Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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einer evolutionären Zwangsläufigkeit, sondern ist historisch eher unwahrscheinlich und einmalig. Schließlich begreift Luhmann Differenzierung nicht nach dem Modell der Arbeitsteilung, sondern das Auseinandertreten von Sinnperspektiven ist primär. Während Parsons aus der privilegierten Stellung übergreifender Werte und aus dem einheitsverbürgenden AGIL-Schema jedem Teilsystem seinen angemessenen Platz im Ganzen anweisen konnte, ist es nach Luhmann nicht möglich, die funktional differenzierte Gesellschaft von einem privilegierten Wert oder einem Zentrum aus zu integrieren oder über ein theoretisch-allgemeines Schema notwendige Funktionen und ihre Beziehungen festzulegen. Die Differenzierungslogik wird hier auf die Spitze getrieben. Es dominiert ein Relativismus teilsystemspezifischer Perspektiven. Von der Wirtschaft aus stellt sich die Gesellschaft als kapitalistische dar und von der Politik aus als Demokratie, aus der Perspektive des Rechts als Rechtsstaat und aus der der Wissenschaft [79]als Wissensgesellschaft usw. Jede dieser Beschreibungen hat eine eingeschränkte Gültigkeit. In einer solchen polyperspektivischen und multizentrischen Gesellschaft erfolgen alle Aussagen und Operationen von einem bestimmten Systemgesichtspunkt aus, für den alles andere zur Umwelt gehört. Zweifel und Kritik werden geäußert, ob es angesichts des teilsystemischen Radikalismus noch sinnvoll ist, von einem Gesellschaftssystem zu sprechen.

      Theoretische und thematische Bezüge

      Die Differenzierungstheorie ist unverzichtbar für das Verständnis der historischen Entstehung und der Grundstruktur moderner Gesellschaften. Viele Aspekte, Probleme und Themen, die in der Soziologie bearbeitet werden, finden in ihr eine theoretische Klammer. So sind die speziellen Soziologien, wie z. B. die Wirtschafts-, Rechts-, Religions-, Familiensoziologie oder die Politische Soziologie, auf den allgemeinen Rahmen der Differenzierungstheorie angewiesen, der gleichsam ein soziales Koordinatensystem aufspannt, mittels dessen die Teilsoziologien verortet und Zusammenhänge hergestellt werden können. Ein Thema mit einer langen Tradition sind Individualisierungsprozesse. Mit der Differenzierung verschiedener Ordnungen oder Teilsysteme verändert sich das Person-Gesellschaftsverhältnis. Das moderne Ordnungsarrangement erzwingt vom Einzelnen eine gesteigerte Selbstthematisierung und Eigeninitiative, da es durch keinen sozialen Kontext mehr gänzlich umfasst und definiert wird. Und es ermöglicht ein individuell geführtes Leben, weil die nötigen Institutionen und die mit ihnen verbundenen Optionen und Leistungen zur Verfügung stehen. Die Kehrseite sind Entfremdung und Desintegration.

      Neben vielen anderen Themen, wie Säkularisierung oder Organisationswachstum, hat die Differenzierungstheorie gerade in den letzten Jahrzehnten einen Einsatz als zeitdiagnostisches Instrumentarium gefunden. Der Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften wurde mit ihrer mangelhaften Differenzierung erklärt. Die Überinstitutionalisierung der politischen Ordnung setzte der Freisetzung bereichsspezifischer, eigenständiger Rationalitäten enge Grenzen. In Konkurrenz mit dem westlichen Ordnungsmodell war der sozialistische Weg in die Moderne unterlegen, da wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wissenschaftliche Autonomie und politische Freiheiten mit dem Machtmonopol der Partei nicht vereinbar waren. Sind die kommunistischen Staaten an ihrer Überintegration gescheitert, so werden für den westlichen Typ zunehmend die Folgeprobleme der mit der Differenzierung verbundenen Unterintegration thematisiert. War noch in den 1960er und 1970er Jahren ein enormer Steuerungs- und Planungsoptimismus verbreitet, gewinnt in der Folgezeit bis heute die Einschätzung einer schwer kontrollierbaren, eigendynamischen Entwicklung des modernen differenzierten Ordnungsarrangements die Oberhand. Am prominentesten ist Ulrich Becks Diagnose einer »Risikogesellschaft«, die die ökologischen Probleme einer »organisierten Unverantwortlichkeit« zuschreibt. Moderne Gesellschaften sind auf eine Steigerung der Binnenrationalität der differenzierten Institutionen hin angelegt, nicht aber auf eine Rationalisierung und Integration des Zusammenspiels der Einzelrationalitäten. Die Forderung einer komplexen Modernisierung und reflexiven Rationalisierung sei nur mit einem neuen Differenzierungszuschnitt der verschiedenen institutionellen Kompetenzen verwirklichbar.

      Ein weiteres Themenfeld, das sehr gut mit der Differenzierungstheorie erschließbar ist und einen theoretischen Zugang im Kontrast zu den vielen konzeptarmen Arbeiten ermöglicht, ist die Globalisierung. Seine historische Entstehung ist an spezifische Bedingungen gebunden, die Ausbreitung der differenzierten Ordnungsform verdankt sich dagegen einem universellen Potenzial. Die Sinn- und Sachlogiken der einzelnen Sphären und Teilsysteme machen an nationalstaatlichen Grenzen nicht Halt: Ökonomische Chancen werden überall gesucht, tendieren zu einem Weltmarkt hin; genauso ist wissenschaftliche Wahrheit eine universelle Errungenschaft. Offen bleibt, wie man das Fortbestehen und das Neuentstehen verschiedener regionaler und kulturspezifischer Ordnungsformen erklärt. Während weltgesellschaftliche Ansätze auf globaler Ebene nur ein Differenzierungsmuster am Werk sehen, verfolgt die Multiple-Modernities-Perspektive die Vielfalt differenzierter Ordnungsmuster.

      Diese neueren Entwicklungen und Diskussionen haben theoretische und konzeptionelle Fragen aufgeworfen, auf die es bei den Klassikern keine Antworten gibt: Wenn das Differenzierungsprinzip alternativlos für moderne Gesellschaften ist, wie lässt sich seine ungebremste Eigendynamik steuern? Gibt es die Differenzierungsform moderner Gesellschaft[80] nur im Singular oder auch im Plural? Wie sind die beiden Strukturprinzipien der Differenzierung und der sozialen Ungleichheit ins Verhältnis zu setzen (Schwinn 2007)? Nach wie vor nicht geklärt ist, nach welchen Kriterien man einen ausdifferenzierten Bereich bestimmt, wie viele Bereiche es gibt und ob man zwischen primären und sekundären Bereichen unterscheiden muss.

      Literatur

      Alexander, Jeffrey C.; Colomy, Paul (eds.), 1990: Differentiation Theory and Social Chance, New York. – Durkheim, Emile, 1977: Über soziale Arbeitsteilung, Frankfurt a. M. (1893). – Luhmann, Niklas, 1997: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. – Mayntz, Renate et al., 1988: Differenzierung und Verselbständigung, Frankfurt a. M./New York. – Parsons, Talcott, 1971: Das System moderner Gesellschaften, München. – Schimank, Uwe, 2007: Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, 3. Aufl., Wiesbaden. – Schwinn, Thomas, 2001: Differenzierung ohne Gesellschaft. Umstellung eines soziologischen Konzepts, Weilerswist. – Schwinn, Thomas, 2007: Soziale Ungleichheit, Bielefeld. – Schwinn, Thomas et al. (Hg.), 2011: Soziale Differenzierung. Handlungstheoretische Zugänge in der Diskussion, Wiesbaden. – Tyrell, Hartmann, 2008: Soziale und gesellschaftliche Differenzierung, Wiesbaden. – Weber, Max, 1978: Zwischenbetrachtung: Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung; in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen (1920).

       Thomas Schwinn

      Diskriminierung (engl. discrimination) bedeutet die wahrgenommene ungerechtfertigte Schlechterbehandlung von Mitgliedern einer sozialen Gruppe oder einer sozialen Kategorie allein auf der Basis ihrer Gruppen- bzw. Kategoriemitgliedschaft (Mummendey/Otten 2001). Daher wird oft auch von sozialer Diskriminierung gesprochen, um den Aspekt der Gruppe oder Kategorie zu betonen und von individueller Schlechterbehandlung abzugrenzen, wie sie in frühen Definitionen beispielsweise von Allport (1954) noch vorkommt. Der Begriff Diskriminierung ist zunächst subjektiv und wird aus einer Opferperspektive definiert. Wahrnehmung von Diskriminierung muss zwischen Opfern, Tätern und nicht direkt betroffenen Gruppen ausgehandelt werden, da mitunter große Perspektivendivergenzen (d. h. unterschiedliche Ansichten über die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens) zwischen den jeweiligen Positionen bestehen. Nach der Überwindung dieser Perspektivendivergenzen handelt es sich entweder um einen legitimen kategorialen Unterschied, d. h. um Differenzierung, oder um eine Form von übereinstimmend als negativ anerkannter Schlechterbehandlung. Diskriminierung muss von einer Reihe anderer verwandter Konzepte unterschieden werden (Jonas/ Beelmann 2009), z. B. Vorurteilen. Der Begriff weist aber andererseits auch Verbindungen zu thematisch bezogenen Konzepten auf, z. B. Toleranz als Gegenmaßnahme zu Diskriminierung, oder gesellschaftliche Diversität als Kontext von diskriminierendem Verhalten. Obwohl einerseits Menschen versuchen, bloß nicht als diskriminierend zu erscheinen, wie Forschungen aus den USA zeigen (Monin/ Miller 2001), nehmen Diskriminierungsphänomene in der Gesellschaft kaum spürbar ab. Diskriminierung wird zumindest in unserem Rechtssystem nunmehr

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