Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin. Группа авторов

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Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin - Группа авторов Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik

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sieht Kalkhoff (2010, S. 238) das Ende ihres Kampfes um die Berechtigung als Wissenschaftsdisziplin in der Universität um 1880, also etwa mit dem Einsetzen der neusprachlichen Reformbewegung. Ab diesem Zeitpunkt benötige die Neuphilologie im Rahmen ihres „historisch-vergleichenden Forschungsprogramms“ (ebd.) keine Legitimation durch die Aufgaben in der Lehrerbildung mehr. Das mag aus Sicht der Wissenschaft zutreffen, doch bestand im Hinblick auf die akademische Lehre ein gewisses Ungleichgewicht zwischen forschungsbasierten Vorlesungen zu sprachhistorischen und literaturgeschichtlichen Themen zur älteren Literatur, die weit überwogen1 und wenig Anknüpfungspunkte für die spätere Tätigkeit der Fremdsprachenlehrer lieferten, und stärker gegenwartsbezogenen Themen. Fast scheint es, als wären die Anglisten unter den Neuphilologen dem Wandel gegenüber aufgeschlossener gewesen als die Romanisten, wenn Alois Brandl, Anglist an der Berliner Universität, schreibt:

      Die Frage hat sich daher erhoben: soll der neusprachliche Universitätsunterricht wirklich die praktischen Anforderungen des Tages zu erfüllen trachten, oder täte er besser, gleich dem klassisch-philologischen bei der Erforschung der Vergangenheit zu bleiben? […] Wenn sich jetzt ein Neusprachler dazu hergibt, auf der Universität sprachliche Fertigkeit ebenso zu betonen, verwandelt sich dann nicht sein Fach aus einer reinen Wissenschaft in eine angewandte? Wenn er es unternimmt, Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts zu lehren, werden darunter nicht Gründlichkeit und Tiefe leiden? Macht er sich nicht zum Philologen zweiten Ranges? […] Dennoch scheint es mir unvermeidlich, daß wir den Standpunkt des Entweder-oder völlig aufgeben und das Sowohl-alsauch durchführen, die Verbindung von Wissenschaft und – kurz gesagt – Praxis. (Brandl, 1907, S. 24f.)

      Diese Aussage zeigt, dass auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Prozess der Etablierung der Neuphilologie als Wissenschaftsdisziplin und lehrerbildendes Fach an der Universität geprägt war durch die Abgrenzung von und die Konkurrenz mit der ‚eigentlichen‘, der Klassischen Philologie. Es ist bezeichnend, dass einer der führenden Köpfe der Reformbewegung, Wilhelm Viëtor, das wissenschaftliche System der klassischen Philologie, wie es etwa von Böckh (vgl. Bratuschek, 1877) um die Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert worden war, für seine eigene Einführung in die englische Philologie als Basis nutzte.

      Ohne Böckhs Definition der Einzelphilologie als ‚geschichtlich wissenschaftliche Erkenntnis der gesamten Tätigkeit, des ganzen Lebens und Wirkens eines Volkes‘ aufzugeben, darf man daher die Einschränkung hinzufügen: mit der Sprache und Litteratur als Ausgangs- und Mittelpunkt. (Viëtor, 1903, S. 7)

      Der Gedanke, das „ganze Leben“ in den Blick zu nehmen, wurde von den Neuphilologen insofern aufgegriffen, als sie das Studium der Realien als unabdingbaren Bestandteil des schulischen Fremdsprachenunterrichts ansahen. Bereits bei der ersten Konferenz der Neuphilologen stellt Hermann Klinghardt, einer der engagiertesten Vertreter der Reformideen, die folgende Forderung auf:

      Der französisch-englische Unterricht und die neuphilologische Wissenschaft, bisher fast ausschließlich auf die sprachliche Seite der modernen Kulturentwicklung gerichtet, haben sich künftighin – nach dem Muster des griechisch-lateinischen Unterrichts – mehr und mehr noch mit den realen Lebensäußerungen der modernen Völker zu beschäftigen. (Vorstand des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbands, 1886, S. 31)

      Seine These wurde kontrovers diskutiert, und die Frage der Realien tauchte immer wieder in den Debatten und Publikationen auf. So konstatiert Wendt (1898, S. 658) in einer ebenfalls bei einer Versammlung der Neuphilologen erörterten These: „Die beherrschung der fremden sprache ist das oberste ziel des unterrichts; den unterrichtsstoff bildet das fremde volkstum. Die fremde sprache ist das naturgemässe mittel, um in dessen erkenntnis einzudringen.“ Und Waetzoldt (1892, S. 13) stellt kategorisch fest: „Französisch und Englisch lernen und lehren, heißt Frankreich und England lehren und lernen.“

      Man könnte daher vermuten, dass die Realien, also die Geschichte, Politik und Kultur von Frankreich und England auch im neuphilologischen Lehramtsstudium eine wichtige Rolle spielen. Zwar betont Viëtor (1903, VII) im Vorwort zur ersten Auflage seiner „Einführung in das Studium der englischen Philologie“, dass er keinen „Kanon“ für das Studium habe aufstellen wollen, doch ist angesichts des hohen Stellenwerts der Realien für den Unterricht erstaunlich, dass diese lediglich in einem Teilkapitel auf drei Seiten abgehandelt werden (vgl. Viëtor, 1903, S. 97-100). Er nennt dort einige wenige Standardwerke zur englischen Geschichte, empfiehlt Wendts Realienbuch (vgl. Wendt, 1892) sowie den Baedeker Reiseführer und den jährlich erscheinenden Jahresrückblick „Hazell’s Annual“. Offenbar sah er keinen Platz für landeskundliche Einführungen im Studium, sondern stellte den Erwerb solchen Wissens in die Eigenverantwortung jedes Fremdsprachenlehrers:

      Eine eingehende Bekanntschaft mit den politischen und sozialen Verhältnissen des heutigen England ist für den Philologen wie für den Lehrer gleich unerlässlich. Hierzu wird vieles ein längerer, wohl ausgenutzter Aufenthalt im Lande beitragen. (Viëtor, 1903, S. 98)

      Waetzoldt wünscht sich im Gegensatz dazu eine stärkere Berücksichtigung dieses Gebiets bereits im Studium und vor allem in der Prüfungsordnung, die seiner Meinung lauten müsse:

      In der politischen wie in der Kulturgeschichte Frankreichs oder Englands und in der Landeskunde muß der Kandidat soweit orientiert sein, um die gebräuchlichen Schulschriftsteller auch sachlich erläutern und vorkommenden Falles gute Hilfsmittel mit Verständnis benutzen zu können. (Waetzoldt, 1892, S. 44)

      Auch die didaktische Ausbildung der Lehrer wurde – wenn auch weniger häufig – diskutiert. Schröer, der selbst einige Jahre als Lehrer an einer Oberrealschule in Wien tätig gewesen war, bevor er sich habilitierte und Professuren in englischer Philologie an verschiedenen deutschen Universitäten innehatte, weist darauf hin, „daß auch Pädagogik und Didaktik wissenschaftliche Disziplinen sind und nicht etwa Fertigkeiten, die ‚einzupauken‘ wären“ (Schröer, 1887, S. 11; Hervorhebung im Original).

      Durch die ganze Reformzeit zieht sich die Debatte um die Inhalte des Lehramtsstudiums. Das Spektrum reicht von denen, die eine gezielte Vorbereitung auf den späteren Beruf fordern, wozu auch Didaktik und Pädagogik neben moderner Literatur, Gegenwartssprache, Phonetik und Landeskunde gehören ebenso wie die Ernennung von Professoren, die selber Schulerfahrung als Fremdsprachenlehrer mitbringen (so etwa Wehrmann, 1914, S. 49), über viele Zwischenstadien bis zu jenen, die die gesamte Vorbereitung auf die Lehrertätigkeit in die Probezeit nach dem Studium, den dort stattfindenden Seminarbesuch und die Eigenverantwortung jedes Einzelnen verbannen möchten, um an der Universität die reine Wissenschaft, und zwar vor allem Sprachgeschichte und frühe Epochen in der Literaturgeschichte zu pflegen. Weitgehende Einigkeit bestand jedoch über die Forderung, getrennte Professuren für englische und romanische Philologie einzurichten und für das Lehramt die Kombination eines Sprachenfachs mit anderen Fächern zu ermöglichen (vgl. Viëtor, 1908).

      2.3 Studiengestaltung und Auslandsaufenthalt

      Neben den Inhalten des Studiums wurden, wenn auch in geringerem Umfang, die universitären Lehrformen und vor allem die unzureichende Ausstattung der Neuphilologie an den Universitäten kritisch kommentiert. So bemerkt Viëtor in einem Nachwort zu Max Walters Reformschrift (vgl. Walter, 1912), dass an der Universität Marburg für über zweihundert Studierende der englischen Philologie ein Professor und ein Lektor zur Verfügung stehen. Hier sei eine Reform dringend nötig (vgl. Viëtor, 1912, S. 26). Und Walter kommentiert diesen Zustand, der damals nicht nur für die Universität Marburg zutraf:

      Wie können ein professor und ein lektor für die ausbildung so vieler studierender sorgen! Zu dieser ausbildung gehören unbedingt seminarübungen, an denen jeder student teilzunehmen verpflichtet sein sollte! Solche übungen lassen sich aber nicht in massen vornehmen, sondern jeder kursus kann nur eine kleine zahl studierender umfassen. Wo bleibt also die gelegenheit zur gründlichen Durchbildung der einzelnen jungen leute! Wie sollen sie bei solchem massenbetriebe

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