Der Clan der Auserwählten. Hans-Peter Vogt
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"So. Da gibt es noch was. Die Stickstoffverbindungen, die da entstehen, die schöpfen wir auch ab. Du weist ja selbst, wieviele organische Abfälle bei der Herstellung unserer Mac Best Food Gerichte anfallen. Schalen, Strünke, Wurzeln, Blätter, Erde. Bei uns in Ciudad del Sol, und in den anderen Fabriken haben wir große Läger errichtet, in denen wir diese Abfälle zu fruchtbarer Erde verarbeiten. Die Stickoxide aus den Sümpfen können wir beimischen, um den Prozess zu beschleunigen. Die bei diesem Prozess entstehenden Gase fangen wir auf und nutzen sie zum heizen. Chénoa hat mir erzählt, dass ihr das in Europa nicht anders macht. Bei uns in Mexiko ist diese Bio-Erde ein richtiger Exportschlager geworden. Die LKW's bringen den bäuerlichen Kooperativen den Dünger und auf der Rückfahrt transportieren sie Tomaten, Kürbisse und so weiter. Es gibt keine Leertransporte mehr."
Leon unterbricht kurz. "So machen wir das in Wittenberge auch. Die komplette Fabrik läuft mit regenerativen Energien, und auch in der Stadt wird mit dem Abfallprodukt Gas geheizt. Wir treiben die Motoren der Trecker damit an, und auch all unsere Stapler fahren mit Gas aus unseren Bioanlagen. Wir haben unsere Vertragsbauern verpflichtet, keine Kalidünger und keine organischen Dünger aus Kuhscheiße mehr zu verwenden, aber du hast völlig recht. Was wir auf der einen Seite an Treibhausgasen vermeiden, wird auf der anderen Seite in gigantischen Ausmaßen erzeugt. Das System mit den CO2-Zertifikaten hat völlig versagt. Unser großes Problem ist, dass durch die regelmäßige Vernichtung von Wald der Sauerstoffgehalt der Erdhülle massiv schwindet. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir irgendwann ersticken. Bei uns in Europa haben wir deshalb die Wälder unter Schutz gestellt, und unsere Bauern haben wir vertraglich dazu verdonnert, zwischen ihren Feldern Busch- und Baumreihen anzulegen. Dort finden eine Menge Tiere Zuflucht, wie z.B. Vögel, die von Maden leben, aber natürlich auch Kaninchen, Igel, Füchse, Rehe, und das trotz der Belastungen aus der Umwelterwärmung Das hat am Anfang viele Diskussionen gegeben, weil die Bauern gejammert haben: die Stare fressen unser Saatgut. Die Karnickel fressen unseren Kohl, die Wildschweine fressen unseren Mais. Alles quatsch. Einzig und allein die Wildschweine waren anfangs ein Problem, aber wir haben die Jäger darauf angesetzt. Bei uns werden die Wildschweine gezielt und sehr erfolgreich geschossen. Wir setzen Drohnen ein, um diese Rudel zu beobachten und aufzuspüren. Das ist völlig lautlos. Ein paar Wildschweine sind ja OK. Sie wühlen die Erde um, aber wir haben das ungehemmte Wachstum dieser Rudel eingedämmt, das es einmal gegeben hat. Wir machen das heute im übrigen auch mit den Waschbären so, die sich ungehemmt vermehrt haben, weil sie keine natürlichen Feinde mehr haben."
Er grinst. "Wildschwein- und Waschbärbraten ist auch was Feines. Bei uns kriegst du das in den Landgasthöfen überall, und auch die Karnickel und die Rehe werden regelmäßig bejagt. Nur im Bayrischen Wald, da geht das schon lange nicht mehr, seit das Kraftwerk in Tschernobyl damals explodiert ist. Es ist nun mal so, dass wir in der bäuerlichen und forstwirtschaftlichen Produktion in die Natur eingreifen, ob wir wollen oder nicht. Dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die einzelnen Gattungen in einem natürlichen Gleichgewicht bleiben. Die Alternative wäre der Urwald, in dem sich die verschiedenen Gattungen selbst regulieren. Sowas dauert etwa hundert Jahre, nur braucht es dafür ein Artengleichgewicht. Wir Menschen waren so blöd, Luchse, Wölfe und Bären auszurotten. Die Klimaerwärmung hat viele weitere Arten ausgerottet. In einigen Schutzzonen gelingt die Aussiedlung solcher Gattungen dennoch gut. Zum Beispiel im Harz oder im Nationalpark Bialoweza in Polen. Der Biber verbreitet sich immer mehr. Auch das ist gut. Das traurige ist, dass wir bei uns solche Schutzzonen einrichten. In den USA und in Kanada gibt es das ja auch, etwa ab Oberlauf des Mississippi, oder rund um die Chattahochee Seenlandschaft, aber wir Menschen haben in anderen Teilen der Welt gehaust, wie die Barbaren. Du verstehst, was ich meine?"
Er sieht sie eine Weile an, und Ana Théla spürt seinen Energiestrom, "wenn du später studierst, lege dein Augenmerk immer darauf, die Wissenschaft daraufhin zu überprüfen, dass sie für regenerative Prozesse genutzt werden kann. Gerade in der Massenerzeugung ist das wichtig. Nur haben wir mit unseren Bauern immer darauf geachtet, großflächige Monokulturen zu vermeiden und natürliche biologische Dünger zu verwenden, ohne dass gleichzeitig das Wasser durch Nitrate und die Luft durch Faulgase geschädigt werden."
Ana Théla lacht leise. Ihr Großvater hätte das nicht extra erwähnen müssen. "Das ist die Grundidee indianischen Denkens, und das hat sich in unserer Familie zur Philosophie entwickelt. Wir werden von Umweltverbänden unterstützt. Wir erfahren in den Semesterferien einen regelmäßigen Ansturm von Studenten, die bei uns ihre Praktika machen wollen. Die Lehrstühle an den Universitäten arbeiten gern mit uns zusammen. Bei uns in den Anden gibt es eine richtige Aufbruchsstimmung, trotz der sich ausbreitenden Wüsten, vor allem in Chile."
Sie schließt ihren Vortrag: „So und jetzt bin ich hier. Die Wissenschaftlerin ist jetzt an Untersuchungen über diese Algen. Es könnte sein, dass die Algen weitere Stoffe produzieren, die in großem Stil in der chemischen und pharmazeutischen Industrie eingesetzt werden können. Wie das Zeugs heißt, weiß ich nicht. Das ist einer der Gründe, warum ich mich jetzt mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und Chemie beschäftigen will. Ich glaube, da entsteht ein riesiger Bedarf an weiteren guten Wissenschaftlern. Naja, du weist ja, dass es in meiner Familie dafür eine Art genetische Begabung gibt, für alles, was mit Pflanzen und Tieren zu tun hat. Ich mache eigentlich nichts anderes, als was ich schon immer getan habe. Chénoa hat auch schon heimlich weitere Flächen aufgekauft. Keine Angst. Sie hat ihr eigenes Geld genommen. Wir haben zusammengelegt. Das Geld, das wir aus den Goldminen haben, die du mal mit Vater und mit Chénoa gefunden hast, das hat sich zwanzig Jahre lang vermehrt. Wir haben es bisher nie angerührt. Jetzt ist die Summe durch die Zinsen und den aktuellen Goldpreis riesig geworden. Wir haben in die Grundstücke bisher nicht einmal vier Millionen investieren müssen. Paco hat sich ins Fäustchen gelacht. Er ist sich sicher, das wird eine Goldgrube.“
Leon hat sich längst gefasst. Seine anfängliche Verblüffung ist in ein Stadium der Berechnung und Einschätzung der Möglichkeiten übergegangen, die sich aus diesem Fund ergeben. „Ihr habt das die ganze Zeit durchgezogen, ohne mir einen Ton zu sagen? Ein Energiestrahl hätte genügt. Ich hätte euch helfen können. Naja, Chénoa hat mich über einige wesentliche Prozesse unterrichtet, aber ich bin nie über Details informiert worden. Chénoa hat das irgendwie verhindert.“
„Opa“, sagt Ana Théla. “Du bist der große Boss, aber Chénoa ist die Chefin in Süd- und Mittelamerika, und sie hat Generalvollmacht. Sie kann solche Dinge alleine entscheiden. Du weist das. Aber hör zu, das, was wir gemacht haben, das ist vorerst noch ein Versuchsballon. Wir Kinder haben das finanziert. Es kostet die Firma keinen Cent, wenn wir damit baden gehen. Weil das bisher nicht durch die Bücher der Firma geht, können wir ziemlich sicher sein, dass unser Vorhaben vorerst noch geheim bleibt. Dabei wollen wir es belassen.“
Leon nickt. „Die Barone werden euch das Gelände nicht mehr verkaufen wollen, wenn sie um diese Ressourcen wissen. Oder sie werden den Grundstückspreis ins Unermessliche steigen lassen. Ihr hättet mir trotzdem mehr darüber sagen sollen, dann hätte ich mich in der UN schon mal nach Schützenhilfe umsehen können.“
Ana Théla schüttelt den Kopf. "Genau das wollte Chénoa nicht. Keine undichte Stellen. Keine Spekulationen. Schon gar nicht die UN. Da kann man gleich eine Reihe von Annoncen schalten, hat sie gesagt."
Leon nimmt die Zurechtweisung an, "und jetzt zu dieser anderen Neuigkeit, der Sache mit dem Veggi-Fleisch und den neuen Pflanzen, die ihr da in Südamerika anbaut. Kannst du mir noch mehr darüber sagen?" „Opa. Das solltest du mit Chénoa besprechen. Sie wird ja in ein paar Tagen diesen Gipfel leiten und dann alles zur Sprache bringen. Wenn ich davon anfange zu erzählen, dann kommen wir heute Nacht nicht mehr zum Schlafen. Aber nun mal was anderes.