Herr Maiwald, der Armin und wir. Kai von Westerman

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Herr Maiwald, der Armin und wir - Kai von Westerman

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Teil ihrer Erzählung mit der Wirklichkeit verbunden. Unten auf dem Platz fuhr ein Radfahrer vorbei. Sein Fahrrad quietschte.

      Genervt zeterte der Spatz: «Der soll sein Fahrrad ölen!»

      Wenn man sich das heute anguckt, entsteht der Eindruck: Die Filmemacher probierten aus, wie man glaubwürdige Berührungspunkte zwischen Inszenierung und Wirklichkeit schafft. Sie nutzten den städtischen Platz wie eine Bühne, begrenzt von Häusern. Das Spatzennest war ein Logenplatz, von dem aus man alles rundherum beobachten konnte. Der Spatz konnte seine Loge einfach verlassen, schnell zu jeder Stelle des Platzes flattern und sich in das Geschehen auf der Bühne mischen.

      Da lag am Straßenrand ein Haufen Abfall. Der Dreck sah aus, als hätten die Filmleute ihn da hingelegt: Inszenierung.

      Die Spatzenmarionette flatterte herbei, um zu schauen, ob sich im Abfall etwas essbares zum Frühstück fände.

      Dreck als Ausweis der Wirklichkeit. Und die Marionette mittendrin.

      Der Spatz pickte also am Fahrbahnrand im Dreck herum. Aus dem Hintergrund näherte sich die Stadtreinigung mit einem orangefarbenen Sprengwagen. Der spritzte die Straße nass. Im Vordergrund suchte der Spatz nach Krümeln. Der Sprengwagen kam näher. Im letzten Moment hüpfte der Spatz beiseite. Der Sprengwagen fuhr knapp an ihm vorbei, der Spatz wurde nass. In Großaufnahme. Die Marionette wurde tatsächlich geduscht, von einer echten Straßenreinigungsmaschine. Da berührte die Wirklichkeit die Inszenierung.

      In den ersten Folgen der Serie flatterte der Spatz ständig nahe am Hauptgebäude des Senders herum. Man konnte regelrecht zugucken, wie die Filmemacher sich vorsichtig immer weiter hinauswagten mit ihrer neuen Filmfigur.

      Der erste größere Ausflug des Spatzen endete allerdings wieder in einem Fernsehstudio. Die Studios des WDR waren über die ganze Kölner Innenstadt verteilt.

      Am Pförtner vorbei hüpfte der neugierige Spatz durch die offene Tür hinein. Im Studio: Stille. Alles dunkel. Nur das Putzlicht war eingeschaltet.

      Der Besuch in diesem Studio war wie ein Abschied vom bisherigen Kinderfernsehen. Der Spatz flog hoch bis unter die Studiodecke und setzte sich auf einen dunklen Scheinwerfer. Er guckte hinunter und bemerkte: «Kommt mir so bekannt vor … Na klar! Das ist doch das Mischpult vom Hasen Cäsar …»

      Die Dekoration stand verlassen. Niemand da.

      Kein Wunder: Der Regisseur der Sendung mit dem Hasen Cäsar war derselbe gewesen wie der bei den Filmen mit dem Spatz.

      Aber das wusste ich damals noch nicht.

      4

      WENN KINDER FERNSEHEN

      Auf dem Pausenhof der Grundschule schwatzten wir Schüler eher über Serien, die eigentlich für Erwachsene gemacht waren: DAKTARI, BONANZA und RAUMSCHIFF ENTERPRISE. Nachmittags, auf den Wiesen zwischen den Wohnhäusern unserer Siedlung, spielten die Nachbarskinder und wir die Abenteuer der Serienfiguren nach: Wir fantasierten uns in die afrikanische Wildnis, in staubige Westernstädte oder ins Weltall, weit weg von Schule und Alltag.

      Im Gegensatz dazu weckten die Abenteuer des Spatzen keine Sehnsucht – eher die Überlegung, ob man eines Tages lieber Briefzusteller, Meteorologe oder Kameramann werden wollte.

      Der Spatz machte mit seiner näselnden Stimme zu allem Bemerkungen, passende und unpassende, sprach aus, was er dachte, war oft ironisch.

      In allen Fernsehserien hatten die Hauptfiguren so unverkennbare Stimmen, dass man wusste, wer sprach – auch wenn man die Figur nur hörte und nicht sah. Das lag einerseits an deren Sprechweise – wie bei Mister Spock, dem ersten Offizier im RAUMSCHIFF ENTERPRISE, in dessen Sätzen sich immer eine Art Skepsis andeutete – oder es lag am Klang, wie bei dem weißhaarigen Rancher Ben Cartwright, dessen rauchiger Bass tönte wie ein grob gezahntes Sägeblatt, das einen großen hohlen Holzschrank zersägt.

      Die Stimmen der Kommentatoren von Nachrichtenfilmen oder Magazinbeiträgen sprachen wie gedruckt und so gleichgültig, als wären sie unbeteiligt an dem Film, den die Zuschauer sahen.

      Als ich in der vierten Klasse war, tauchten im Programm die SACH- UND LACHGESCHICHTEN FÜR FERNSEHANFÄNGER auf. Diese Sachgeschichten zeigten zum Beispiel, wie ein Löffel hergestellt wurde. Ganz trocken, Arbeitsschritt für Arbeitsschritt. Ohne Kommentar. Nur Filmaufnahmen und ein paar Töne Musik. Diese kurzen Filme waren, als stünden sie mit dem Rücken zum übrigen Programm. In diesen Sachgeschichten gab es keine Handpuppen oder Marionetten. Diese Filme stießen einen mit der Nase auf die nächste Umgebung: auf Brötchen, Löffel, Schuhe …

      Sie stellten Dinge in den Mittelpunkt. Wenn man Menschen sah, dann hatten sie mit der Herstellung oder Nutzung dieser Dinge zu tun.

      Später gab es Filme, in denen eine helle und klare männliche Stimme Gegenstände benannte, die im Bild zu sehen waren. Nur Stichworte und Begriffe, höchstens einzelne Sätze. Wie Bildunterschriften in der Zeitung.

      Manche Filme zeigten, wie Kinder sich im Straßenverkehr verhalten sollen. Nur am Ende sagte der Sprecher etwas:

      «Kinder sitzen im Auto hinten. Dann werden sie nämlich beim Bremsen von der Sitzlehne aufgefangen.»

      Anschnallgurte im Auto waren damals noch nicht üblich.

      5

      BEZUGSPUNKT: WIRKLICHKEIT

      Das klang nach gelber Gummi-Ente in der Badewanne: Fliewatüüt. Kindisch. Für solche Fernsehsendungen fühlten mein kleiner Bruder und ich uns zu alt.

      Weil Mediathek, Video on Demand und DVDs noch nicht erfunden waren, wurden erfolgreiche Sendungen im Fernsehen öfter wiederholt.

      Bei uns zuhause lag die Zeitschrift mit dem Fernsehprogramm auf dem niedrigen Couchtisch im Wohnzimmer. Unsere große Schwester sorgte dafür, dass jeweils die Seite mit dem entsprechenden Wochentag aufgeschlagen war. Mit Kugelschreiber markierte sie die Sendungen, die sie angucken wollte. Das war immer dann blöd, wenn sie etwas im zweiten Programm sehen wollte, während es gleichzeitig im ersten Programm eine Sendung gab, die uns Brüder interessierte.

      Zur ersten Wiederholung der Serie ROBBI, TOBBI UND DAS FLIEWATÜÜT gab es in der Fernsehzeitschrift ein Bild. Auf dem Foto war eine Art Hubschrauber abgebildet. Vorne am Rumpf waren Scheinwerfer angebracht, wie an einem Sportwagen. Statt Landekufen war unter dem grauen Rumpf ein stabiles Fahrwerk montiert. Neben diesem Hubschrauber stand ein Junge in rotem Pullover. Aus seinem Holzkopf wuchsen strubbelige blonde Haare. Eine Marionette.

      Gut, wir guckten ja auch AUGSBURGER PUPPENKISTE.

      Also schalteten wir diesmal ein. Der Hubschrauber interessierte uns.

      Die Geschichte handelte von Tobbi. Das war der Junge mit den blonden Haaren und dem roten Pullover. Drittklässler.

      Wie mein kleiner Bruder.

      An den Wänden in Tobbis Zimmer hingen Zeichnungen und Pläne eines Gefährts, das fliegen, schwimmen und fahren konnte. Tobbi nannte das Gefährt «Fliewatüüt». Er hatte es selbst erfunden.

      Auf die Idee mit so einem Flugbootauto wäre ich auch gerne gekommen.

      Eines nachts bekam Tobbi Besuch von Robbi,

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