Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter
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Torpor ist der effizienteste Mechanismus der Endothermen zum Energiesparen. Das Sparpotenzial durch gemäßigte Hypothermie und Torpor bei Vögeln bewegt sich, auf den BMR bezogen, zwischen 4 und gut 95 % (McKechnie & Lovegrove 2002); auch Säugetiere sparen im Torpor oft um 30–50 % Energie. Als Stimulus dient wie bei der gemäßigten Hypothermie in der Regel eine ungenügende Energieversorgung, oft aber auch eine niedrige Umgebungstemperatur. Kleinere Arten können häufig, spontan und schnell in Torpor gehen und müssen dabei nicht inaktiv bleiben (Abb. 2.31), größere Arten benötigen meist stärkere Stimuli, etwa eine Kombination von niedrigen Temperaturen mit markantem Nahrungsmangel. Allerdings können auch energetisch gut versorgte Arten in Hypothermie gehen, Vögel zum Beispiel, um den Fettaufbau für den Zug zu beschleunigen oder als präventive Sparmaßnahme bei schwankendem Nahrungsangebot. So wurde bei zugbereiten Weißwangengänsen (Branta leucopsis, Abb. 8.12) festgestellt, dass sie mit einer mittleren Senkung der Körpertemperatur von 4,4 °C um 34–39 % des täglichen Energieaufwands einsparen konnten. Die Gänse verringerten ihre Temperatur einige Tage vor Zugbeginn und dann während 20 Tagen auf dem Zug, nicht nur während der Nacht (Butler & Woakes 2001).
Abb. 2.31 Die Mausmakis (Microcebus) aus Madagaskar sind die kleinsten Lemuren (Halbaffen) und wiegen meist <100 g. Die Grauen Mausmakis (M. murinus; das Bild zeigt den fast identischen Graubraunen Mausmaki, M. griseorufus) leben in Trockenwäldern und ernähren sich von Früchten, Baumsaft und Insekten. Während der kühlen Trockenzeit ist das Nahrungsangebot beschränkt; die Mausmakis gehen dann fast täglich in Tagestorpor. Der Abfall der Körpertemperatur setzt bereits zu Beginn der nächtlichen Aktivitätsperiode ein, und die Körpertemperatur erreicht ihr Minimum von etwa 17 °C (2–5 °C über der Umgebungstemperatur) zu Beginn der Ruheperiode am frühen Morgen. Der Wiederanstieg auf die Normaltemperatur von etwa 37 °C, die um die Mittagszeit erreicht wird, erfolgt zunächst über passives Aufheizen durch die Umgebungstemperatur und in einer zweiten Phase durch endogene Wärmeproduktion. Im Mittel sparen Graue Mausmakis damit 38 % Energie (Schmid 2000).
Neuere Arbeiten an Lemuren zeigen, dass das Eintreten in kurzzeitigen Torpor nicht eine Notfallstrategie von Individuen mit geringen Körperreserven sein muss, sondern in ihrem Fall eher von Tieren mit guter Kondition praktiziert wird. Bei Grauen und Graubraunen Mausmakis (Abb. 2.31) ist die Bereitschaft zum Tagestorpor neben der Temperatur von der Konstitution und Kondition abhängig, wobei größere und fettere Individuen häufiger und stärker in Torpor fallen als kleinere und magere Individuen (Kobbe et al. 2011; Vuarin et al. 2013). Dies lässt sich damit erklären, dass ein Minimum an Körperfett vonnöten ist, um nach einer Periode von Torpor die Normaltemperatur (Normothermie) wieder zu erreichen.
Saisonaler Torpor (Winter- oder Trockenschlaf) ist praktisch nur von Säugetieren bekannt; bei einer einzigen Vogelart, der nordamerikanischen Winternachtschwalbe (Phalaenoptilus nuttallii, Common Poorwill), ist Winterschlaf nachgewiesen. Unter dem Begriff «Winterschlaf» gibt es eine breite Palette von Strategien, die sich in der Länge und Zahl der Torporphasen und der Stärke der Abkühlung unterscheiden. Größere Arten, die sich in einen Bau zurückziehen und den energetischen Vorteil der großen Körpermasse haben, reduzieren ihre Körpertemperatur nicht mehr als etwa 10 °C. Verschiedene Bären (Ursus sp.) fallen in einen langen Dämmerschlaf, wobei ihre Körpertemperatur aufgrund der großen Körpermasse immer über 30 °C bleibt. Ähnliches ist bei Dachsen (Meles sp.) nachgewiesen (Tanaka 2006). Wegen des relativ geringen Temperaturabfalls wird dieser Zustand auch als Winterruhe oder Winterlethargie (denning) bezeichnet. Ob sich Winterruhe aber physiologisch vom Winterschlaf unterscheidet, ist noch nicht geklärt, denn die Verminderung der Stoffwechselrate ist zumindest in beiden Fällen gleich. Eine tropische kleine Lemurenart, der Westliche Fettschwanzmaki (Cheirogaleus medius; Abb. 2.0), pflegt diesbezüglich eine variable Strategie. Er überwintert während sieben Monaten in Baumhöhlen, obwohl die Wintertemperaturen auf über 30 °C ansteigen können. Je nach Wärmedämmung der Höhle schwankt die Körpertemperatur wie bei Ektothermen mit der Außentemperatur um bis zu 20 °C (schlechte Dämmung) oder bleibt konstant (gute Dämmung); in diesem Fall kommt es aber in etwa wöchentlichem Abstand zu Aufwärmphasen (s. unten), wobei die Körpertemperatur kurz auf die Normaltemperatur erhöht wird (Dausmann et al. 2004).
Viele kleine Säuger sind hingegen obligate Winterschläfer bei tiefer Körpertemperatur. Manche sind imstande, ihre Körpertemperatur bis auf unter 4 °C beziehungsweise bis lediglich 1 °C über die Umgebungstemperatur abzusenken, im Falle einiger Fledermäuse damit nahe an den Gefrierpunkt und bei Zieseln (Erdhörnchen) kurzfristig sogar darunter. Abgesehen von den dann regelmäßig auftretenden kurzen Aufwärmphasen (arousal oder interbout euthermia) dauert der Winterschlaf bei ihnen oft mehrere Monate: beim Siebenschläfer (Glis glis) sind es in Mitteleuropa um acht Monate und maximal bis elf Monate (Hoelzl et al. 2015; s. auch Kap. 7.1), bei einzelnen Zieseln bis acht Monate und beim Alpenmurmeltier (Marmota marmota) um sechs Monate. Murmeltiere sind mit etwa 4–5 kg Körpermasse die größten obligaten Winterschläfer. Bei ihnen ist die Winterschlafdauer von Individuen genügender Kondition wohl aufgrund der jährlich konstanten Umweltbedingungen zeitlich nur wenig variabel.
Allerdings reagieren auch obligate Winterschläfer auf Umgebungssignale, etwa auf starken Abfall der Umgebungstemperatur, und wachen dann auf. Ohne solche Stimuli kommt es zu den genannten periodischen Aufwärmphasen, die energetisch teuer sind, denn auf sie fallen etwa 70 % der im Winterschlaf ausgegebenen Energie (van Breukelen & Martin 2015). Arten mit Winterruhe, deren Körpertemperatur nicht unter 30 °C fällt, können darauf verzichten. Trotz des Begriffs «Winterschlaf» schlafen Tiere im Torpor nicht im eigentlichen Sinne. In den kurzen Aufwärmphasen wird hingegen viel geschlafen, doch können sich die Tiere dann auch bewegen, von Vorräten fressen oder Kot absetzen. Der Grund für das periodische Aufwärmen ist noch nicht restlos geklärt. Möglicherweise dienen solche Phasen der Reparatur neuronaler Schaltkreise und damit der Aufrechterhaltung des Gedächtnisses, aber auch anderen physiologischen Bedürfnissen (Millesi et al. 2001; Humphries et al. 2003; Heller & Ruby 2004). Tatsächlich nutzen Siebenschläfer mit höheren Fettvorräten ihren Vorteil nicht, um die Dauer des Winterschlafs abzukürzen, sondern um die Körpertemperatur höher zu halten und häufiger aufzuwachen (Bieber et al. 2014).
Weiterführende Literatur
Viele der erwähnten Prinzipien und Zusammenhänge sind auch in den allgemeinen Lehrbüchern zur Tierphysiologie in größerem Detail ausgeführt. Auf dem Markt gibt es mehrere umfassende Werke sowohl auf Englisch wie auf Deutsch – letztere nicht nur als Übersetzungen, sondern auch als Originalwerke. Die im folgenden aufgeführten Lehrbücher haben einen verstärkten Fokus auf die ökologischen Implikationen der physiologischen Muster.
Das enzyklopädische Grundlagenwerk zur energetischen Ökologie der Wirbeltiere ist:
• McNab, B.K. 2002. The Physiological Ecology of Vertebrates. A View from Energetics. Cornell University Press, Ithaca.
Von demselben Autor stammt eine neuere, kürzere Übersicht über die Energetik der Vögel und Säugetiere, die vor allem die Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen auslotet:
• McNab, B.K. 2012. Extreme Measures. The Ecological Energetics of Birds and Mammals. The University of Chicago Press, Chicago.
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