Herr Maiwald, der Armin und wir. Kai von Westerman

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Herr Maiwald, der Armin und wir - Kai von Westerman

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Spatz! Den Spatz vom Wallrafplatz», lachte ich.

      «Da drüben gibt’s Eis», sagte mein Sohn.

      «Als ich so alt war wie du, da gab’s den Spatz im Fernsehen. Er wohnte in einem Nest da oben in der Platane und beobachtete die Menschen auf dem Platz. Die Männer von der Müllabfuhr, zum Beispiel. Denen ist er hinterher geflogen und hat zugeguckt, wie die arbeiten. Das war interessant. Wir Kinder konnten ja nicht einfach hinter der Müllabfuhr her auf die Kippe.»

      «Machen wir auch nicht», sagte mein Sohn, «Dafür gibt’s DIE SENDUNG MIT DER MAUS.»

      «Der Spatz war natürlich kein echter Spatz», erklärte ich, «sondern eine kleine Marionettenfigur mit großen Knopfaugen. Er konnte sprechen, er berlinerte, seine Stimme war rau und näselnd. Er war frech, quatschte wildfremde Leute an: einkaufende Passanten vor der Bäckerei, Straßenkehrer, Polizisten. Weil er ja (an feinen Fäden geführt) fliegen konnte, folgte er den Menschen vom Platz an alle möglichen Orte. So ein Spatz ist ja klein, der kann durchs offene Fenster in ein Büro hineinfliegen und wieder heraus.»

      Zweifelnd blinzelte mein Sohn mich mit seinen grünen Augen von unten an: «War dieser Spatz nun eine Marionette aus Wollknäueln oder war der ein lebendiger Vogel und die ham ihn so gefilmt als ob …?»

      «Der Spatz war eine Marionette», erklärte ich auf dem Weg zur Eisdiele, «eigentlich…»

      …wenn der SPATZ VOM WALLRAFPLATZ nicht gewesen wäre, hätte Armin Maiwald in den vergangenen drei Jahrzehnten mit einem anderen Kameramann gedreht.

      «Ich möchte zwei Kugeln», sagte mein Sohn, «Zitrone und Schokolade.»

      3

      WIE DIE WIRKLICHKEIT INS KINDERFERNSEHEN KAM

      «Was haben wir früher eigentlich ohne dieses Gerät gemacht?», fragte mein Vater eines Sonntags. Er meinte unseren Fernseher. Der stand erst seit wenigen Monaten in unserem Wohnzimmer. Bei anderen Familien gehörte der Fernseher schon lange zur Einrichtung.

      Eines Morgens, während der Sommerferien, holten die Eltern meine Geschwister und mich im Morgengrauen aus dem Bett. Ich stand im rotweiß gestreiften Frottee-Bademantel vorm Fernseher. Wir sahen unscharfe, verrauschte Schwarzweißbilder. Es war ihnen anzusehen, dass sie aus überirdischer Entfernung kamen. Ich hörte unverständliche Funksprüche. Das war amerikanisch. Die erste Mondlandung.

      Nach jenen Sommerferien kam ich in die dritte Klasse. Damals wurde im Fernsehen an jedem Nachmittag Programm für Kinder gesendet. Sonntags saßen wir manchmal den ganzen Tag vorm Fernseher. Nach dem Frühstück wurde eingeschaltet und von da ab durchgehend ferngesehen: DIE KLEINEN STROLCHE, FLIPPER … hauptsächlich amerikanische Fernsehserien. Abends, vor den Nachrichten kam BONANZA, anschließend Schulranzen packen, Abendbrot, ins Bett.

      Im Kinderfernsehen damals kam die Welt unserer Umgebung nur selten vor.

      Viele Kindersendungen wurden aus Fernsehstudios übertragen. Wir sahen einfache Shows vor Pappwänden, fürs Bild gebaut und aufgestellt. Es gab Lieder und Bastelanleitungen, Märchentanten, und Ratespiele mit Moderatoren in Anzug mit Krawatte.

      Oft spielten in diesen Sendungen Marionetten oder Handpuppen mit. Es schien, als könnten diese Puppen sich im Studio frei bewegen.

      Zum Beispiel kannten alle diesen frechen Hasen, der aussah, als hätte er ein altes, abgeliebtes Fell von verwaschener, graubrauner Farbe. Der Hase war eine Handpuppe mit Klappmaul, hatte riesige Ohren und ein ziemlich vorlautes Mundwerk mit zwei großen Schneidezähnen. Er hieß Cäsar. Zusammen mit dem Tontechniker Arno präsentierte der Hase aktuelle Schlagerplatten. Er sagte die Platten an, quatschte oft in die laufende Musik hinein und schwatzte mit dem Tontechniker: «Du, Arnooo …?»

      Ständig klopfte der Hase Cäsar Sprüche. Er war frech zu den Schlagersängern, die als Studiogäste auftraten, manchmal sogar unverschämt. Währenddessen zappelte er durchs Studio. Abwechselnd tauchte er vor und hinter dem Tonmischpult auf.

      Auch wenn man das nie sah, wussten wir, dass dieser Stoffhase genau wie beim Kasperletheater von einem Puppenspieler geführt wurde, der außerhalb des Bildes hockte. Und irgendwie ahnten wir, dass dieses Mischpult mit Tonbandmaschinen und Plattenspielern Teil einer Studiokulisse war.

      Die Sendung hieß SCHLAGER FÜR SCHLAPPOHREN. Alle guckten sie gerne.

      Aber im Grunde war dieses ganze Kinderfernsehen nichts anderes als Kasperletheater.

      Es waren die Jahre, in denen ich gebannt eine Mondlandung nach der anderen im Fernsehen verfolgte. Schließlich wurden die Spaziergänge der Astronauten auf der Mondoberfläche sogar in Farbe gesendet. Die Bildqualität war nicht schlechter als die der Liveübertragungen von der Fußball-weltmeisterschaft in Mexiko.

      Wir sahen im Fernsehen, wie Astronauten mit kirchturmhohen Raketen starteten. Wir erfuhren, dass sie die Erde mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel verlassen mussten, um den Mond erreichen zu können.

      Zu eben dieser Zeit kam die Redaktion des Kinderprogramms beim Westdeutschen Rundfunk auf die Idee, ihre Studios zu verlassen und Filme zu drehen, die das echte Leben zeigen sollten. Ohne Kulissen, nicht nur mit Schauspielern, sondern vor allem mit Menschen, die auch in Wirklichkeit an Ort und Stelle lebten und arbeiteten. Man merkte den Unterschied sofort, weil diese Menschen oft nicht so deutlich sprachen, wie die Figuren in den Fernsehserien. Wenn sie redeten, klang das häufig ähnlich wie die Gespräche der Monteure, die gestern bei uns im Keller die Heizung geprüft hatten. Die Menschen in den Filmen ohne Kulissen waren fest in der westdeutschen Wirklichkeit verwurzelt. In unserer Wirklichkeit.

      Die Schule langweilte mich. Ich hatte größte Mühe, mich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Manchmal gingen ganze Nachmittage dabei drauf. Meine Mutter versuchte mit verschiedenen Tricks, mich zu motivieren. Sie ließ mich meine Schulaufgaben im Wohnzimmer machen. Da hatte sie mich im Blick. Vielleicht hatte sie manchmal auch Mitleid.

      Jedenfalls baute sie eines Tages das Bügelbrett im Wohnzimmer auf und schaltete den neuen Fernseher ein. «Es gibt so eine Sendung mit einem Spatzen», sagte sie, « Mach’ jetzt mal eine Pause. Der Film dauert eine halbe Stunde. Danach arbeitest du weiter, ja?»

      Als Bügelhilfe schätzte meine Mutter das Fernsehen sehr bald – aber ob es als Hausaufgabenhilfe taugte?

      Der erste Film mit dem Spatzen begann mit einem Blick in sein Nest. Es schien vor allem aus Lumpen zu bestehen. Auch Drahtreste, Stahlfedern, bunte Kabel und Fetzen von Brötchentüten waren darin verbaut – Sachen, die einer im Abfall der Stadt finden konnte. Das Nest klemmte in einer Astgabel des Baumes auf einem Platz mitten in der Stadt. Darin lag der Spatz und schlief. Eine Marionette aus Wollknäueln, Draht und Pappe. Bei Marionetten waren wir anspruchsvoll – durch die AUGSBURGER PUPPENKISTE waren wir regelrecht verwöhnt. Der schlafende Spatz im Nest schien ruhig und langsam zu atmen. Das sah echt aus.

      Die Uhren der Geschäfte am Platz zeigten sechs Uhr morgens an. Der Tag war schon hell, das Licht aber grau und konturlos. Kirchenglocken begannen zu läuten, der Dom war in Sichtweite. Das Läuten weckte den Spatz. Der Lärm ärgerte ihn.

      Die Marionette reagierte auf die Wirklichkeit ihrer Umgebung.

      Weil jede Fernsehsendung von einer Ansagerin angekündigt wurde und durch minutenlange Schrifteinblendungen wie «Wir schalten um …», «Sendepause» oder «Störung», war uns klar: Fernsehen wird gemacht.

      Beim

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