Ingenieurholzbau. Werner Seim
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Obwohl Holz als Werkstoff mit sprödem Versagen gilt, wird auch im Holzbau auf die Plastizitätstheorie zurückgegriffen. Und zwar immer dann, wenn mit stiftförmigen Verbindungsmitteln aus Stahl duktile Anschlüsse realisierbar sind. Dies wird in den folgenden Abschnitten für den statischen und für den kinematischen Grenzwertsatz erläutert.
1.3.2 Anwendung des oberen Grenzwertsatzes
Von Knud Winstrup Johansen (1901–1978) wurden zwei ganz unterschiedliche Anwendungen des oberen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie vorgestellt: für Stahlbetonplatten die Bruchlinientheorie und 1949 für den Holzbau eine Theorie für Verbindungsmittel. Diese Theorie liefert eine Grundlage für die Ermittlung des Tragwiderstands von Anschlüssen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln, welche auf Abscheren beansprucht werden. In Band 1 wurde mithilfe der Gleichgewichtsbedingungen beispielhaft die Tragfähigkeit für den Versagensmechanismus mit zwei Fließgelenken hergeleitet. Betrachtet man den in Abb. 1.8 dargestellten Versagensmechanismus mit zwei Fließgelenken etwas genauer, dann stellt man fest, dass bei der Ermittlung der Traglast die beiden äußeren Abschnitte des Stifts links und rechts der Fließgelenke völlig unberücksichtigt bleiben. Ob die durch die Leibungsfestigkeiten begrenzten Kontaktspannungen ausreichen, um in den beiden äußeren Teilen des Verbindungsmittels ein Gleichgewicht mit dem am Anschnitt vorhandenen Fließmoment herzustellen, wird nicht überprüft. Das entspricht exakt der Vorgehensweise bei der Anwendung des oberen Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie: Die Einhaltung der Fließbedingung darf verletzt werden und maßgebend wird der Mechanismus, welcher die geringste Traglast liefert. Diese Vorgehensweise findet sich auch wieder bei der Bruchlinientheorie für Stahlbetonplatten und bei der Gleitkreisberechnung in der Geotechnik. Auch dort werden die Fließbedingungen außerhalb der Fließlinie bzw. der Gleitfuge nicht überprüft.
1.3.3 Anwendung des unteren Grenzwertsatzes
Die Schubfeldtheorie, welche im Holzbau bei der Modellierung von Holztafeln ihre Anwendung findet, wurde ursprünglich von Hertel (1960) für den Flugzeugbau entwickelt. Für die Berechnung des Tragwiderstandes eines Schubfelds wird angenommen, dass zwischen den vier Randrippen und dem Schubfeld nur Kräfte parallel zum Rand des Schubfeldes wirken und dass dieser Schubfluss konstant über die Länge der vier Seiten ist. Diese Zusammenhänge und das zugehörige statische System sind in Abb. 1.9 dargestellt. Versucht man zu diesem System mit einer äußeren Kraft am oberen Rand nun eine Verformungsfigur zu zeichnen, dann stellt man fest, dass in zwei Bereichen die Verträglichkeitsbedingungen verletzt sind: Zum einen überschneiden sich Kopf- und Randrippe rechts oben und links unten, zum anderen widerspricht die Relativverschiebung zwischen Rippen und Schubfeld der dort jeweils angesetzten Richtung des Schubflusses. Dies steht durchaus in Übereinstimmung mit der Theorie, denn der untere Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie, der hier angewandt wird, fordert keine kinematische Verträglichkeit. Es lässt sich zumindest qualitativ gut nachvollziehen, dass die Herstellung der kinematischen Verträglichkeit bei einem Schubfeld einen zusätzlichen Anteil am Tragwiderstand mobilisieren würde. In normativen Regelungen zum Tragwiderstand wird diesem Umstand mit einer pauschalen Erhöhung um 20 % Rechnung getragen. Im Fachschrifttum werden auch andere Begründungen angegeben: Porteous und Kermani (2013) sehen in dem Faktor einen Übergang vom 5 %- zum 20 %-Quantilwert, wie er beim Nachweis der Feuerwiderstandsdauer eingeführt wird. In den Erläuterungen zur DIN 1052 (Blaß et al. 2005) wird ein ,,Vergütungseffekt“ entlang der Plattenränder angeführt.
Abb. 1.8 Einschnittige Holz-Holz-Verbindung (a) Versagensmechanismus mit zwei Fließgelenken (b) Lochleibungsspannungen.
Abb. 1.9 Schubfeldmodell: (a) statisches System, (b) Annahme Schubfluss und (c) Verformungen.
1.3.4 Kapazitätsbemessung
Die Übertragung von Rechenmodellen, welche auf der Grundlage der Plastizitätstheorie hergeleitet wurden, auf reale Tragwerke erfolgt im Rahmen einer Kapazitätsbemessung. Das Ziel dieser Bemessung ist es sicherzustellen, dass der in der Theorie vorausgesetzte plastische Mechanismus erreicht wird und das Tragwerk nicht an anderer Stelle vorzeitig versagt. Bei der Bemessung von Anschlüssen mit stiftförmigen Verbindungen werden in diesem Zusammenhang Mindestabstände für die einzelnen Verbindungsmittel definiert, um ein sprödes Versagen des Holzes im Anschlussbereich auszuschließen. Bei Wandtafeln gibt es mehrere am Lastabtrag beteiligte Tragelemente, deren Versagen durch die Kapazitätsbemessung ausgeschlossen werden soll. Dazu zählen die knickgefährdete Randrippe, die Holzwerkstoffplatte als Schubfeld und die Zugverankerung. Für diese Tragelemente wird im Rahmen der Kapazitätsbemessung eine erhöhte Einwirkung Eel angesetzt, die sich aus dem charakteristischen Wert des Tragwiderstandes des plastisch verformten Tragelementes Rpl und einem Überfestigkeitswert γRd zusammensetzt.
(1.38)
Konkrete Regelungen zur Überfestigkeit finden sich in Abschn. 4.3 mit Bezug zur Auslegung von Tragwerken gegenüber Erdbebeneinwirkungen.
1.4 Berechnungsverfahren für zusammengesetzte Querschnitte – γ-Verfahren
Die Wirkungsweise von zusammengesetzten Querschnitten wird in Abb. 1.10 für unterschiedliche Verbindungen der beiden Teilquerschnitte veranschaulicht; von der Tragwirkung der Einzelquerschnitte über den nachgiebigen zum starren Verbund. Es ist zu erkennen, dass das Ebenbleiben des Gesamtquerschnitts nur bei Bauteilen mit starrem Verbund gewährleistet ist. Bei Querschnitten mit nachgiebigem Verbund gilt die Bernoulli-Hypothese nicht, welche das Ebenbleiben der Querschnitte voraussetzt, und somit sind die Regeln der technischen Biegelehre auf diese Querschnitte nicht direkt anwendbar. Die Biegesteifigkeit von aufeinander gelegten Balken entspricht der Summe der Biegesteifigkeiten der Einzelquerschnitte, solange in der Kontaktfuge keine Schubkräfte übertragen werden.
Die Schnittgrößen nachgiebig miteinander verbundener Querschnitte können mit dem γ-Verfahren ermittelt werden. Dieses für die Handrechnung geeignete Verfahren wurde von Fritz Stüssi (1943) und Karl Möhler (1956) entwickelt. Es wurde für Einfeldträger mit gleichmäßigem Schubfluss und einer sinusförmigen Belastung hergeleitet, liefert aber auch für Einfeldträger unter Gleichstreckenlast eine ausreichend genaue Näherung. Von einem gleichmäßigen Schubfluss kann ausgegangen werden, wenn die Verbindungsmittel in einem vergleichsweise geringen Abstand angeordnet werden.