Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

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Staatsrecht III - Hans-Georg Dederer Schwerpunkte Pflichtfach

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so daß sich der einzelne ihnen gegenüber auf eine solche Gemeinschaftsbestimmung berufen kann (Urteil vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839, Randnr 32).

      (31) Zum anderen können die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die einer solchen Gemeinschaftsbestimmung entgegenstehen, sowohl Rechts- als auch Verwaltungsvorschriften umfassen (vgl in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 1981 in der Rechtssache 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805, Randnr 43).

      (32) Nach der Logik dieser Rechtsprechung umfassen die genannten innerstaatlichen Verwaltungsvorschriften nicht nur generell-abstrakte Normen, sondern auch individuell-konkrete Verwaltungsentscheidungen.

      (33) Es wäre nämlich durch nichts zu rechtfertigen, wenn dem einzelnen der Rechtsschutz, der sich für ihn aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt und den die innerstaatlichen Gerichte zu gewährleisten haben (vgl Urteil vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89, Factortame ua, Slg. 1990, I-2433, Randnr 19), in einem Fall verweigern würde, in dem es um die Gültigkeit eines Verwaltungsakts geht. Dieser Rechtschutz kann nicht von der Art der entgegenstehenden Bestimmung des innerstaatlichen Rechts abhängen.“

      Da der EuGH festgestellt hatte, dass die Kontingentierung auf maximal 60 Boote gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße, bestand eine Kollision zwischen Gemeinschaftsrecht und dem bestandskräftigen Bescheid. In dieser Situation greift der Anwendungsvorrang, und die Bestimmung des Bescheids über die Kontingentierung wird unanwendbar. Sie darf daher nicht als Grundlage für eine Geldstrafe herangezogen werden.

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      Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts muss konsequenterweise auch für rechtskräftige Urteile gelten, die gegen Unionsrecht verstoßen. Sie dürfen nicht als Rechtsgrundlage für weiteres staatliches Handeln herangezogen werden.

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      Die dargestellte Vorrang-Rechtsprechung des EuGH bezieht sich auf sog. direkte Kollisionen. Darunter versteht man Kollisionen zwischen materiellem Unionsrecht und materiellem nationalem Recht, auch – wie gezeigt – in Form von bestandskräftigen Verwaltungsakten sowie in Form von rechtskräftigen Urteilen.

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      Bei indirekten Kollisionen handelt es sich um solche zwischen materiellem Unionsrecht und nationalem Verfahrensrecht. In derartigen Fällen greift der EuGH nicht direkt auf den Anwendungsvorrang zurück, sondern stützt sich auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und die Prinzipien der Effektivität und der Äquivalenz, was zu differenzierteren Ergebnissen führt (s. im Einzelnen Rn 1003 ff).

      Beispiel:

      In der Rs. Germany und Arcor ging es – im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit über die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Gebühren – um eine Kollision zwischen einer Richtlinienbestimmung (materielles Recht) und § 48 VwVfG (Verfahrensrecht) (EuGH, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany und Arcor, Slg. 2006, S. I-8559 ff; s. Rn 1012):

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      Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts stellt eine „Mindestgarantie“ dar (EuGH, Rs. 168/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945 ff, Randnr 11) und entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, die dem Unionsrecht widersprechenden – und von diesen im konkreten Anlassfall unanwendbaren – nationalen Rechtsvorschriften dem Unionsrecht anzupassen (Rechtsbereinigungspflicht, s. Rn 1009). Der EuGH hat das wie folgt begründet (EuGH, Rs. C-290/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1996, S. I-3285 ff):

      „(29) Nach gefestigter Rechtsprechung entbinden nämlich der Vorrang und die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht, diejenigen Bestimmungen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung aufzuheben, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind; denn ihre Beibehaltung führt zu Unklarheiten tatsächlicher Art, weil die betroffenen Normadressaten bezüglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem Zustand der Ungewissheit gelassen werden.“

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      Lösung Fall 3 (Rn 71):

      Die Beurteilung der Richtigkeit der Ansicht der W hängt von der Theorie ab, die man zum Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht vertritt. Folgende zwei Lösungen sind denkbar:

      1. Völkerrechtliche Lösung:

      Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, für welche Theorie man sich entscheidet. Nach den beiden – heute fast ausschließlich vertretenen – Theorien des gemäßigten Monismus und des gemäßigten Dualismus ist die Antwort aber im Ergebnis gleichlautend. Das dem Unionsrecht laut Sachverhalt widersprechende nationale Recht, nämlich Art. 12 und Art. 14 GG, geht zunächst vor. Die Verordnung ist daher innerstaatlich nichtig oder zumindest unanwendbar. Nach beiden Theorien ist aber die Bundesrepublik verpflichtet, das Unionsrecht einzuhalten und haftet dafür nach außen. Sie muss also geeignete Maßnahmen ergreifen, das Anbauverbot durchzusetzen.

      2. Europarechtliche Lösung:

      Nach der europarechtlichen Lösung geht das Unionsrecht vor. Die – laut Sachverhalt anzunehmende – Tatsache, dass Grundrechte verletzt sind, spielt deshalb grundsätzlich keine Rolle. Die Ansicht der Klägerin ist daher nicht richtig. Der Vorrang des Unionsrechts bedingt allerdings nicht, dass die Art. 12 und Art. 14 GG nichtig sind, sondern lediglich, dass sie in diesem Fall nicht zur Anwendung kommen.

      § 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › B. Europarecht und nationales Recht › III. Regelung im GG und in den Länderverfassungen

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      Fall 4:

      Das im Fall 3 (Rn 71) angerufene Verwaltungsgericht teilt die Ansicht der Klägerin und legt die Frage, ob die Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Wein wegen Verstoßes gegen die Art. 12 und Art. 14 GG verfassungswidrig sei, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG formgerecht vor. Wie wird das BVerfG entscheiden? Lösung: Rn 229

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      Das GG regelt die Frage des Vorrangs – im Gegensatz zu den Verfassungen einiger anderer Mitgliedstaaten der EU – nicht expressis verbis.

      Beispiele:

      (1) Art. 29 Abs. 4 Unterabs. 5 der irischen Verfassung sieht vor: „Keine Bestimmung dieser Verfassung … hindert Gesetze, Handlungen oder Maßnahmen, die von der Europäischen Union oder den Europäischen Gemeinschaften … erlassen oder vorgenommen werden, daran, im Staate Rechtskraft zu erlangen.“

      (2) Art. 94 der niederländischen Verfassung bestimmt:

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