Terrafutura. Carlo Petrini

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Terrafutura - Carlo Petrini

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und auch eine neue Form des Denkens: eine neue Episteme, eine genaue und umfassende Art des Wissens.

      Andererseits darf die ethische Dimension nicht allein auf positiven Gefühlen oder ehrlichen persönlichen Überzeugungen fußen, die zwar eine notwendige Voraussetzung bilden, aber darüber hinaus ist ein realistischer Blick auf das historische Geschehen und das Bewusstsein für die ständigen Gefahren und überraschenden Wendungen wichtig, zu denen es durch die unvorhersagbaren Verflechtungen menschlicher Beziehungen kommt. Die ethische Vernunft kann im Übrigen nur dann eine vermittelnde und Einheit stiftende Rolle übernehmen, wenn es ihr gelingt, Werte und moralische Normen effektiv zu bestimmen, indem sie versucht, jene Faktoren, Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen ans Licht zu bringen, die Gegenstand der Wissenschaften sein sollten und müssten. Eine solche ethische Instanz müsste in der Lage sein, für echten interdisziplinären Austausch zu sorgen, dergestalt, dass jeder Wissenschaftszweig seinen Standpunkt darlegen kann und dabei die jeweilige Einflusssphäre in der persönlichen und gesellschaftlichen Dimension des menschlichen Individuums aufgezeigt wird. Schließlich müsste diese strikte Debatte so verifiziert werden, dass man zu einer möglichst angemessenen Konsensbildung zwischen allen wissenschaftlichen Akteuren kommt, in der Hoffnung, die öffentliche Meinung um die entsprechenden theoretischen und praktischen Errungenschaften zu erweitern. In dieser Hinsicht stellen die Laudato-si’-Gemeinschaften – die bereits in verschiedenen Regionen Italiens verbreitet sind – ein konkretes Zeichen und eine reale Möglichkeit dazu dar.

      Ohne alle Menschen guten Willens und alle Fähigkeiten zusammenzubringen, wird es schwierig, echte Veränderungen für eine Umgestaltung der menschlichen Lebenswelt herbeizuführen. Ein solcher Blickwinkel von unten ist äußerst pragmatisch und bildet den Ausgangspunkt für die Begegnung zwischen Papst Franziskus und Carlo Petrini. Beiden geht es um die Erde und ihre Zukunft. Hier setzt ihre Auseinandersetzung an, bei der sie Spontaneität mit Tiefgang verbinden und Wege zu einer Ökologie aufzeigen, die nicht länger bloß Lippenbekenntnis bleibt, sondern zu einer echten Option wird. Für das Leben der Erde.

      1Vgl. Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Kap. 1, 2015.

      1Vgl. Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 241 f. Auf Habermas geht auch der Begriff der »erkenntnisleitenden Interessen« zurück.

      1Unter den zahlreichen Autoren, die angesichts der Umweltproblematik die Theologie ins Feld führen, sei hier auf Jay W. Forrester verwiesen, der kategorisch behauptet, das Christentum sei die Religion des exponentiellen Wachstums (vgl. ders., Der teuflische Regelkreis, DVA, Stuttgart 1972), und vor allem auf Carl Amery und seinen Band mit dem provokanten Titel Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums, Rowohlt, Reinbek 1972. Laut Amery hat sich die für uns nun so bedrohliche Katastrophe im Schatten der jüdisch-christlichen Idee von der uneingeschränkten Herrschaft des Menschen über die Welt angebahnt: Das »Macht euch die Erde untertan« aus Genesis 1,28 habe den Anstoß zu einer unaufhaltsamen Dynamik gegeben, die zum Konstantinismus und der zunehmenden Einmischung der Kirche in weltliche Angelegenheiten, zur Kontrolle über die landwirtschaftlichen Einnahmen seitens der mittelalterlichen Kirchengüter, zur calvinistischen Profitethik und schließlich zu der heute herrschenden Produktions- und Konsummoral geführt habe. In jüngster Zeit haben derartige Bezichtigungen nachgelassen. Das verdankt sich unter anderem der Soziallehre der Päpste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, angefangen bei Johannes XXIII. mit Pacem in terris (1963) über Paul VI. mit Populorum progressio (1967), Johannes Paul II. mit Sollicitudo rei socialis (1987) und Benedikt XVI. mit Caritas in veritate (2009) bis hin zu Franziskus mit Laudato si’ (2015).

      1Vgl. Max Weber, Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 20 und 21, 1904 und 1905.

      2»Seit Francis Bacon und René Descartes heißt erkennen beherrschen: Ich will die Natur draußen erkennen, um sie zu beherrschen. Ich will sie beherrschen, um sie mir anzueignen. Ich will sie mir aneignen, um mit meinem Besitz zu machen, was ich will. Das ist ein Denken mit der greifenden Hand: begreifen – auf den Begriff bringen – im Griff haben. Die Vernunft der modernen ›wissenschaftlich-technisch‹ genannten Zivilisation wird nicht mehr als ein vernehmendes Organ, sondern als Instrument der Macht aufgefasst. Die naturwissenschaftlich geprägte Vernunft der modernen Welt sieht nach Immanuel Kant, der Newtons Weltbild philosophisch rationalisierte, ›nur das ein, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt. […] Sie geht mit ihren Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen voran und muss die Natur nötigen, auf ihre Fragen zu antworten‹. Die menschliche Vernunft verhält sich zur Natur wie ein Richter, der die Zeugen ins Kreuzverhör nimmt. Das Experiment ist nach Francis Bacon die Folter, der die Natur unterworfen wird, um auf die Fragen der Menschen zu antworten und ihre Geheimnisse preiszugeben.« Jürgen Moltmann, Gott im Projekt der modernen Welt. Beiträge zur öffentlichen Relevanz der Theologie, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1997, S. 129 f.

      1Vgl. René Descartes, Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs, Reclam, Stuttgart 1995, S. 58.

      2Vgl. Antonio Autiero, »Esiste un’etica ambientale?«, in: Matteo Mascia und Renzo Pegoraro (Hg.), Da Basilea a Graz. Il movimento ecumenico e la salvaguardia del creato, Gregoriana Libreria Editrice, Padua 1998, S. 3–30.

      1»Damit ist nachgewiesen, dass sich die Entwicklung, wenn sie auch eine notwendige wirtschaftliche Dimension besitzt, weil sie ja der größtmöglichen Zahl der Erdenbewohner die zum ›Sein‹ unerlässlichen Güter zur Verfügung stellen muss, dennoch nicht in dieser Dimension erschöpft. Wenn sie auf diese beschränkt wird, wendet sie sich gegen diejenigen, die man damit fördern möchte. Die Merkmale einer umfassenden, ›menschlicheren‹ Entwicklung, die imstande ist – ohne die wirtschaftlichen Erfordernisse zu leugnen –, sich auf der Höhe der wahren Berufung von Mann und Frau zu halten, sind von Paul VI. beschrieben worden. […] Eine nicht nur wirtschaftliche Entwicklung misst und orientiert sich an dieser Wirklichkeit und an dieser Berufung des Menschen in seiner gesamten Existenz, das heißt, an einer Art von Maßstab, der ihm selbst innewohnt.« (Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis, Abschnitt 28–29).

      1Einer neuen Idee der Wirklichkeit Ausdruck zu verleihen, ist das Ziel des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Querida Amazonia, das auf den 20. Februar 2020, also auf einen Zeitpunkt datiert ist, als das Virus bereits Italien heimzusuchen begonnen hatte. Beobachtern war die Entscheidung der Pan-Amazonien-Synode (Rom, 6. bis 27. Oktober 2019) und des anschließenden Apostolischen Schreibens, sich auf den Lebensraum Amazonien zu konzentrieren, ohne jegliche globale Relevanz erschienen. In Wahrheit handelt es sich dabei um den alles entscheidenden Faktor. Wir befinden uns nach

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