Herr Maiwald, der Armin und wir. Kai von Westerman
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In allen Kellerräumen gab es weiße Schränke. Hinter deren Türen verbargen sich ein Requisiten- und ein bescheidener Kostümfundus mit alten Schuhen, Hüten, Jacken und Mänteln.
In den oberen Etagen gab es ein Tonstudio und Schneideräume.
«Wir machen hier alles selbst,» erklärte Herr Maiwald, «bis auf Filmentwicklung und -kopierung.»
Studio Babelsberg im Kleinformat.
Diese Führung durchs Haus wirkte, als würde Herr Maiwald festlegen: «So geht das hier. So machen wir das hier. Genau so wird hier gearbeitet. Merkt euch das.»
Im Foyer kam ein junger Mann die mit schwarzem Teppich belegte Treppe hinunter. Er hatte es eilig.
«Das ist der Christoph – mein Regisseur für die Mausgeschichten», erklärte Herr Maiwald – und schon war der Mann in der braunen Lederjacke durch die Tür.
Die Wand neben der Tür war mit schwarzem Teppichboden tapeziert. An dieser Wand hing ein Strohkranz mit Trauerflor. Auf der schwarzen Schleife stand in weißer Schrift:
«DEM SPATZ VOM WALLRAFPLATZ»
Als hätte ich das lose Ende eines verlorenen Fadens wiedergefunden. Einen Faden, den ich als Schuljunge aus der Hand gelegt hatte. Jetzt war ich ein junger Kameraassistent und hielt in der Hand: das andere Ende des verlorenen Fadens. Auf einmal arbeitete ich für den, der die Filme gedreht hatte, die mir als Schuljunge wichtig gewesen waren.
«Hier geht’s weiter», rief Herr Maiwald und öffnete eine schwarz gestrichene Stahltür. In Augenhöhe waren außen auf die Tür weiße Blockbuchstaben gedruckt:
«KEEP
THIS ROOM
TIDY.»
«Das ist unser Kameraraum», erklärte Herr Maiwald.
In der Mitte des Raumes gab es einen kleinen quadratischen Tisch, gerade groß genug, um darauf den Dunkelsack auszubreiten, in dem man Filmmaterial in die Kamerakassetten einlegt. An drei Seiten ragten Regale aus massiven Holzbalken bis unter die Decke empor. In den Regalen befand sich alles, was man benötigen könnte, um Filme zu drehen: auch Gummistiefel, Sonnenschirme und Bauhelme. Fast alle Regalböden waren mit kleinen Schildern versehen: «Akkuladestation», «Leerdosen», «Spezialleuchtmittel» … Im Regal mit «Putzzeug» gab es neben groben Bürsten auch Reinigungsbenzin, Optikreiniger, Zahnstocher und Fensterleder.
Rechts unten, in der Ecke neben der Tür, stand ein kleiner Kühlschrank. Darin wurden die flachen runden Blechdosen mit Filmmaterial aufbewahrt.
Im Regal links von der Tür, auf einem Boden in Hüfthöhe, lagerten zwei schwere silberne Alukoffer. Jeder dieser Koffer war größer als ein Werkzeugkasten und schwerer als ein Kasten Mineralwasser. Aber er hatte nur einen schmalen Griff an der Oberseite, wie der Griff eines kleinen Aktenkoffers. Das machte jeden dieser Koffer höllisch schwer und unhandlich.
«Die haben wir für Australien gebaut», erklärte Herr Maiwald. Er war ein Jahr zuvor mit seinem Team wochenlang down under gewesen.
Herr Maiwald erklärte weiter: «In der einen Kiste ist die Kamera mit Optiken, Akkus, Ladegeräten und sämtlichem Zubehör, in die andere Kiste passen ein dutzend Rollen Filmmaterial, außerdem sind darin Werkzeug, Maßband und alles, was man zum Drehen braucht. Die gesamte Ausrüstung in zwei Kisten. Nur für den Ton haben wir noch einen zusätzlichen kleinen Koffer.»
Alles war sehr übersichtlich sortiert. Ein Blick in den jeweiligen Koffer genügte. Wenn keines der maßgeschneiderten Fächer leer war, hatte man alles dabei.
Sehr praktisch.
9
DIE VERGESSENEN AKKUS
Wenn DER SPATZ VOM WALLRAFPLATZ jemanden etwas fragte, wusste man nie, ob er wirklich interessiert war oder nur auf eine vorwitzige Bemerkung hinaus wollte. Das lenkte die Menschen natürlich von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Also war der Spatz mal mehr, mal weniger willkommen. Von Anfang an wurde in den Filmen so getan, als ob viele Leute den Spatz bereits kannten. Später war es auch in Wirklichkeit so, weil alle die kleinen Filme mit dem Spatzen im Fernsehen gesehen hatten. Genau wie ich.
Eine typische Unterhaltung des Spatzen mit einem Menschen bei der Arbeit kann man sich so vorstellen:
Es ist eine Szene, in welcher der Spatz weit draußen, außerhalb von Köln herumflattert. Tief unter ihm sommerliche Felder. Da fällt ihm ein mitten in der Landschaft geparktes Fahrzeug auf.
Der silberfarbene VW-Bus steht am Rand eines Feldweges. Die Sonne scheint, das hohe Gras der Wiesen drumherum ist ziemlich vertrocknet. Dazwischen ein paar bunte Feldblumen. Und überall diese Schmetterlinge mit den weiß-schwarz gescheckten Flügeln. Sie sitzen auf den schwankenden Grashalmen oder flattern im sanften Wind torkelnd umher, oft zu zweien.
Die Heckklappe des VW-Busses steht offen. Ein langer, dünner Kameraassistent lädt die Kisten mit der Kameraausrüstung aus.
Der Spatz würde jetzt so ein bisschen zu sich selbst sprechen, wir Filmzuschauer könnten mithören, was er sagt: «Was machen die denn da? Parken mitten auf der Wiese! Det Auto kenn’ ick doch!»
Neben der offenen Seitentür des VW-Busses steht Armin Maiwald in Jeans und rosafarbenem Polohemd. Er ist fast genau so dünn wie der Kameraassistent, der gerade die silbernen Kisten aus dem Auto wuchtet. Armin Maiwald guckt auf die Wiese mit den Schmetterlingen.
«Da is’ ja auch der Armin. Muss ick doch gleich mal guten Tag sagen … Warum guckt denn der so? Nee, mal abwarten …»
Armin Maiwald steht und beobachtet, was sich auf der Wiese mit den Schmetterlingen tut. Da geht ein rundlicher Mann herum. Jetzt nimmt er einen dieser Schmetterlinge auf seine Fingerspitze und ruft mit kölschem Singsang in der Stimme:
«Sie haben Glück! So zahlreich finden Sie den Schachbrettfalter nur einmal im Jahr, und nur wenn es warm ist – bei kühlerem Wetter versteckt er sich im Gras.»
«Der Armin guckt, als hätt’ er schlechte Laune», überlegt der Spatz, «Na, mal lieber nicht ansprechen … Vielleicht denkt er auch nur angestrengt nach, welche Aufnahmen er für seinen Film benötigt. Mal lieber nicht stören. Ick frag mal den Typen mit den Kisten.»
Der Spatz landet auf dem Tragegriff der Kamera, die der Assistent schon auf das Stativ gesetzt hat.
Der Spatz fragt: «Wat macht ihr denn?»
«Stör’ mich jetzt nicht», sagt der Kameraassistent, «Ich suche die Akkus.»
«Wozu brauchste denn Akkus?»
«Das sind Batterien, die liefern Strom für die Kamera.»
«Was macht ihr denn mit der Kamera?»
«Wir wollen filmen.»
«Hab’ ick mir gleich gedacht. Was wollt ihr denn filmen?»
«Die Schmetterlinge. Wir sollen die Schmetterlinge filmen.»
«Wozu?»