Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter

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Ökologie der Wirbeltiere - Werner Suter

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eingeführt wird (Abb. 2.25); größere Selektivität steht damit für Nahrung höherer Qualität. Obligate Gras- und Laubäser bleiben bei zunehmender Selektivität bei ihrem Nahrungstyp, greifen aber bestimmte Pflanzenarten heraus oder konzentrieren sich auf junge Triebe. Intermediärtypen oder Mischäser tendieren generell dazu, Gras höherer Qualität zu fressen und bei dessen Mangel die Aufnahme von Laubäsung zu steigern.

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      Abb. 2.24 Die nahrungsökologische Klassierung europäischer Wiederkäuer (Abbildung neu gezeichnet nach Hofmann 1989).

      Die artenreiche und nach Körpergröße stark differenzierte Herbivorenfauna Afrikas, welche dem Jarman-Bell-Prinzip Pate stand, bot auch Anlass zu weitergehenden Überlegungen, nämlich dass Körpergröße und Nahrungsstrategie mit Sozialstruktur, Reproduktionsverhalten und Taktik der Feindvermeidung ein Beziehungsmuster ergeben, in dem sich fünf Gruppen unterscheiden lassen (Jarman 1974; ähnlich auch bei Geist 1974). Die meisten dieser Zusammenhänge wurden später auch statistisch erhärtet (Brashares et al. 2000). Die Darstellung hier folgt der bezüglich weiterer Herbivoren ergänzten Zusammenfassung in Fryxell et al. (2014); das Thema der ökologischen Grundlagen des Fortpflanzungsverhaltens wird in Kapitel 4 mehrfach wieder aufgegriffen.

      1. Kleine Arten (3–20 kg) mit hoch selektiver Wahl nährstoffreicher Nahrung, die neben frischen Triebspitzen vor allem auch Blüten, Samenstände, Früchte und sogar Fleisch umfasst. Sie sind Bewohner von Wald oder dichtem Busch, leben einzeln oder paarweise, zeigen wenig Sexualdimorphismus und verteidigen ein Territorium, wobei sich beide Geschlechter beteiligen. Feindvermeidung geschieht über unauffälliges Verhalten in der Deckung. Zu dieser Gruppe gehören die kleinsten Antilopen (Abb. 2.26) und Ducker.

      2. Kleine bis mittelgroße Arten (20–100 kg) können Grasfresser oder Laubäser sein, sind aber bezüglich bestimmter Pflanzen oder Teile davon ähnlich selektiv wie die ganz kleinen Arten. Sie leben in Galeriewäldern, dichtem Busch oder in Hochgrasbeständen, in etwas größeren Gruppen (etwa 2–6, oftmals mit einem Männchen und mehreren Weibchen), sind meist territorial und zeigen einen gewissen Sexualdimorphismus. Feindvermeidung geschieht in der Regel durch Verstecken und regungsloses Verharren. Zu diesen Arten gehören Laubäser im Trockenbusch wie das Gerenuk (Litocranius walleri), aber auch Grasfresser wie die Riedböcke (Redunca) oder das Oribi (Ourebia ourebi), das mit seinen 15–17 kg der kleinste Grasfresser ist (Abb. 2.25).

      3. Mittelgroße Arten (50–150 kg) sind oft Mischäser, mit reiner Grasnahrung während der Regenzeit und größerem Laubanteil zur Trockenzeit. Habitate variieren und reichen von dichter bewaldetem Gebiet über Savannen bis zu offenen Flussebenen. Männchen verteidigen einzeln ein Territorium, das von umherwandernden Weibchengruppen (6–200 Individuen) besucht wird; nicht territoriale Männchen streifen ebenfalls in Gruppen umher. Die Streifgebiete der Weibchen sind groß, besonders zur Regenzeit. Der Sexualdimorphismus ist sehr ausgeprägt; das Feindverhalten fußt auf gemeinsamer Wachsamkeit und Flucht. Arten in dieser Kategorie umfassen Impala (Aepyceros melampus, Abb. 1.0), Wasserböcke (Kobus, Abb. 2.22), Rappenantilope (Hippotragus niger), Gazellen und viele weitere.

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      Abb. 2.25 Klassifikation der Herbivoren entlang von zwei Achsen: Anteile von Gras und Laubäsung in der Nahrung gegen Grad der Selektivität. Pfeile geben die Spannweite bezüglich der Einteilung entlang der Achsen an (nach Van Soest 1994). Die Selektivitätsachse ist stark von der Körpergröße geprägt, da kleinere Herbivoren besser einzelne Pflanzen oder Teile davon selektieren können als größere Arten mit breiteren Schneidezahnbögen (incisor arcade). Zudem haben Laubäser im Allgemeinen schmalere Bögen als Grasfresser, doch treten die Unterschiede erst bei Arten mit Körpergrößen von >90 kg auf; kleinere Arten können offenbar bei Gras wie Laub die benötigte Selektivität erreichen (Abbildung verändert nach Janis & Ehrhardt 1988; Gordon & Illius 1988).

      4. Mittelgroße bis große Arten (100–250 kg) von Grasfressern mit Präferenz für qualitativ gutes Gras. Dominante Männchen sind solitär und territorial, die übrigen bilden Junggesellenherden. Auch die Weibchen leben in oft großen Herden (6 bis mehrere 100) mit riesigem Streifgebiet oder wandern saisonbedingt zwischen zwei Gebieten, generell in offener Savanne oder gar baumlosen Ebenen. Sexualdimorphismus ist vorhanden, aber weniger ausgeprägt als bei Arten der Gruppe (3); Feindvermeidung erfolgt ähnlich. Zu dieser Kategorie gehören Weißbartgnu (Connochaetes taurinus; Abb. 3.14), Kuhantilopen (Alcelaphus) oder Topi (Damaliscus lunatus, Abb. 4.32).

      5. Die großen Arten (>200 kg) sind unselektive Äser von Gras oder Laub geringer Qualität, also sehr häufiger Nahrung. Habitate umfassen sowohl bewaldete Gebiete als auch lockere Savanne, die in saisonalen Bewegungen durchstreift werden. Männchen sind nicht territorial und bilden eine Dominanzhierarchie, Weibchen leben in Herden (10 bis mehrere 100) mit großem Streifgebiet. Feindvermeidung geschieht wie bei (3) und (4), außer bei den größten Arten (Kaffernbüffel, Syncerus caffer; Savannenelefant, Loxodonta africana, Abb. 5.16), die sich auch gegen Prädatoren verteidigen können. Als weitere Mitglieder dieser Kategorie gelten etwa Elenantilope (Taurotragus oryx), Spießböcke (Oryx), oder auch Steppenzebra (Equus quagga, Umschlagbild) und Giraffe (Giraffa camelopardalis, Abb. 7.8).

      Dieses Klassifikationsmuster hat entsprechend auch für andere Herbivorenfaunen Gültigkeit, etwa jene Asiens, wo die Kategorien der hochselektiven kleinen Laubäser aber nicht durch Boviden, sondern vor allem durch kleine Hirschartige repräsentiert werden. Hofmanns (1989) Klassifikation der Wiederkäuer geschah weniger vor dem Hintergrund solcher verhaltensökologischer Zusammenhänge als im Hinblick auf die Evolution von Verdauungssystemen. Sie führte zu einer Reihe von Hypothesen über unterschiedliche morphologische Anpassungen im Verdauungsapparat von Laub- und Grasäsern und damit verbundenen Verdauungsleistungen (die sogenannte ruminant diversification hypothesis). Wie weit solche Unterschiede mit der Gras- oder Laubpräferenz zusammenhängen oder vor allem mit Körpergröße und taxonomischer Zugehörigkeit zu tun haben, wird jedoch immer noch diskutiert (Karasov & Martínez del Río 2007; Clauss et al. 2008, 2010).

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      Abb. 2.26 Mit etwa 5 kg Körpermasse gehören die Dikdiks (hier ein männliches Damara-Dikdik, Madoqua kirkii) aus den ariden Gebieten Afrikas zu den kleinsten Antilopen. Sie leben streng territorial und monogam. Ihre schmale vorspringende Schnauze erlaubt ihnen als Laubäser, auch kleinste Blätter zu selektieren.

      Dass die verschiedenen Nahrungsbestandteile sehr unterschiedliche Gehalte an Energie aufweisen, zeigte bereits Tabelle 2.1. Bei der Betrachtung der Verdauungsmechanismen der Herbivoren wurde aber auch klar, dass die in der Nahrung vorhandene Energiemenge nicht gänzlich genutzt werden kann und dass die Effizienz der Nutzung von der Tierart beziehungsweise von ihrem Verdauungssystem abhängt. Die nicht zur Assimilation nutzbare Energie (apparent digestible energy) geht über den Kot wieder verloren (Abb. 2.27). Aus Formel 2.1 (Kap. 2.1) errechnet sich damit der verdauliche Energieanteil DE, welcher die Verdaulichkeit (digestibility, assimilation efficiency) der Nahrung beschreibt:

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      Protein ist für alle Wirbeltiere gut verdaulich, im Mittel zu etwa 92 %. Ähnliches gilt für Lipide. Carnivoren erreichen bei guter Fleischnahrung deshalb oft eine Verdaulichkeit von 80–85 %; bei Arthropodennahrung liegen die Werte aufgrund des Chitinanteils tiefer. Mit über 98 % sind auch Zellinhalte (nicht strukturelle Kohlenhydrate) von Pflanzen fast vollständig verdaulich (Robbins

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