Terrafutura. Carlo Petrini

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Terrafutura - Carlo Petrini

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der uns Besitz verheißt. Wir wollen Zuneigung auf Befehl, wie bei den Haustieren, wir wollen Antworten vorhersagen können. Über ganzheitliche Ökologie zu sprechen bedeutet, diese Sichtweise umzukehren, es bedeutet, dass Mensch und Umwelt nicht voneinander trennbar sind. Es ist ein echtes Aufbegehren gegen diese Welt. Ich kann mich erinnern, welches Aufsehen Anna Magnani mit der Geschichte um ihre Falten erregt hat. Als sie gefragt wurde, ob sie vorhabe, ihre Falten durch eine Schönheitsoperation entfernen zu lassen, antwortete sie: »Auf keinen Fall. Ich habe sie mir über Jahre redlich erworben!« Sie ist das Beispiel eines Menschen, der die Verbindung mit der Natur, die Schönheit der Natur, zutiefst verstanden hat. Eine ganzheitliche Natur, deren integraler, untrennbarer Bestandteil wir sind.

      CUnd der entscheidende Punkt dabei ist, dass eine Verletzung der Erde der Verletzung unserer selbst gleichkommt. Immer wieder ist zu hören, wir müssten die Natur achten, um »den Planeten zu retten«. Was bei dieser Ansage, teils wider besseres Wissen, vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Erde weiterexistieren wird, ob mit oder ohne uns. Er wird sich verändern, wird neue Formen der Anpassung und des Lebens hervorbringen. Wir, als Spezies Homo sapiens, laufen dagegen Gefahr zu verschwinden. Darüber müsste man sprechen, dann würden sich die persönliche und die kollektive Einstellung vielleicht wirklich verändern. Abgesehen davon, bekommen wir das alles bereits tagtäglich zu sehen, die Beispiele sind zahlreich: Ökologische Notstände sind der Schlüssel zum Verständnis der großen Migrationsbewegungen, die wir derzeit erleben. Denn diese Migrationsströme sind nicht nur eine Folge des Kolonialismus, sondern auch des Klimawandels und der fortschreitenden Wüstenausbreitung. Doch unser Europa begreift das nicht und errichtet Mauern, nährt Angst und Misstrauen, schürt Konflikte zwischen den Armen.

      FMich beunruhigt, wie dieser Trend zum Populismus in Europa Einzug gehalten hat. Ich muss dabei an manch furchtbare Verirrung denken, die wir in der Vergangenheit bereits erlebt haben, wie etwa die folgenschwere Verführung mit Heilsversprechen 1932/1933 in Deutschland. In jenem Fall bedurfte es keines gewaltsamen Staatsstreichs; es genügte das Votum der Leute, die sich von populistischen, unter dem Deckmantel des gesunden Menschenverstandes gehaltenen Reden in die Irre leiten ließen. Populismus ist wie Falschgeld.

      CMan appelliert an das Bauchgefühl und weckt niedere Instinkte. In einer solchen Situation zu handeln, ist schwierig. So gesehen kann Bildung eine zentrale Rolle spielen, um derartigen Entwicklungen Einhalt zu gebieten, und dennoch investiert man nicht genug in sie. Selbst heute noch werden in Italien Leute, die studieren, die sogenannten »Intellektuellen«, mit Argwohn betrachtet, als sei Wissen etwas, wovor man sich fürchten, dem man mit Misstrauen begegnen müsse. Man treibt eine vermeintliche Trennung zwischen Intellektuellen und Volk voran, als seien es unabhängige, gegeneinander kämpfende Kategorien.

      FEin weiterer wichtiger Punkt, den Sie betonen, und dem ich voll und ganz zustimmen kann, ist die biologische Vielfalt, die den Reichtum unserer Erde ausmacht. Biologische Vielfalt sorgt für das ökologische Gleichgewicht, sie ist das Gut, das uns ein Leben auf diesem Planeten ermöglicht. Als ich vor einem Jahr das Foto von dem chinesischen Schiff gesehen habe, das den Nordpol überquert hat, weil es kein Eis mehr gab, das es behindern konnte, ist mir wieder einmal klar geworden, welches Umweltdrama sich abspielt. Oder das berühmte Foto des Eisbären, der einsam auf einer immer kleiner werdenden Eisscholle steht. Diese Dinge vergessen wir bisweilen, nicht wahr? Dabei geschehen sie ganz in unserer Nähe, und es ließen sich noch eine ganze Woche lang weitere Beispiele aufzählen. Die biologische Vielfalt ist ein unschätzbarer Reichtum, doch mit unserem Produktions- und Wirtschaftsmodell zerstören wir sie, als ginge sie uns nichts an, als hätten wir nichts damit zu tun. Man muss sich nur vor Augen führen, dass der Zeitpunkt, an dem wir unsere Jahresressourcen verbraucht haben, jedes Jahr weiter nach vorn rückt. 2020 wird dieses Datum, soweit ich weiß, erstmals in den Monat Juli fallen, und es wird noch weiter vorrücken. Ganz zu schweigen vom Plastik in den Meeren, ein weiteres dramatisches Beispiel für die Vernichtung der Artenvielfalt der Meere.

      CGerade in Bezug auf Plastik fände ich es gut, wenn die Laudato-si’-Gemeinschaften ein Zeichen von globaler Tragweite setzt. Ich denke dabei an die Unterzeichnung einer individuellen Verpflichtung, einer persönlichen Erklärung: »Ich verpflichte mich persönlich, weniger Plastik, insbesondere weniger Einwegprodukte zu verwenden und alle für mich unvermeidbaren Plastikartikel zu recyceln.« Denn eine Welt ganz ohne Plastik ist zwar undenkbar, aber dennoch bleibt es eine Tatsache, dass wir jährlich 300 Millionen Tonnen Plastik produzieren und nur 9 Prozent davon recycelt werden. Plastik ist etwa genauso alt wie ich, jedenfalls habe ich als kleines Kind noch in einer Metallwanne gebadet. Als es Einzug hielt, war es ein Segen, aber damals wurde es für dauerhafte Gebrauchsgüter verwendet. Heute bilden dagegen Einwegprodukte über die Hälfte des Plastiks – denken wir nur an die Trinkhalme, Millionen allein in Italien, sie werden zehn Sekunden lang benutzt, dann landen sie im Müll, können nicht recycelt werden, weil sie nicht als Verpackung gelten. Das Drama ist, Plastik gelangt in die Nahrungskette, und zwar unter anderem über die Kosmetik, die Mikroplastik enthält, das von den Fischen verschluckt wird und anschließend von uns. Es ist eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes. Und sie ist offenkundig aufs Engste mit dem Problem der Biodiversität verknüpft. Bedenken Sie nur, dass die Artenvielfalt auf unserem Planeten laut FAO in den letzten 125 Jahren um 70 Prozent zurückgegangen ist. Das ist eine erschütternde Zahl, und niemand interessiert sich dafür, dass dieser Prozess sich mitnichten verlangsamt. Ich knüpfe daher an Ihre Worte zur Aufrichtigkeit an und behaupte, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist, wenn jeder von uns eine solche Erklärung unterzeichnet und sich zu persönlichem Handeln verpflichtet.

      FIch stimme Ihnen zu. Fassen wir es in die richtigen Worte: Es gilt, den Egoismus zu bekämpfen, die Denkweise, gemäß der ich Mutter Erde ausbeute, weil Mutter Erde groß ist und mir das geben muss, was ich will, Punkt. Es ist eine vollkommen fehlgeleitete Denkweise, die uns unweigerlich in die Katastrophe führen wird.

      CWie fänden Sie es, wenn wir eine solche Absichtserklärung abgäben, eine Erklärung zur persönlichen Verpflichtung?

      FGut, aber es kommt auf die Umsetzung an, auf die Musik, oder? Sie können die Erklärung formulieren, das Libretto schreiben, und alle werden zustimmen, aber es bleiben nur Worte. Das Ganze muss von einer Musik begleitet werden, die mitreißt, die ein Gemeinschafts-, ein Gruppengefühl vermittelt. Es genügt nicht, eine Erklärung vorzulegen, die alle unterzeichnen, denn so besteht die Gefahr, dass sie zu einem Mittel wird, sich das Gewissen reinzuwaschen, ohne anschließend wirkliche Veränderung zu bewirken.

      CNatürlich. Hier kommt wieder der Gedanke der Freude ins Spiel. Verzagt und mit schwerem Herzen überzeugt man niemanden! Wir müssen die Freude an der Verantwortung und der Teilhabe wiederfinden. Denn wie ich bereits erwähnt habe, ist das selbstlose Engagement auch ein Weg zum persönlichen Glück. Davon bin ich fest überzeugt.

      FAbsolut.

      CIch würde gern noch kurz auf zwei Fragen zu sprechen kommen, auf die Gemeinschaften als Mittel zur Wiederherstellung von Gemeinsinn und Austausch und auf einen Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, nämlich die indigene Bevölkerung. Als ich Ihren Vortrag gelesen habe, den Sie anlässlich Ihrer letzten Perureise in Puerto Maldonado gehalten haben, war ich sehr überrascht. In meinen Ohren war es das erste Mal, dass die Kirche so deutlich für die Spiritualität und die Kultur der indigenen Völker eintrat, nie zuvor hatte ich diese Wertschätzung gespürt, die Sie ihnen mit diesen Worten entgegenbringen. Meine Frage lautet daher: Wie kann, Ihrer Meinung nach, die Kirche mit der tief in der Vergangenheit wurzelnden indigenen Spiritualität in Dialog treten, ohne auf ein nunmehr überholtes Zwangsmodell zurückzugreifen?

      FGenau das habe ich in Puerto Maldonado gesagt: Die Kirche tritt mit den Indigenen in Dialog, indem sie in erster Linie deren Rechte und gleichzeitig deren Kulturen anerkennt. Mehr noch, die religiösen Handlungen sollten möglichst in Einklang mit der indigenen Kultur vollzogen werden. Wir nennen diesen Prozess »Inkulturation«, aber es handelt sich nicht um eine Form von kulturellem Kolonialismus. Wir könnten alle auf dieselbe Art beten, aber das zerstörte die menschliche Biodiversität, die in erster Linie kulturell ist. Nein, jeder soll

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