Die Schamanin. Hans-Peter Vogt
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Jetzt ist John Deer überzeugt, dass ein kleines Wunder geschehen ist. Nein. Viel mehr. Solveig hat dieses Wunder vollbracht.
„Was kann ich für Sie tun“, fragt er, aber Solveig winkt ab. „In unserer Familie hilft man sich gegenseitig. Ich habe alles, was ich brauche, aber wenn ich einmal ihre Hilfe brauche, dann werde ich Sie um diesen Gefallen bitten.“ Das gibt es in John Deers Familie auch, das Erweisen solcher „Gefallen“. Er senkt zustimmend den Kopf, obwohl er es sonst war, der Gefallen erweist und auch einfordert. Solveig hatte die Situation umgekehrt, aber er ist sicher, dass Solveig nichts von ihm verlangen wird, was er ihr nicht bereitwillig geben würde.
Solveig macht ihre Arbeit fertig, dann fährt sie wieder fort, und Kylie beginnt nun von Zeit zu Zeit mit Solveig zu telefonieren. Immer, wenn sie etwas braucht, dann ist „Tante Solveig“ zur Stelle. „Tante Solveig“, wie Kylie jetzt voller Liebe sagt.
Seit dieser Zeit hat Solveig bei John Deer „einen Stein im Brett“, aber sie fordert nichts ein. Auch das kennt John Deer. Irgendwann einmal wird Solveig vor seiner Tür stehen und ihn daran erinnern, was er ihr versprochen hatte, und er wird ihr diesen Gefallen erweisen. Sie wird schon nichts verlangen, was er ihr nicht geben kann. Er ist sich sicher.
8.
Solveig nimmt ihre Tochter auch in andere Länder mit.
Europa, Australien, Asien. Christie lernt schnell, das diese Länder voneinander völlig unterschiedlich sind. In einem Punkt ist es überall dasselbe. Pferdebesitzer sind eine Art eingeschworener Gemeinschaft, mit ein und derselben Sprache. Mama hilft ihnen und sie genießt überall ihre Achtung. Diese Achtung überträgt sich auf Christie, und auch Christie entwickelt diese übermächtigen Kräfte der Familie in immer schneller werdenden Zyklen.
Als Christie dann einen kleinen Bruder bekommt, nimmt Mama auch Pablo Thémeron auf ihren Reisen mit, „den Jäger des Hochlandes“.
Pablo ist noch zu klein, aber Christie bindet ihre Tochter Christie bereits problemlos in ihre Arbeit ein. Weil sie als Mutter zweier Kinder nun in den Augen vieler ihrer Kunden eine richtige Frau ist, wird sie noch einmal mit anderen Augen angesehen.
Als Christie in die Schule kommt, bedauert sie fast, dass Mama sie nun nicht mehr so oft mitnehmen kann. Jetzt passiert das nur noch an vereinzelten Wochenenden oder in den Ferien, und in den Ferien gibt es ja auch oft diese Treffen der Kinder der Familie, zu denen sie hingeht, und zu denen auch Mama geht. Oft ist das oben auf der Ranch von Onkel Nakoma, manchmal aber auch in Berlin, in Thailand oder in den USA. Überall, wo es viele Kinder der Familie gibt. Mama ist in dieser „Schule der Familie“ wie eine Art Leitfaden.
Christie hat von ihrer Mutter schon früh gelernt, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Auch in der Grundschule der Indiosiedlung lernt sie das, und sie lernt das auch bei den Treffen der Familie.
Manchmal nimmt Mama sie in den Ferien aber auch mit zu Behandlungen.
Zu Geheimtreffen der Mafiaführer, die Solveig von Zeit zu Zeit zusammen mit ihrer Cousine Elvira besucht, da nimmt Solveig ihre Tochter nicht mit, und auch nicht zu Treffen, die Chénoa und Solveig mit Wirtschaftsführern und einflussreichen Politikern hat. Noch nicht.
Es gibt Treffen, da bringt Solveig ihre beiden Kinder einfach irgendwo in ihrer Familie unter. Sie sind überall willkommen.
Am Anfang, als das passiert war, da hatte Christie manchmal geweint, und Solveig hatte ihr dann Geschichten erzählt, gesummt und gesungen, bis sie sich beruhigt hatte. Inzwischen weiß Christie, dass Mama immer wieder zurückkommt.
Manchmal besuchen sie Papa. Mal in Australien, mal in Afrika und mal in Asien. Christie kennt Staudämme. Einen Stausee und einen Staudamm haben sie in ihrem Tal ja auch, aber die Staudämme, die sie jetzt in anderen Ländern sieht, die sind gigantisch, und wenn sie im Bau sind, und wenn diese Erdmassen verschoben werden, bevor diese Mauern in die Höhe wachsen, dann sieht das noch gigantischer aus. Bei einem dieser Besuche war auch Christies kleiner Bruder entstanden. Damals konnte Christie die Energieströme noch nicht richtig zuordnen, aber Mama hatte sie anschließend in die Arme genommen. Sie hätte schon richtig gehört, hatte Mama ihr damals gesagt. Sie würde einen Bruder bekommen.
9.
Es gibt noch viel mehr solcher Vorfälle, wie bei John Deer. Solveig nutzt das stets, um sich die Liebe und die Achtung ganzer Clans zu sichern. Den Lauf der Welt ändert sie dadurch nicht.
Allerdings muss man sagen, dass Solveig nicht zielstrebig umherreist, um diese Familien in eine persönliche Abhängigkeit und Dankbarkeit zu bringen. Sie sorgt für ihre eigene kleine Familie, für ihre indianische Siedlung, für die Kinder der großen Familie von Opa Leon und eben auch für die Gemeinde aus Pferdeliebhabern.
Das sind viele Aufgaben. Solveig kann sich nicht zerreißen und sie muss manchmal Aufgaben verschieben, delegieren oder manchmal auch abweisen.
So traurig das klingen mag. Solveig ist auch nur ein Mensch. Ein Mutant, gewiss, aber eben auch ein Mensch. Menschen haben Fehler und die Kraft eines Menschen ist begrenzt.
Solveig hat lernen müssen, damit zu leben, dass sie nicht überall gleichzeitig sein kann.
10.
Bei all diesen Besuchen lernt Solveig die „menschliche Seite“ der Menschen im Untergrund kennen. In vielen Dingen unterscheidet sich das nicht von der „Welt des Lichts“, wie das in Solveigs Familie genannt wird.
Solveigs Familie war ja selbst aus diesem Leben des Tunnels entstanden. Es besteht da ein enger Kontakt zu Verfolgten, die sich vor den Behörden verstecken. Viele Mitglieder von Solveigs Clan waren ursprünglich Verfolgte der Regimes. Ganz anders ist das bei diesen Familien, die Solveig hier betreut. Sie sind freiwillig in den Untergrund gegangen, um verbotene Geschäfte und Profite zu machen, und um Andere zu unterdrücken und auszubeuten. Sie stehen auf der anderen Seite.
Solveig stört das, aber sie greift nicht ein. Sie sieht den Menschen und nur den Menschen. Sie lässt sich auch nicht irritieren. Sie hilft, wenn sie helfen kann und sie mehrt heimlich ihren Einfluss. Sie ist die Tierärztin und die Schamanin, und wenn sie einmal den Menschen helfen kann, dann hilft sie. Sie nimmt ihren ihren Eid sehr ernst, den man hippokratisch nennt, und den sie als Ärztin einmal geleistet hatte, oft genug, ohne nur einen Cent zu verlangen. Sie kommt schon nicht zu kurz. Solveig kommt nie zu kurz.
Sie lässt es aber auch nie zu, dass man ihre Hilfsbereitschaft ausnutzt, um ihre Hilfe kostenlos zu ergaunern.
Auch in ihrer Indiosiedlung, da hilft Solveig immer, wenn es notwendig wird, und sie erhält diese Hilfe tausendfach in Form von Liebe, Aufmerksamkeit und Schutz zurück.
Dabei hat Solveig durchaus nicht das, was man ein Helfersyndrom nennt. Sie hilft gern, aber sie kann nicht überall zur gleichen Zeit sein, und sie lässt sich nicht pushen. Sie kann sich durchaus dem Wunsch auf Hilfe verschließen. Solveig ist eben einfach in dem Bewusstsein groß geworden, dass man sich freiwillig gegenseitig hilft, damit das Leben einfacher und besser wird. Da ist nichts zwanghaftes oder gar krankhaftes. Nachbarschaftshilfe schweißt eben zusammen. Sie ist ein kommunikatives und soziales Element, das unabdingbar für eine entspannte Kommunikation ist. Das entspricht ganz der Philosophie der Cantara, die sich ihre Wirte ganz bewusst und mit klarem Verstand ausgesucht haben.
Schon jetzt hat Solveig innerhalb der Teile der Gesellschaft, in denen sie sich bewegt