Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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Staatsrecht III - Hans-Georg Dederer Schwerpunkte Pflichtfach

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immer nur durch Gesetz mit verfassungsändernder Mehrheit (Zweidrittelmehrheit) möglich seien (Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz 72).

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      Dieser Ansicht könnte man jedoch entgegengehalten, dass Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG mit seiner gesonderten Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten überflüssig wäre, wenn nicht zwischen Hoheitsrechtsübertragungen im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG und solchen mit verfassungsändernder Qualität im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG unterschieden werde. Vielmehr sei auf den materiellen Gehalt der jeweiligen Übertragung von Hoheitsrechten abzustellen. Die Fälle, die danach nur unter Satz 2 fallen, dürften allerdings sehr selten sein und stellen eher eine theoretische Möglichkeit dar (vgl Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz 71 ff).

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      Bei den „vergleichbaren Regelungen“ (s. Rn 133) ist nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat erforderlich, die deren Integrationsverantwortung gerecht wird (s. Rn 763 f). Soweit die entsprechenden Bereiche durch den Vertrag von Lissabon bereits hinreichend bestimmt sind, bedarf es keines Gesetzes; es genügt ein Beschluss. In allen anderen Fällen ist ein Gesetz iSv Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG notwendig (BVerfGE 123, S. 267 ff, 434 ff). Detaillierte Einzelheiten dazu wurden im Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union festgelegt (Integrationsverantwortungsgesetz, IntVG; s. Rn 764). Ein schlichter Parlmentsbeschluss reicht danach nur bei bestimmten „besonderen Brückenklauseln“ aus (vgl § 5 und § 6 IntVG).

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      In Fällen der Änderung des primären Unionsrechts, in denen es zu keiner Übertragung von Hoheitsrechten kommt, ist Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG nicht einschlägig. Daher kann auch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG nicht zur Anwendung kommen. Vielmehr bedarf es eines einfachen Gesetzes, dessen Einstufung als Zustimmungsgesetz sich wegen seiner Doppelfunktion (s. Rn 127) nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG richtet.

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      Indem Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG auch auf Art. 79 Abs. 3 GG verweist, wird eine absolute Grenze der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU gezogen. Damit dürfen die durch diese sog. Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG geschützten fundamentalen Prinzipien des GG, nämlich Menschenwürde (und Menschenwürdegehalt der Einzelgrundrechte), Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt sowie Demokratie, Bundesstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, durch Kompetenzübertragungen des deutschen Gesetzgebers nicht ausgehöhlt werden.

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      Sehr weitgehende Folgerungen für zukünftige Integrationsschritte hat das BVerfG dabei aus dem Demokratieprinzip gezogen. Allgemein fordert das BVerfG aus Gründen des Demokratieprinzips, insbesondere des Prinzips demokratischer Legitimation, dass „dem Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müssen“ (BVerfGE 89, S. 155 ff, 186). Ausgangspunkt hierfür ist Art. 38 Abs. 1 GG, der nicht nur das Wahlrecht zum Bundestag gewährleistet, sondern auch das „Recht, durch die Wahl an der Legitimation von Staatsgewalt teilzunehmen und auf deren Ausübung Einfluß zu gewinnen“ (BVerfGE 89, S. 155 ff, 182). Dieses Recht dürfe nicht durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so entleert werden, daß das demokratische Prinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 iVm Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt wird (BVerfGE 89, S. 155 ff, 182).

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      Im Lissabon-Urteil hat das BVerfG sodann einige Sachbereiche konkret benannt, in welchen eine Übertragung von Hoheitsrechten in Zukunft zwar nicht ausgeschlossen, aber sachlich zu begrenzen sei. Die Grenze verlaufe dort, „wo die Koordinierung grenzüberschreitender Sachverhalte sachlich notwendig ist“ (BVerfGE 123, S. 267 ff, 359). Zu diesen Sachbereichen, die im Hinblick auf den Schutz der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit besonders sensibel seien, gehörten folgende (BVerfGE 123, S. 267 ff, 359):

      „Entscheidungen über das materielle und formelle Strafrecht (1), die Verfügung über das Gewaltmonopol polizeilich nach innen und militärisch nach außen (2), die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und – gerade auch sozialpolitisch motivierte – Ausgaben der öffentlichen Hand (3), die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen (4) sowie kulturell besonders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht, Schul- und Bildungssystem oder über den Umgang mit religiösen Gemeinschaften (5)“.

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      Insbesondere muss die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages (Budgetverantwortung) gewahrt bleiben. Dazu hat das BVerfG Folgendes ausgeführt (BVerfGE 132, S. 195 ff, 239):

      „Art. 38 Abs. 1 GG wird namentlich verletzt, wenn sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können … Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat …“

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      Das BVerfG hat dieses „Verbot der Entäußerung der Budgetverantwortung“ (BVerfGE 129, S. 124 ff, 179) mehrfach präzisiert (s. insbesondere BVerfGE 132, S. 195 ff, 239 ff). Danach stellen das Budgetrecht und die dauerhafte Haushaltsautonomie zentrale Elemente der demokratischen Willensbildung dar (vgl BVerfGE 70, S. 324 ff, 355 f). Dabei muss der Bundestag dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden (Budgetverantwortung). Daher muss er immer die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten und darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei solchen Übertragungen nicht überschaubare haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können. Auf eine genaue Festlegung einer Höchstgrenze geht das BVerfG aber nicht ein, sondern spricht vielmehr von einer „evidenten Überschreitung von äußersten Grenzen“ (BVerfGE 129, S. 124 ff, 182).

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      Jedenfalls müsse jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden (BVerfGE 129, S. 124 ff, 180). Diese Bewilligung dürfe auch nicht generell vom Plenum auf ein Bundestagssondergremium verlagert werden, da damit die Beteiligungsrechte gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG der einzelnen Abgeordneten eingeschränkt würden (BVerfGE 130, S. 318 ff, 356 f). Zwar seien Eingriffe in die Abgeordnetenrechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht generell ausgeschlossen und könnten zB aus Gründen besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit gerechtfertigt sein. Gründe besonderer Eilbedürftigkeit könnten im Zusammenhang mit Notmaßnahmen der Finanzstabilisierung im Euro-Raum aber allenfalls die Übertragung von Befugnissen des Bundestages auf den 41 Mitglieder umfassenden Haushaltsausschuss legitimieren (BVerfGE 130, S.

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