Nachhaltigkeit interdisziplinär. Группа авторов

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Nachhaltigkeit interdisziplinär - Группа авторов

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von Gemeinsamkeiten konstatieren. Einige davon seien hier resümiert. So ist zunächst einmal auffällig, mit welcher Hartnäckigkeit unterschiedlichste Disziplinen immer wieder auf dieselben grundlegenden Dokumente rekurrieren und dabei oft historisch zurückgehen bis zu Hans Carl von Carlowitz. Hierbei dürfte es sich um ein Spezifikum der Nachhaltigkeitsdebatte in der deutschsprachigen Forschungskultur handeln, denn obwohl viele der Autorinnen und Autoren dieses Kompendiums auf Englisch publizieren, ist ihnen natürlich neben der anglophonen Forschung auch der deutschsprachige Diskurs geläufig. Forschung aus dem angloamerikanischen Kulturraum verknüpft die Idee der Nachhaltigkeit – im Sinne von sustainability – historisch oft mit Thomas Malthus’ Essay on the Principle of Population (1798) und seiner Konzeption von vorgegebenen planetaren Wachstumsgrenzen oder führt sie alternativ auf die 1980er Jahre, konkret auf den Brundtland-Report zurück.1 Letzterer legt den Akzent auf ‚nachhaltige Entwicklung’ und damit die sozioökonomische Dimension, und er betont besonders das Wachstumsdesiderat für den globalen Süden, will aber natürlich den Zielkonflikt zwischen Entwicklung und Umweltschutz bewältigen. Ähnlich wie im Englischen die Nachhaltigkeit also meistens in der Begriffspaarung von sustainable development vorkommt, liegt der Fall im Französischen, wo man am häufigsten von développement durable spricht, wobei ‚dauerhaft‘ wiederum eine leicht andere Konnotation hat (vgl. dazu Kap. 8/Hamman). Unterschiedliche Sprachkonventionen verweisen auf kulturell geprägte Differenzen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsvorstellungen.

      Führt man Nachhaltigkeit auf von Carlowitz zurück, bedingt dies nämlich eine andere Sichtweise auf das Konzept. Die ‚nachhaltende Nutzung‘, von der von Carlowitz spricht, stellt von vornherein den Menschen als Agierenden in den Mittelpunkt (im Sinne der Ermöglichung bzw. Verhinderung von Nachhaltigkeit), während etwa der Bezug auf Malthus die spezifische Bedeutung des englischen sustainable hervorhebt, bei dem die Kapazität der Erde praktisch begriffsimmanent mit betont wird. Diese subtilen Bedeutungsunterschiede – wie auch die bei von Carlowitz angelegte Betonung des Aspekts des Gebrauchs („Nutzung“) – haben wohl dazu beigetragen, dass sich die Nachhaltigkeitsdebatte im deutschsprachigen Raum leichter von der Konzentration auf den Umweltschutz gelöst und in Richtung auf eine umfassendere Beschäftigung mit ‚Bewahrung‘ bewegt hat, wie es unterschiedliche disziplinäre Zugänge dieses Kompendiums bezeugen. Besonders deutlich wird dies in den kulturwissenschaftlichen Kapiteln. Aber auch in anderen Kontexten zeigt sich, dass der Begriff ‚nachhaltig‘ (zumindest in der deutschen Version) einen großen Deutungsspielraum bietet, wenn er wechselweise ersetzt wird durch Adjektive wie zukunftsfähig, dauerhaft oder gar ökologisch und umweltfreundlich.

      Gleichzeitig kommt es aber gerade durch die wiederholte Berufung auf dieselben Grundlagentexte in den Beiträgen unseres Kompendiums zu überraschenden Ergebnissen und Perspektivwechseln. Nachhaltigkeit wird im öffentlichen Diskurs primär als ein stark auf die Zukunft ausgerichtetes Konzept wahrgenommen. Angesichts dieser Tatsache verblüfft die Erkenntnis umso mehr, die von Detten in seinem Beitrag zur Forstwirtschaft vorstellt: Gerade in dieser ‚Gründungsdisziplin‘ steht Nachhaltigkeit für ein äußerst kompliziertes Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft. Aufgrund der langsamen Wachstums- und Entwicklungsprozesse von Wäldern besteht Nachhaltigkeit in der jeweiligen Gegenwart im Versuch, verschiedene potenzielle Entwicklungen und Risiken abzuschätzen und zu antizipieren. Beurteilt werden kann das Bemühen um Nachhaltigkeit eigentlich immer nur retrospektiv.

      Dies deutet bereits auf einen Schluss hin, den alle Kapitel einhellig vertreten: Die Bemessung und Bewertung von Nachhaltigkeit – wie analog auch der Versuch, sich in allen Lebensbereichen nachhaltig zu verhalten – ist von hoher Komplexität gekennzeichnet, da sehr viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Für nach schnellen, einfachen Lösungen suchende Leserinnen und Leser ist die Bestandsaufnahme der einzelnen Kapitel in dieser Hinsicht deprimierend: Die Vielschichtigkeit aller Aspekte von Nachhaltigkeit, die komplexe Verknüpfung mit diversen Bereichen, Konstellationen und Zielsetzungen mag gerade angesichts der durch den Klimawandel und dessen Folgeentwicklungen bedingten Zeitnot entmutigend wirken. Deshalb kommt der gesamtgesellschaftlichen ebenso wie der individuellen Ausbildung eines Bewusstseins für die Komplexität der Sachlage und diesbezügliche Handlungsmöglichkeiten eine besonders große Bedeutung zu – was in diesem Kompendium von verschiedenster Seite, von der Betriebswirtschaft und Ernährungsgeographie über die Nachhaltigkeitsgouvernanz, Bildungspolitik und Didaktik bis hin zur Medienwissenschaft, mit Nachdruck hervorgehoben wird. Keineswegs propagieren die Kapitel damit die von Armin Grunwald kritisierte „Privatisierung der Nachhaltigkeit“2. Nachhaltigkeit ist, um mit Grunwald zu sprechen, „eine Sache der Polis“ (ebd.: 181). Individuelle Verantwortung betrifft daher nicht ausschließlich Fragen nachhaltigen Konsums, sondern es geht um Partizipation im Sinne politischer Teilhabe. Die Förderung derselben wird in vielen Kapiteln des Kompendiums als grundlegendes Instrument für Nachhaltigkeit eingefordert. Partizipation bedarf allerdings umfassender Information.

      Die akute Problemlage fordert uns zur Entwicklung kreativer Lösungsansätze heraus, und es ist wiederum gerade ihre Komplexität, die in diesem Bereich außergewöhnlich viele interdisziplinäre Projekte auf den Plan gerufen hat, so dass unter diesen Vorzeichen nicht nur Strategien für eine Transformation zur Nachhaltigkeit entwickelt wurden, sondern auch Interdisziplinarität erprobt werden und sich entfalten konnte. Entsprechend sind die einzelnen Beiträge des Kompendiums zwar mit je einer Disziplin oder einem Forschungsbereich überschrieben, tatsächlich aber machen die meisten ihrer Fallbeispiele deutlich, dass eine mehrdimensionale (ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle) Nachhaltigkeit nur mit vereinten Kräften und kombinierten Methoden zu denken und zu erreichen ist – und dass aus der interdisziplinären Zusammenarbeit oft transdisziplinäre Ansätze entstehen (wie die Nachhaltigkeitsforschung). Nicht alle, aber einige der hier versammelten Disziplinen kann man zu den Environmental Humanities zählen, die ihrerseits nicht nur Geisteswissenschaften im engsten Sinne, sondern auch Gesellschaftswissenschaften umfassen und sich als Verbund schon per definitionem interdisziplinärer Forschung verschrieben haben. Aus diesem noch jungen Forschungsfeld kommen wichtige Impulse für die Nachhaltigkeitsforschung.

      Wie auf den ersten Blick ersichtlich, ist das vorderste Ziel des Kompendiums die Multiperspektivität, die durch Beiträge aus 21 verschiedenen Disziplinen entsteht. Die Multidisziplinarität geht mit einer geographischen und kulturellen Breite einher, da in den Beiträgen Nachhaltigkeitsprojekte in verschiedensten Ländern diskutiert werden. Es ist zu erwarten, dass einzelne Leserinnen und Leser beim Blick in dieses Kompendium die eine oder andere Disziplin in unserem Reigen vermissen. Sollten dies Philosophie, Psychologie, Theologie, Umweltgeschichte, Politikwissenschaft oder Rechtswissenschaft sein, so liegt dies daran, dass eben diese schon in dem von Ruth Kaufmann und Paul Burger für die Schweizer Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften konzipierten Band Nachhaltige Entwicklung (2007) zu Wort kamen. Anders als unser Kompendium setzt dieser Band den Akzent auf die nachhaltige Entwicklung. Das Fehlen von den für die Nachhaltigkeitsforschung zentralen Beiträgen aus den Umwelt- und Klimawissenschaften u. a. wurde eingangs bereits mit der mengenmäßigen Dominanz von Beiträgen aus diesen Disziplinen begründet. Es bleibt zu hoffen, dass die Nachhaltigkeitsforschung weiterhin floriert und im Zuge dessen weitere Disziplinen mit den hier präsentierten in Dialog treten.

      Dank

      Einige Kapitel dieses Kompendiums gehen auf Vorträge zurück, die ihre Autorinnen und Autoren auf der Tagung Rhetorik der Nachhaltigkeit. Konzepte und Diskurse nachhaltiger Zukunftsgestaltung in Medien, Politik und diversen Fachdisziplinen gehalten haben, die wir im Juni 2016 am FRIAS (Freiburg Institute for Advanced Studies) dank Mitteln des DFG-Netzwerks Ethik und Ästhetik literarischer Reaktionen auf ökologische Transformationen veranstalten konnten. In der Folgezeit hat sich der Kreis der Beitragenden zu unserer großen Freude stetig erweitert. Allen Autorinnen und Autoren dieses Kompendiums sei herzlich gedankt für die fruchtbare Zusammenarbeit.

      Besonderen Dank schulden wir außerdem Sophia Burgenmeister für die umsichtige redaktionelle Unterstützung sowie Lobsang Gammeter und Katharina Ströhm für ihre Hilfe beim Erstellen der Quellenverzeichnisse und

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