt.
Energie-, Masse- und Impulsflüsse verbinden das Klimasystem mit anderen Systemen
In der Systemsicht lassen sich atmosphärische Prozesse hinsichtlich ihrer Rolle für die Flüsse und Bilanzen von Energie, Masse und Impuls darstellen. Umgekehrt sind die Flüsse wichtig als Diagnostik der zugrunde liegenden Prozesse. Energie-, Masse- und Impulsflüsse verbinden das Klimasystem mit anderen Aspekten des Mensch-Umwelt-Systems, wie beispielsweise marinen Ökosystemen oder der Landwirtschaft.
1.3.3 | Physikalische Beschreibung
Wie werden diese Flüsse und Bilanzen dargestellt? Bevor wir uns den Wasserkreislauf und Kohlenstoffkreislauf anschauen, werden in diesem Kapitel die physikalischen Grundlagen zu deren Beschreibung repetiert, beginnend mit den Einheiten.
Wer in alten meteorologischen Arbeiten blättert, findet oft eine Vielzahl von heute nicht mehr gebräuchlichen Einheiten. Im Internationalen Einheitensystem, kurz SI (frz. «Système international d’unités»), werden Einheiten für physikalische Größen festgelegt, und heute richtet sich die Meteorologie danach. Einheiten sind aber nicht nur eine Konvention, sondern sind auch für das Verständnis der Vorgänge wichtig. Die Einheitenkontrolle ist ein unabdingbares Mittel zur Fehlerdetektion, und mit der Dimensionsanalyse können anhand von Einheiten sogar physikalische Gesetze gefunden werden. In diesem Buch sind die Einheiten jeweils hinter den Formeln in eckigen Klammern angegeben. → Tab. 1-3 stellt die wichtigsten physikalischen Basisgrößen, abgeleitete Größen sowie deren Einheiten vor. In → Box 4.1 gehen wir dann auf meteorologische Größen und Variablen ein.
Tab. 1-3 |Physikalische Größen und Einheiten (Basisgrößen im SI-System sind grau unterlegt). Zu Konzentrationen vgl. → Box 2.2. Wichtige Konstanten sind in → Box 4.2 zusammengestellt.
Masse m, Impuls