Zwangsvollstreckungsrecht. Bettina Heiderhoff
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Zu dem grundlegenden Streit über den relevanten Bezugspunkt bei Gestaltungsrechten kommt hinzu, dass nach allgemeiner Ansicht auch nach der Art des Gestaltungsrechts differenziert werden muss.
Beispiel 24 (Verbraucherschützendes Widerrufsrecht):
Schuldner S hat im Internet einen Fernseher gekauft. Eine Widerrufsbelehrung wurde ihm dabei nicht erteilt. Da er den Apparat nicht bezahlen kann, ergehen gegen ihn Mahn- und Vollstreckungsbescheide. Erst jetzt erfährt er, dass man Verträge, die man im Internet abgeschlossen hat, widerrufen kann. Er widerruft den Kaufvertrag nach §§ 312g I, 355 BGB und will gegen die Vollstreckung vorgehen.
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Da S in Beispiel 24 nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, war dies in der Tat nach § 356 III 1 BGB noch nicht verfristet. Er konnte es also noch wirksam ausüben. Fraglich ist aber, ob er nach § 767 II ZPO mit dem Einwand, der Anspruch sei nach § 355 I 1 BGB erloschen, präkludiert ist. Bei verbraucherschützenden Gestaltungsrechten (z.B. Widerruf) zwingt schon das europäische Richtlinienrecht dazu, § 767 II ZPO unangewendet zu lassen[34]. Denn der EuGH hat bereits mehrfach entschieden, dass das nationale Recht nicht Fristen abschneiden darf, die die Richtlinien vorsehen[35]. Und das Widerrufsrecht läuft in Fällen fehlender Belehrung nach den meisten verbraucherschützenden Richtlinien unbefristet.
Klausurhinweis:
In Beispiel 24 führen also letztlich sogar alle Ansichten zu demselben Ergebnis. Man sollte in der Klausur den Streit dennoch gründlich darstellen – und am besten sogar entscheiden – bevor man unter Verweis auf die richtlinienkonforme Auslegung von § 767 II ZPO den Knoten zerschlägt.
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Anders ist es auch bei vertraglich eingeräumten Gestaltungsrechten, z.B. einem vertraglichen dreimonatigen Rücktrittsrecht oder einer Kündigungsoption bis zu einem bestimmten Tag. Denn diesen Rechten ist es – nach dem gemeinsamen Willen beider Parteien – immanent, dass sie bis zum Ablauf der vereinbarten Frist ausgeübt werden können. Ein Abstellen auf die objektive Möglichkeit der Ausübung hingegen würde gegen die Vereinbarung der Parteien verstoßen.
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Beispiel 25 (Präklusion bei vertraglich eingeräumten Ausübungsfristen):
Vermieter V hat an Mieter M ein Lager vermietet. Der Mietvertrag läuft bis Ende 2016. M kann durch Ausübung einer Option vor dem 31.10.2016 den Mietvertrag um ein Jahr verlängern. Bereits im Mai 2016 erhebt V mit Erfolg Räumungsklage. Ende Oktober übt M die Option aus. Gegen die Räumungsvollstreckung wendet er sich mit der Vollstreckungsabwehrklage.
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Rücktritts- und Optionsrechte sind ebenfalls Gestaltungsrechte. In Beispiel 25 hätte M seine Option bereits vor Mai 2016 – also vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung – ausüben können. Daher stellt sich die Frage, ob er nunmehr mit der Ausübung nach § 767 II ZPO präkludiert ist. Grundsätzlich müsste auch hier auf die objektive Möglichkeit der Ausübung abgestellt werden (Rn. 230). Zu beachten ist aber, dass bei einem vertraglich eingeräumten Optionsrecht die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten gerade zwischen den beiden Parteien vereinbart wurde und damit gewissermaßen in ihrem Wesen liegt. Deshalb ist in dieser Situation ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Ausübung des Rechts durch den Berechtigten abzustellen[36]. Der Einwand der Option ist daher nicht präkludiert.
§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › III. Begründetheit › 3. „Doppelte Vollstreckungsabwehrklage“ (§ 767 III ZPO)
3. „Doppelte Vollstreckungsabwehrklage“ (§ 767 III ZPO)
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Beispiel 26 (Präklusion nach § 767 III ZPO):
Schuldnerin S hat sich eine neu zu errichtende Eigentumswohnung gekauft. Wegen des Kaufpreises in Höhe von 200 000 Euro hat sie sich gegenüber dem Bauträger B in einer notariellen Urkunde wirksam der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterworfen. Gezahlt werden soll (wie üblich) nach Bauabschnitten. Die letzte Rate in Höhe von 30 000 Euro bezahlt S dann aber wegen erheblicher Baumängel nicht. Als B aus der notariellen Urkunde gegen S vollstreckt, beruft sie sich erfolgreich auf die fehlende Fälligkeit der Forderung (wegen der Baumängel). Einige Tage nach ihrem Erfolg bei Gericht besichtigt sie erneut die Wohnung. Als sie all die schweren Baumängel sieht, entscheidet sie sich, nun doch von dem Kaufvertrag zurückzutreten. B ignoriert dies, repariert die Mängel, so wie es ihm im Urteil aufgegeben ist, und beginnt danach erneut, die Forderung zu vollstrecken. Kann S sich auf den (materiell-rechtlich rechtmäßigen) Rücktritt berufen und sich damit erfolgreich gegen die Zwangsvollstreckung wegen der letzten Rate wehren?
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Das Problem in Beispiel 26 besteht darin, dass S bereits einmal (erfolgreich) Vollstreckungsabwehrklage eingelegt hat. Fristen waren dabei nicht zu beachten, da sie sich gegen die Vollstreckung aus einer notariellen Urkunde wendete (§ 797 IV ZPO, Rn. 220). Nunmehr möchte sie erneut Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung aus der gleichen Forderung einlegen – nur dass sie sich diesmal nicht auf die Einrede fehlender Fälligkeit, sondern auf die Einwendung beruft, der Anspruch auf Kaufpreiszahlung sei entfallen, als sich der Kaufvertrag durch Ausübung des Rücktritts in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelte (§§ 346 ff, 349 BGB). Grundsätzlich kann die Vollstreckungsabwehrklage wiederholt werden. Doch unterliegt die Wiederholungsmöglichkeit Grenzen.
Nach herrschender Ansicht ist für die Trennung von zulässigen und unzulässigen Wiederholungen die Regelung in § 767 III ZPO gemacht. Die Norm soll dafür sorgen, dass der Schuldner alle Einwendungen, die er hat, so weit als möglich bündelt[37].
Hinweis:
Wegen seines Wortlauts wird § 767 III ZPO von der herrschenden Meinung in der Literatur so verstanden, dass es auf die subjektive Möglichkeit der Geltendmachung der Einwendung schon im Rahmen der ersten Vollstreckungsabwehrklage ankommt[38]. Der BGH stellt dagegen auch hier auf die objektive Möglichkeit der Geltendmachung ab[39].
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Somit scheint § 767 III ZPO genau zu passen. Bedenken gegen eine Anwendung von § 767 III ZPO könnten aber daraus folgen, dass auch das Rücktrittsrecht ein Gestaltungsrecht ist. Die Einwendung des Zurücktretenden entsteht erst mit Ausübung dieses Gestaltungsrechts durch Erklärung des Rücktritts (§ 349 BGB). S kannte ihr Rücktrittsrecht zwar bereits bei Klageerhebung. Sie hatte aber den Entschluss zum Rücktritt noch nicht gefasst und das Rücktrittsrecht noch nicht ausgeübt. Will man S diese materielle Möglichkeit, mit der Ausübung zuzuwarten, auch prozessual erhalten, ließe sich mit den Argumenten der zu § 767 II ZPO vertretenen Literaturauffassung eine Präklusion auch im Anwendungsbereich von § 767 III ZPO ablehnen. Jedoch wird diese Meinung (wegen des abweichenden Wortlauts) zu § 767 III ZPO kaum vertreten. In Beispiel 26 kann daher S auch mit ihrer zweiten Vollstreckungsabwehrklage nicht durchdringen.