Terrafutura. Carlo Petrini

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Terrafutura - Carlo Petrini

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Als ich die Enzyklika las, habe ich mich unter anderem lange mit dem ethischen Aspekt dieses Begriffs befasst. Nach tieferem Nachdenken habe ich jedoch eingesehen, dass der Dialog keine moralische Option ist. Er ist im Gegenteil in erster Linie eine Methode. Genau in dem Sinne, wie es Romano Guardini bereits um die Mitte des letzten Jahrhunderts dargelegt hat (ich muss Ihnen gestehen, dass ich noch nie so viel Theologie gelesen habe wie in den letzten Monaten). Guardini hat mich fasziniert, weil er diese Dinge bereits dreißig Jahre vor den anderen gesagt hat! So habe ich erkannt, dass der Dialog eine Methode ist. In meinen Augen ist er eine kulturelle, politische und operative Methode. Wie denken Sie darüber?

      FDer Dialog ist vor allem eine menschliche Methode. Guardini ist ein Ansatz gelungen, der gegensätzliche Spannungen nicht als etwas betrachtet, das es zu beseitigen gilt, sondern als etwas, das man auf einer höheren Ebene überwinden muss. Es geht also nicht darum, Differenzen und Konflikte zu verwischen, sondern sie im Gegenteil hervorzuheben und gleichzeitig für ein übergeordnetes Wohl zu überwinden. Guardini war dazu in der Lage, weil er den Dialog gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hat. Er stammte nämlich aus einer italienischen Familie, die sich in Deutschland niedergelassen hatte, als er selbst erst ein Jahr alt war. Die Kultur seiner Familie war also eng mit der deutschen Kultur verwoben, innerhalb derer er seine gesamte Ausbildung absolvierte. Er musste keine Synthese vollziehen, sondern den Gegensatz auf einer höheren Ebene auflösen, auf einer Ebene, die es ermöglichte, die Spannung der beiden Gegensätze beizubehalten und gleichzeitig aufzuheben. Darin lag seine Größe. Er hat den Dialog mit der Muttermilch aufgenommen, er hatte ihn im Blut.

      CIch glaube, Sie haben nicht zu Unrecht das Interesse an der italienischen Politik verloren. Sie ist tatsächlich von immer heftigeren Beleidigungen und Attacken geprägt, die sich oft gegen einzelne Personen und nicht gegen Ideen richten. Doch wenn im Parlament nicht die nötige Stimmenzahl fürs Regieren zusammenkommt, müssen die Parteien sich zwar an den runden Tisch setzen und versuchen, die Lage zu klären. Hat man sich zuvor jedoch immer schlimme Sachen gesagt, ist es tatsächlich schwierig, zu einem Dialog zu finden. Wir erleben de facto den permanenten Wahlkampf und Regierungsabkommen, die gerade mal ein paar Monate überdauern!

      FDas stimmt, aber Beleidigungen in der Politik sind wie die Musik beim Menuett. Man läuft im Takt der Musik und tanzt dann Menuett zusammen. So läuft das in der Politik. Das ist, wenn Sie so wollen, das Salz in der Suppe!

      C(lacht) Hauptsache, man versalzt die Suppe nicht. Nachdem ich für den Verlag Edizioni San Paolo den Kommentar zu Ihrer Enzyklika verfasst hatte, bekam ich Gelegenheit herumzureisen, um an Gesprächen und Debatten mit zahlreichen Katholiken, darunter auch Pfarrer und Bischöfe, teilzunehmen. Als man mich bat, meine Lesart der Laudato si’ darzustellen, waren es vor allem vier Punkte, die ich hervorhob: das Konzept der ganzheitlichen Ökologie, der Dialog als Methode, der Wert der biologischen Vielfalt und schließlich der Punkt, der mich am meisten fasziniert hat, nämlich die Bedeutung, die die guten Praktiken des Individuums für das Bewirken nachhaltiger Veränderungen haben. Ich würde gern wissen, ob Sie sich in dieser »weltlichen« Interpretation wiederfinden.

      FFür meine Antwort fange ich mit dem vierten Punkt an: Weshalb erstaunt uns das so? Weil dabei ein Wert ins Spiel kommt, der außer Mode geraten ist, ja bisweilen vielleicht sogar ein wenig verachtet wird. Dieser Wert ist die Aufrichtigkeit. Aufrichtigkeit ist nicht bloß ein moralischer, sondern vielmehr ein menschlicher Wert. Er sorgt dafür, dass ein Mensch sich aufrichtig verhält, also in einer Atmosphäre der Harmonie handelt. Aufrichtigkeit erzeugt Harmonie, immer. Denn die Dimension der Aufrichtigkeit, egal ob sie nun durch eine Person, eine Gemeinschaft oder eine Familie ihren Ausdruck findet, löst immer Sympathie und Vertrauen aus. Und hier entsteht Dialog und wird erfahren, unmittelbar. Wie oft kommt es vor, dass man denkt: »Dieser Mensch denkt zwar anders als ich, aber er ist ehrlich.« Wenn die Aufrichtigkeit fehlt, kann es zu keinem tragfähigen Dialog kommen, das ist schier unmöglich. Als Beispiel für mangelnde Aufrichtigkeit ist mir einmal folgende kleine Geschichte erzählt worden. Eigentlich hat man sie mir erzählt, um zu zeigen, wie schlecht die Italiener sind, aber da ich italienischer Abstammung bin, kann ich sie selbstironisch zum Besten geben. Es geht um neun Unternehmer großer Firmen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Sie berufen eine Versammlung ein, um übereinzukommen. Nach stundenlanger Diskussion gelangen sie zu einem gemeinsamen Ergebnis und formulieren eine endgültige Vereinbarung. Alle lesen sie und stimmen zu, und während man die Kopien zum Unterzeichnen ausdrucken lässt, stößt man fröhlich an, wie unter guten Freunden. Als schließlich die ausgedruckten Exemplare zum Unterzeichnen vorliegen und auf dem Tisch die Runde machen, sind Sie und ich, wir Italiener, bereits dabei, unterm Tisch ein weiteres Abkommen zwischen uns zu unterzeichnen. Das ist eine kleine Spitze gegen die Italiener, aber lassen wir das beiseite. Es geht um Unaufrichtigkeit. Der Unehrliche hat keine Anziehungskraft, er vereint nicht, da er kein Vertrauen einflößt und daher auch keines entgegengebracht bekommt. Aufrichtigkeit ist die Basis für Vertrauen. Auf der Basis der Aufrichtigkeit muss ich als Mensch handeln, um für mich und die anderen zur Harmonie in der Welt beizutragen. Denn ich kann nicht ehrlich zu den Menschen sein, wenn ich es nicht auch gegenüber der Natur, der Umwelt, dem Leben bin, das mich umgibt. Es gibt keine Aufrichtigkeit ohne Altruismus. Das ist der vierte Punkt.

      CWenn ich mit anderen über diesen Aspekt der Enzyklika spreche, merke ich, wie ungeheuer wichtig es ist, sich bewusst zu werden, dass man aktiv an der Veränderung mitwirken kann. Selbst wenn man nur eine geringe, einfache Stellung hat. Es gibt eine Passage, in der Sie die Bedeutung der ganz kleinen Dinge unterstreichen, wie etwa das Licht auszuschalten, Wasser zu sparen, das Richtige zu konsumieren. Diese guten Praktiken des Einzelnen werden von der »hohen Politik« als veraltet, unbedeutend und folkloristisch abgetan. Dabei bilden sie die Grundlage für Veränderung, den Nährboden, auf dem eine bessere Zukunft für alle wachsen kann. Wir als Bewegung haben uns das auf die Fahnen geschrieben. Wir waren von Anfang an davon überzeugt, dass sich durch Nahrungsmittel – um die es der Slow-Food-Bewegung geht – tiefgreifende Veränderungen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems herbeiführen lassen, dass man die Welt verändern kann. Und wir glaubten und glauben nach wie vor, dass man mit den kleinen Dingen beginnen muss. Jeder trifft tagtäglich individuelle Entscheidungen, die jedoch Auswirkungen auf globaler Ebene haben und niemals neutral sind. Die eigenen Nahrungsmittel auszusuchen, gehört zu diesen Entscheidungen. Es handelt sich um einen wirkungsmächtigen Veränderungsmechanismus. Auf diese Weise gibt man einem Produktions- und Wirtschaftsmodell den Vorzug gegenüber einem anderen.

      FEs sind die kleinen Dinge, die auf einen Ursprung verweisen. Der Pfarrer hat die Angewohnheit, ständig das Licht auszumachen. Pfarrer haben diese Manie. Aber warum? Weil Pfarrer die Spenden hüten müssen, um sie für wohltätige Zwecke zu verwenden. Das bedeutet, in Harmonie zu treten, sich persönlich einzubringen, zum aktiven Subjekt zu werden.

      Ich komme auf einen anderen Punkt, den Sie betont haben, die ganzheitliche Ökologie. Zunächst möchte ich klarstellen, dass die Enzyklika Laudato si’, im Gegensatz zu dem, was viele denken und schreiben, keine Umweltenzyklika, kein Text zur Ökologie ist. Es handelt sich eher um eine Sozialenzyklika. Wenn wir über Ökologie sprechen, müssen wir uns vor Augen führen, dass wir in allererster Linie selbst ein Teil der Ökologie sind. Das scheint offensichtlich, ist es aber keineswegs. Wissen Sie, für was Familien, nach Nahrung und Kleidung, am meisten Geld ausgeben?

      CKleidung … die Wohnung?

      FNein. An dritter Stelle kommt Schminke … wie sagt man? … Kosmetik! Rechnet man die Schönheitschirurgie dazu, stehen die Ausgaben hierfür weltweit an dritter Stelle. Und an vierter Stelle? Die kleinen Lieblinge, Haustiere! Diese Statistik ist ein paar Jahre alt, aber es hat sich nicht viel verändert. Merkwürdig, oder? Bildung taucht zum Beispiel gar nicht auf. Vor einem solchen Hintergrund lässt sich schwerlich von einem neuen ökologischen Ansatz und einer neuen Harmonie mit der Umwelt sprechen. Angesichts einer Welt, die derart viel für solche Dinge ausgibt, fällt das nicht leicht. Unsere Epoche ist von einer tiefen Eitelkeit geprägt, die uns dazu bringt, eine künstliche, flüchtige und oberflächliche Schönheit zu verherrlichen …

      CKonsum, konsumieren,

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