Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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Gegenstände zueinander wahrgenommen wird bzw. wie wahrgenommen wird, dass Gegenstände aufeinander wirken, sei durch die Kategorien des wahrnehmenden Verstandes bestimmt. Zu diesen gehören etwa Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung). Insgesamt sei Wahrnehmung als Formung von Sinneseindrücken durch Anschauungsformen und Kategorien zu begreifen. Die Sinne (z. B. Augen und Ohren) werden durch äußere Reize erregt und die so empfangenden Sinneseindrücke werden gemäß den vorgeordneten Formen wie etwa Raum, Zeit und Kausalität in eine Ordnung gebracht. Die so geordnete Wahrnehmung erscheint als die äußere Natur. Am Beispiel einer rollenden Kugel lässt sich dies verdeutlichen: Eine Kugel rollt eine schräge Ebene hinunter, stößt an eine andere Kugel, bleibt liegen und die andere Kugel rollt in eine bestimmte Richtung. Dies ist zunächst nur eine Abfolge von Sinneseindrücken. Diese Sinneseindrücke werden räumlich und zeitlich geordnet: Die Kugel ist zum Zeitpunkt t-1 am Ort O-1 und an t-2 an O-2 usw., sie rollt bis zum Zeitpunkt t-9 und befindet sich an O-9. Die Ausdehnung von O-9 berührt die Ausdehnung von O-10; O-10 wird von einer zweiten Kugel ausgefüllt, diese rollt an einen anderen Ort. Wenn man das Kausalschema auf diese Abfolge anwendet, wird daraus die Aussage, dass die rollende Kugel die ruhende Kugel angestoßen und damit die Bewegung der zweiten Kugel bewirkt hat. Die Kategorien des Verstandes ermöglichen es, die Abfolge von sinnlichen Eindrücken, die von Zeitpunkt zu Zeitpunkt variieren, in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. An dem Beispiel wird zugleich deutlich, dass die Anwendung des Kausalschemas eine zeitliche Ordnung beinhaltet: Die Ursache geht der Wirkung voraus.

      Kants Argument hat eine wichtige Implikation. Die äußere Welt wird nicht so erkannt, wie sie selbst ist, sondern so, wie sie gemäß den subjektiven Erkenntnisbedingungen erkannt werden [85]kann. Eine andere als die menschliche Wahrnehmung, die z. B. nicht durch die Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität bestimmt wäre, würde die Sinneseindrücke in anderer Weise ordnen. Hieraus resultiert eine Differenz, die Kant mit der Unterscheidung zwischen Erscheinung für das Subjekt und »Ding an sich« zu fassen versucht. Das Ding an sich bleibt unerkennbar (vgl. Kant 1787/1956: 84–92). Die menschliche Wahrnehmung erfasst die Ordnung der sinnlichen Erscheinungen, sie erkennt aber nicht die Dinge, wie sie an sich sind. Aufgrund dieser Differenz ist jede Erkenntnis der Natur vorläufig. Denn was die Gegenstände der Natur selbst sind, bleibt offen.

      Davon zu unterscheiden ist das Reich der Zwecksetzung aus Freiheit. Hier geht es Kant um die Analyse des Sollens: Ist es möglich, rational auszuweisen, dass Menschen unbedingt einer moralischen Forderung folgen sollen (für das folgende vgl. Kant 1785/1974: 35–41)? Kants Argument lautet, dass es nicht möglich, auf der Grundlage empirischer Forschung zu begründen, warum Menschen in einer bestimmten Weise handeln sollen. Eine empirische Forschung könne zeigen, wie ein Mensch gegenwärtig erscheint. Sie könne zeigen, dass aus dem Zustand X (= bestimmte Zusammensetzung der Magensäfte, die von einem Hungergefühl begleitet werden), die Handlung Y (ein Stück Fleisch braten und essen) folgt. Aus der beobachtbaren Abfolge von Zustand X und Handlung Y folgt aber nicht, dass ein Mensch in dieser Weise handeln soll. Wenn ein Mensch sich fragt, ob er dieses oder jenes tun soll, beinhaltet dies, dass er nicht vollständig durch seine empirischen Antriebe beherrscht wird. Wenn er sich fragt, ob er weiter Fleisch essen oder sich nur noch von Pflanzen ernähren soll, muss er sich die Freiheit zugestehen, selbst entscheiden zu können, wie er handelt. Er muss für sich in Anspruch nehmen, dass er die Freiheit hat, seine Handlung selbst zu bestimmen. Nur wenn es diese Freiheit gibt, ist es sinnvoll, davon zu sprechen, dass ein Mensch etwas tun soll. Nur wenn der Mensch frei ist, kann er sich also dazu entscheiden, der Verpflichtung zu folgen, die das Sollen ausdrückt.

      Die inhaltliche Bestimmung des moralischen Sollens erfolgt bei Kant rein formal. Um herauszufinden, ob das Handeln an einem Wert orientiert sein soll, muss diese Wertorientierung so begründet werden, dass es alle einsehen können. Die Garantie dieser Einsicht ergibt sich, wenn die Orientierung an diesem Wert rational begründet werden kann. Um dies zu gewährleisten, schlägt Kant ein Reflexionsverfahren vor, das er als »kategorischen Imperativ« bezeichnet: Ein Mensch sei dann unbedingt genötigt, einem Wert zu folgen, wenn sich begründen lässt, dass alle Menschen dieser moralischen Forderung folgen sollten (Kant 1785/1974: 51f).

      Menschen sind nicht rein vernunftgesteuert, sondern zugleich sinnliche Wesen, welche von ihren Bedürfnissen angetrieben werden. Aus diesem Grund folgen Menschen einer rational gewonnenen Einsicht nicht automatisch, vielmehr stellt das Sollen für Menschen eine Nötigung dar (Kant 1785/1974: 41f), der sie folgen können, aber nicht alternativlos folgen müssen. Der Mensch kann auch zulassen, dass ihn seine empirischen Antriebe oder seine Gewohnheiten bestimmen. Aber die Einsicht in das Ergebnis seines Reflexionsverfahrens nötigt ihn, anders zu handeln. Ob ein Mensch dieser Nötigung folgt, ist seine Entscheidung.

2.Das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung

      Kant führt die Reflexion auf die subjektiven Bedingungen von Naturerkenntnis und Moralbegründung so durch, als handele es sich um eine individuelle Reflexion. Im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis von Natur und Kultur wird die subjektive Reflexion als ein kommunikativer Prozess gedeutet. Karl-Otto Apel (1973) und Jürgen Habermas (1981/1995) schließen in diesem Sinn direkt an Kant an. Sie stellen die Einsicht in den Mittelpunkt, dass es unterschiedliche Subjekte gibt, die sich kommunikativ darüber verständigen müssen, wie die Welt wahrgenommen und [86]wie moralisch richtiges Handeln begründet werden kann. Das wesentliche Kennzeichen der Kommunikation besteht darin, dass sich die beteiligten Subjekte gegenseitig der Nötigung aussetzen, ihr Handeln rational zu begründen. Die Rationalität besteht darin, dass jeder der an Kommunikation Beteiligten akzeptiert, dass sein Handeln kritisiert werden kann und dass er sich gegenüber der Kritik zu rechtfertigen hat. Apel (1979) hebt hervor, dass in solchen kommunikativen Prozessen auch die Grundsätze bzw. die Verfahren der Naturerkenntnis entwickelt und begründet werden. In der durch wechselseitige Kritik gekennzeichneten Kommunikation werden auch die Normen formuliert, an denen sich Menschen orientieren sollten. Dass Apel und Habermas die Differenz der Subjekte einführen, hat eine wichtige Konsequenz. Kant konnte davon ausgehen, dass die Einsicht in die Bedingung von Naturerkenntnis und Moralbegründung unmittelbar für alle vernünftigen Wesen, d. h. für alle Menschen gilt. Wenn man die Differenz der Subjekte anerkennt, ist das nicht der Fall. Wenn es unterschiedliche Subjekte gibt, die in unterschiedlichen kommunikativen Kulturen leben, bedarf es eines historischen Lernprozesses, damit immer mehr Menschen rational einsehen können, wie Naturerkenntnis erfolgen und welche moralischen Orientierungen gelten sollten. Habermas legt dabei besonderen Wert darauf, dass eine dauerhafte Spannung zwischen dem Menschen als Naturwesen, das seinen eigenen Nutzen verfolgt, und der rationalen Aushandlung von Normen vorliegt. In seiner kommunikationstheoretischen Grundlegung der Sozialwissenschaften versucht er den Punkt zu bestimmen, an dem es für Individuen möglich wird, Normen rational einzusehen (Habermas 1981/1995, Bd. 2: Kap. 59ff).

      Neben diesem direkten Anschluss an die kantische Theoriearchitektur ist das normative Verständnis der Natur-Kultur-Unterscheidung aber noch in einer indirekten Weise relevant geworden. Es gehört zu den zentralen impliziten theoretischen Annahmen soziologischer bzw. kulturwissenschaftlicher Forschung, dass aus der Natur bzw. natürlichen Vorgaben und Annahmen keine Konsequenzen für die normative Bewertung von Menschen bzw. für normative Ansprüche, die an Menschen gestellt werden, folgen sollen. Weil Menschen »so« sind, folge daraus nicht, dass sie moralisch minderwertig sind bzw. dass ein bestimmtes Verhalten normativ von ihnen zu fordern ist. Die paradigmatischen Fälle für die moralische Bewertung von Menschen aufgrund ihrer empirisch beobachtbaren Natur sind »Rassismus« und »Sexismus«. Hier werden Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer »Rasse« oder zu einem »Geschlecht« normativ bewertet und es werden normative Handlungsanforderungen an sie gestellt, die sich aus ihrer Natur ergeben sollen. Die Kritik etwa am Sexismus lautet: Aus der Tatsache, dass Frauen Kinder gebären und deren Erziehung hauptsächlich tragen, folgt nicht, dass dies die natürliche Aufgabe von Frauen ist. Aus der »Natur der Frau« lässt sich nicht das Gebot ableiten, dass sie im Haus zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern habe – denn eine solche Natur gibt es nicht (vgl. Beauvoir 1949/1968). Wenn eine derartige Festlegung in Form von normativ vorgegebenen Geschlechterrollen erfolge, handele es sich nicht um Natur, sondern um eine unzulässige Naturalisierung.1

      [87]Gemäß

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